Bei ESG-Ansätzen die Spreu vom Weizen trennen

Verantwortungsbewusstes Investieren von Greenwashing unterscheiden

Bei ESG-Ansätzen die Spreu vom Weizen trennen

Berücksichtigt man die Anzahl der Pressemitteilungen über neu aufgelegte nachhaltige Fonds sowie die der Stellenausschreibungen von Vermögensverwaltern im ESG-Bereich (Environmental, Social, Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), gibt es wenig Zweifel: Nachhaltige Investments (engl. Responsible Investment, kurz RI) haben sich zu einem bedeutenden Trend in der Branche entwickelt.Vor allem in den Ausschreibungen institutioneller Investoren sind ESG-bezogene Fragen mittlerweile weit verbreitet. Deshalb ist es in gewissem Maße verständlich, dass Vermögensverwalter versuchen, ein Bild von sich zu schaffen, das zunehmend einer Betriebserlaubnis gleichkommt. Bedenkt man jedoch die Erfolgsbilanz der Branche, stellt sich zunehmend die Frage, ob sie nicht Gefahr läuft, zu viel zu versprechen oder ihre ESG-Aktivitäten falsch darzustellen. Selbst Vermögensverwalter, für die ESG bisher kein Thema gewesen ist, nehmen nun für sich in Anspruch, ESG-Kriterien schon seit Jahrzehnten als festen Bestandteil in ihrer Investmentstrategie zu haben.Aber was passiert, wenn Investoren glauben, dass Vermögensverwalter lediglich “Greenwashing” betreiben, das heißt ihre Produkte, Aktivitäten oder Richtlinien als umweltfreundlich darstellen, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist? Ein Hinweis darauf ist in einer Ende Mai durchgesickerten Meldung zu finden. Demnach hat die UN-Initiative “Prinzipien für verantwortliches Investieren” (kurz UN PRI) eine nicht öffentliche Liste von 185 Investoren zusammengestellt, die wegen möglicher Greenwashing-Fälle als Unterzeichner ausgeschlossen werden könnten.Sicher, einige Unternehmen können eine schöne Nachhaltigkeitsstory für eine gewisse Zeit erfolgreich aufrechterhalten. Wir bei Comgest führen jedoch bei den Unternehmen, in die wir investieren, intensive Research-Maßnahmen durch, um jene Unternehmen herauszufiltern, die ernst gemeinte und seriöse ESG-Ansätze bieten. Aus unserer Erfahrung heraus möchten wir daher die nachfolgenden Hinweise weitergeben, um Investoren bei ihrer Suche nach einem geeigneten Vermögensverwalter zu unterstützen. Ein ESG-“Geruchstest”Zunächst empfehlen wir, bei der Bewertung der RI-Strategie und der ESG-Performance eines Vermögensverwalters eine Art “Geruchstest” vorzunehmen. Die einfache Frage lautet: Erscheint diese RI-Strategie im Kontext der sonstigen Aktivitäten des Vermögensverwalters sinnvoll?Sie können Ihre Meinung vertiefen, indem Sie die Portfoliomanager und die Finanzanalysten – nicht die ESG-Spezialisten – fragen: Warum machen Sie das alles? Was ist dabei für Sie drin? Diese grundlegenden Fragen können von den Menschen in der Organisation sehr unterschiedlich beantwortet werden, ohne dass jemand die Wahrheit sagt: Ziel ist, das verwaltete Vermögen zu steigern. Weitere Fragen könnten sein: Wie passt das in Ihren Anlageprozess? Lässt sich dessen Auswirkung auf ESG-Themen nachweisen? Wie werden dadurch Erträge für mich als Anleger generiert? Sobald Sie darauf Antworten haben, können Sie anfangen, präzisere und gezieltere Fragen zu stellen, die mit Zahlen beantwortet werden sollten.Die Wahrheit ist, dass sich die meisten ESG-Kriterien in den ersten Quartalen nach ihrer Implementierung noch nicht in der Performance niederschlagen. In der Regel lassen sich Effekte erst nach drei bis fünf Jahren beobachten, und nur wenige Vermögensverwalter können es sich leisten, in so langen Zeiträumen zu denken. ESG-Kriterien in den Investmentansatz integrieren zu wollen und Unternehmen dann im Durchschnitt für ein Jahr oder weniger zu halten, ergibt für uns deshalb keinen Sinn. Insofern ist die Frage nach der Umschlaghäufigkeit eines Portfolios, der Turnover Rate, ein guter Anfang. Denn damit lässt sich beurteilen, welche Rolle ESG tatsächlich für einen Vermögensverwalter spielt, um das Risiko-Ertrags-Verhältnis seiner Anlagen zu verbessern.Ergänzend dazu liegt dann