Beratung? Nein, danke!
Wolfgang Kirsch, der Chef der DZ Bank, fühlt sich bei jedem Versuch, telefonisch Aktien zu kaufen, extrem genervt. Bankenpräsident und Berenberg-Boss Hans-Walter Peters konstatiert eine “absolute Katastrophe”. Und Gerhard Grandke, der Verbandsobere der Sparkassen in Hessen und Thüringen, lässt seine Leute körperliche Schwerstarbeit leisten: Zur diesjährigen Bilanzpressekonferenz mussten sie stapelweise Basisinformationen über Wertpapiere, Mifid-Broschüren, Fragebögen, Geeignetheitserklärungen, Vertragsformulare, Kostenberechnungen und manches mehr anschleppen. Die Botschaft von allen dreien ist stets die gleiche: Wertpapieranlage macht keinen Spaß mehr. Und das hat in diesem Kontext nichts mit jüngeren Kursentwicklungen zu tun.Was die Branchenpromis unisono anprangern, wird an der Banken- und Sparkassenbasis ebenso einhellig bestätigt. Wer selbst Anleger ist und sich zu allem Überfluss beraten lässt, mag seine eigenen Erfahrungen gemacht haben: Vergnügungssteuer muss bei Aktien- oder Fondsinvestments in der Tat nicht entrichtet werden. Schuld ist die seit dem 3. Januar anzuwendende EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive). Das Regelwerk, das auf den diversen Regulierungsebenen samt zugehöriger Materialien schlanke 20 000 Seiten umfasst, enthält dem interessierten Publikum nicht nur Informationen vor – zum Mifid-Thema Research siehe “Im Blickfeld” auf unserer gestrigen Meinungsseite. Es führt vielmehr im Verhältnis zwischen Bank und Anleger vor allem zu einem “Information Overkill”. Große Institute haben vor etwa einem Jahr viele Millionen Blatt Papier an ihre Kunden verschickt – und die meisten damit vermutlich mehr verwirrt als aufgeklärt.”Damit könnt Ihr mir gestohlen bleiben”, meinen die zunehmend regulierungsverdrossenen Anleger, die obendrein die Kosten des Megaaufwands tragen müssen, indes nicht allein wegen des Tsunami an Informationen, der sie überschwemmt. Dass Politiker, Regulatoren und Aufseher in der sicher guten Absicht, nach den Erkenntnissen aus der Finanzkrise die Anleger vor für sie ungeeigneten Produkten zu schützen und Kostentransparenz zu schaffen, weit übers Ziel hinausgeschossen haben, zeigt sich nicht zuletzt an der Pflicht, Telefonate aufzuzeichnen, sobald die Intention für eine Wertpapierorder erkennbar ist. Aber wann ist sie erkennbar? Weil kein Berater seinen Job riskieren will und der Aufsicht der Pragmatismus abhandengekommen scheint, entscheidet er sich hier wie bei anderen Regeln für die engste Auslegung respektive die umständlichste Variante. Es wird also das komplette Gespräch mitgeschnitten.Dies ist nach gut zehn Monaten praktischer Mifid-II-Erfahrung einer der großen Aufreger, zumal die Institute selbst auf ausdrücklichen Kundenwunsch nicht auf die Aufzeichnung verzichten dürfen. Mit dem Banker seines Vertrauens bespricht der Anleger aber gerne auch mal ein intimes Erbschafts- oder Steuerthema der Familie oder seines Unternehmens. Und wer hört da nun alles mit oder – etwa bei Kundenbeschwerden – später ab? “Nur” die Compliance-Abteilung? Auch der Wirtschaftsprüfer? Die Aufsicht? Die Bank muss ja im Zweifel beweisen, dass sie sich regelkonform verhält.Bei einer solchen Attacke auf die Privatsphäre und der wegen des Aufzeichnungszwangs damit einhergehenden “Entmündigung” sagen viele Kunden: “Beratung? Nein, danke!” Dies umso mehr angesichts der langwierigen Prozedur inklusive des Erstellens von Eignungsberichten (bei jedem Geschäft!) und des Verlesens oder Übermittelns seitenlanger Kostenstatements. Das kann selbst im eingespielten Zustand locker fünf bis zehn Minuten pro Order dauern und ist dementsprechend kostenträchtig. Das Motto “Beratung? Nein, danke!” machen sich daher auch Banken und Sparkassen immer öfter zu eigen und folgen dem Schritt, den das Bankhaus Metzler schon bei der Mifid I ging. So vermeiden sie Kosten und Haftungsrisiken. Eine Alternative für Bank und Anleger ist die Vermögensverwaltung. Hier begibt sich der Kunde jedoch ganz in die Hände des Instituts – nicht jedermanns Sache. Und viele, die auf Beratung angewiesen wären, bekommen sie nicht mehr angeboten oder können sie sich nicht mehr leisten.Das Ergebnis könnte ein Anlegerschutz sein, der nicht mal im Sinne des Erfinders wäre: der “Schutz” zum Beispiel der Vorsorgesparer vor jeglicher für sie sinnvollen Wertpapieranlage. “Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht” – selten trifft die Redewendung so zu wie hier. Europas Gesetzgeber sind gefordert, solche Regulierungsauswüchse rasch abzuschneiden. —–Von Bernd WittkowskiEuropas Gesetzgeber müssen Regulierungsauswüchse, wie sie zum Beispiel die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II zutage fördert, rasch abschneiden. —–