Bei diesem "Gedankenexperiment" hört für Sparkassen der Spaß auf

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 20.2.2020 378 selbständige Sparkassen gibt es in Deutschland. Und - das ist sicher reiner Zufall - ziemlich genau 378-mal wurde ein vor fünf Tagen veröffentlichtes Youtube-Video aufgerufen (und...

Bei diesem "Gedankenexperiment" hört für Sparkassen der Spaß auf

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt378 selbständige Sparkassen gibt es in Deutschland. Und – das ist sicher reiner Zufall – ziemlich genau 378-mal wurde ein vor fünf Tagen veröffentlichtes Youtube-Video aufgerufen (und dreimal geliked), ehe es am Mittwochnachmittag plötzlich als “privat” markiert und somit nicht mehr öffentlich zugänglich war.Was war passiert? Nach Meinung mancher Betrachter des Clips nicht weniger als die Vorbereitung einer “Revolution”. Der eine oder andere Sparkässler, der das Video rechtzeitig, bevor es gesperrt wurde, angeschaut hatte, meinte, was dort zum Besten gegeben wurde, “sprengt die Fundamente des Sparkassenwesens”. Auch ein anderer erkannte “radikales Gedankengut”, ein weiterer glaubte, der Beitrag könnte etwas mit der auf ihren Höhepunkt zusteuernden Karnevalssaison zu tun haben – Sparkassen sind ja zuweilen auch als “Spaßkassen” unterwegs.Ein Irrtum, denn der Urheber des Videos, der sein Publikum einlädt, ihn bei einem “Gedankenexperiment” zu begleiten, meint es völlig ernst: Prof. Marcus Riekeberg, einer der beiden Geschäftsführer der mehrheitlich vom Sparkassenverband Bayern getragenen Sparkassen Consulting in München. Aufsichtsratsvorsitzender der Beratungsgesellschaft, die sich auch jenseits des Freistaats als “Partner der deutschen Sparkassen” versteht, ist der bayerische Verbandsvizepräsident Roland Schmautz. Was Riekeberg in seinem 14-Minuten-Video unter dem Titel “Zukunftsfähige Strukturen?” vorträgt, klingt in der Tat revolutionär, weshalb spätestens hier für die Sparkassen der Spaß aufhört. Von “heller Aufregung” oder “hochgradigem Erstaunen” war am Mittwoch in der Organisation die Rede.Der Chefberater, der zugleich Professor für Betriebswirtschaftslehre an der privaten österreichischen Wirtschaftsuniversität Schloss Seeburg ist, regt im Ergebnis an, die öffentlich-rechtliche Finanzgruppe auf den Kopf zu stellen. Vor dem Hintergrund dauerhafter Strukturveränderungen am Bankenmarkt, von Ertragsdruck und intensiver werdendem Wettbewerb schlägt er vor, die Sparkassen einer Region, eines Bundeslandes und “vielleicht irgendwann” auch bundesweit zu einer “Sparkassenbank” zu fusionieren und den Vertrieb in dezentrale Sparkassen-Vertriebs-AGs auf Stiftungsbasis auszulagern, die “letztlich faktisch Franchisenehmer” wären. Vertriebs- und Produktionseinheiten würden getrennt, Letztere ebenso wie die Stäbe, aber auch die Kreditentscheidungen – in Zukunft sowieso von Maschinen getroffen – und das Risikomanagement zentralisiert, es entstünde eine zentrale Abwicklungsbank (“etwas völlig anderes als heutige Landesbanken”). “Redundanzen” würden so fast komplett eliminiert, und rechtlich sowie aufsichtlich wäre die neue Struktur vor allem für die nicht mehr als Banken überwachten Vertriebs-AGs von Vorteil; der politische Einfluss würde zurückgedrängt. Aus Sicht der Kunden, der Mitarbeiter und auch der Vorstände – dann der Vertriebs-AGs – änderte sich praktisch nichts. Politisch absolut unkorrektRein wirtschaftlich gesehen, mag das Modell, das zumindest auf den ersten Blick ein wenig an Sparkassen- beziehungsweise Kreditgenossenschaftsstrukturen zum Beispiel in Österreich oder den Niederlanden erinnert, durchaus Charme haben. Sparkassenpolitisch dagegen ist es zumindest für Deutschland absolut unkorrekt. Seine Umsetzung würde zweifellos das Ende der dezentralen, rechtlich selbständigen und kommunal verankerten Sparkasse bedeuten – für den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) eine unbedingt erhaltenswerte große Stärke der Finanzgruppe. Während der Sparkassenverband Bayern sich auf Anfrage nicht zu Riekebergs Gedankenspielen äußern wollte, meinte Christian Achilles, Leiter Kommunikation und Medien des DSGV, in der Organisation gebe es viele Ideen, doch nicht alle seien zielführend. Aufgabe des Dachverbandes sei es, die Ideen in die richtige Richtung zu lenken, diese Aufgabe nehme man wahr. Soll heißen: Riekeberg kann denken, was er will, man mache sich seine Anregungen nicht zu eigen.Der Verursacher der ganzen Aufregung hat, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagte, aus der Sparkassenfamilie “sehr differenzierte” Reaktionen auf seinen Beitrag erhalten – “von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt”. Dass er sein Video “unter dem roten Label” veröffentlicht hat, hält Riekeberg inzwischen für einen Fehler. Die Ideen seien auf der akademischen Plattform, “in meiner Rolle als Prof.”, entstanden.In der Universität dürften sie denn auch nach Sperrung des Clips noch lebhaft diskutiert werden. Für deutsche Sparkässler bleiben sie aus nachvollziehbaren Gründen tabu.——Die Idee, alle Sparkassen zu fusionieren, erscheint den Betroffenen als allzu revolutionär.——