die Frage nahe, warum ESG-Integration nicht systematisch in allen Fonds des Unternehmens Anwendung findet, wenn sie für die Rendite der SRI-Fonds (Socially Responsible Investing) doch vorteilhaft ist.Kritische Fragen sind auch in Bezug auf die Quelle des ESG-Research hilfreich: Handelt es sich hierbei um interne Recherchen oder wird vor allem Research von externen Anbietern bezogen? Wenn ESG tatsächlich als erfolgskritisch angesehen wird, gibt es unserer Erfahrung nach keinen Ersatz für internes Research. Auch für einen wirklich aktiven Portfoliomanager ist es extrem schwierig, nur Broker-Research ohne internes Fachwissen zu nutzen, um sich seine Meinung zu bilden. ÜberraschungseffektViele Portfoliomanager haben mittlerweile ein paar gute ESG-Storys gelernt. Bitten Sie diese daher zu beschreiben, wann ihre ESG-Integration das letzte Mal zu einer schlechten Investitionsentscheidung geführt hat. Dies hat sicherlich einen Überraschungseffekt. Ein interessierter Investor kann sehr viele Informationen aus der Frage ziehen, was zurzeit in der ESG-Integration des Vermögensverwalters nicht funktioniert. Was wurde ausprobiert, dann aber wieder unterlassen, weil es bessere Möglichkeiten gab, um die Ressourcen zu allozieren? Eine ernst gemeinte ESG-Integration lebt davon, neue Ansätze auszuprobieren und, wenn nötig, wieder zu verwerfen. Dabei sollten die Beweggründe klar erläutert werden.Bei der Diskussion über das Engagement in den investierten Unternehmen spielt die Frage nach den bisherigen Aktivitäten natürlich eine Rolle: Was wurde getan? Was hat sich als wirksam erwiesen? Bei wie viel Prozent der gehaltenen Unternehmen wurde vom Stimmrecht Gebrauch gemacht? Es ist immer wieder überraschend, von Investoren zu hören, die sich zwar mit Unternehmen beschäftigen, aber nur bei einem kleinen Prozentsatz der Hauptversammlungen abstimmen und sich somit kaum Gehör verschaffen.Bei Comgest halten wir dagegen die Wahrnehmung des Stimmrechts für eine der wichtigsten Aufgaben eines Investors. Denn nur durch seine Stimmabgabe auf der Hauptversammlung kann ein Anleger ein starkes Signal an die Unternehmensführung senden oder sogar eine Änderung der Strategie durch den Verwaltungsrat erzwingen, insbesondere dann, wenn die Entscheidung klar begründet werden kann. Um festzustellen, wie konsequent ein Vermögensverwalter sein Engagement hinsichtlich der Stimmabgabe verfolgt, wäre eine weitere relevante Frage: Wie hoch ist der Prozentsatz der bisher abgegebenen Stimmen gegen das Management und den Vorstand, und zu welchen Themen wurde abgestimmt? Um zu beurteilen, wie verantwortungsvoll die Abstimmungsaktivität ist, könnte eine weitere Frage lauten: Wie hoch ist der Prozentsatz der Stimmen, die Ihrer Abstimmungsrichtlinie entsprechen?Nach unserer Erfahrung wird es, egal wie ausgeklügelt eine Abstimmungsrichtlinie auch sein mag, immer Fälle geben, in denen sie aufgrund der jeweiligen Umstände eines bestimmten Unternehmens nicht angewendet werden sollte. Je nach Fall muss die Abstimmung möglicherweise strenger oder lockerer sein als das, was die Abstimmungsrichtlinie empfiehlt. Unseres Erachtens können Anleger, die zu 100% im Einklang mit ihrer Abstimmungsstrategie stimmen, der Gefahr ausgesetzt sein, unverantwortlich abzustimmen. Abgesehen davon, sind wir jedoch der Ansicht, dass in den meisten Fällen Abstimmungen auf Hauptversammlungen und Engagement in Unternehmen Hand in Hand gehen sollten.Ein verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Investieren sollte theoretisch zu Portfolien führen, die sich von vergleichbaren Benchmarks klar unterscheiden und in Bezug auf verschiedene ESG-Kennzahlen wie CO2-Bilanz, Schaffung von Arbeitsplätzen oder Steuerzahlung besser abschneiden. Wenn die Portfolien diese “verantwortlichen” Eigenschaften nicht erfüllen, liegt der Verdacht nahe, dass sie durch Greenwashing in der öffentlichen Wahrnehmung besser dargestellt werden sollen, als sie es in Wahrheit sind.—-Thorben Pollitaras, Geschäftsführer von Comgest Deutschland—-Sébastien Thévoux-Chabuel, ESG-Analyst bei Comgest