SERIE: BANKEN IM DIGITALEN WANDEL (5)

"Besser nach Versuch und Irrtum vorgehen"

Die digitale Transformation geht zu langsam und zu wenig tiefgreifend voran - Monetarisierung als großes Problem

"Besser nach Versuch und Irrtum vorgehen"

Die Digitalisierung des gesamten Unternehmens steht bei vielen Banken zwar ganz oben auf der Agenda. Mit der Umsetzung hapert es aber noch erheblich. Im Back Office sind die Fortschritte viel größer als im direkten Kontakt mit den Kunden. Stolpersteine sind die IT und die Generierung von Erlösen aus digitalen Dienstleistungen.Von Thomas List, FrankfurtDie Digitalisierung betrifft alle Bereiche einer Bank. Es geht nicht nur um Veränderungen in der IT, sondern um eine grundsätzliche Umstellung des Geschäftsmodells. Betroffen sind die Verarbeitung von Geschäftsvorfällen im Back Office und der Kontakt zwischen Kunde und Bank (Front Office). “Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle steht im Vordergrund der meisten Aktivitäten, denn der Retailkunde muss heute seine Transaktionen über verschiedene Kanäle abwickeln können”, sagt Markus Franke, Partner bei der Unternehmensberatung Bearingpoint und verantwortlich für die Service Line “Digital Customer Management”, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. “Dazu gehören natürlich die Online-Medien, aber nach wie vor auch das Callcenter.” Dabei seien Institute wie die Postbank schon relativ weit. Back Office kaum umstrittenAm wenigsten umstritten sind nach Ansicht Frankes Effizienzgewinne, die sich durch digitalisierte Prozesse im Back Office erreichen lassen. “Dabei geht es zum Beispiel um die Erhöhung der Dunkelverarbeitungsquote, bei der Kundenvorgänge vollautomatisch ohne Eingriffe von Mitarbeitern abgeschlossen werden können.” Die meisten Fragen gibt es bei der besseren Nutzung der Daten (Big Data). “Viele denken darüber nach. Aber keiner hat bisher den Schlüssel für eine optimale Datenanalyse gefunden.” Ebenso liegt auch das Feld der echten digitalen Produktinnovationen noch brach.Kritik übt Franke an der Umsetzung der Digitalisierungsstrategien in den Unternehmen. “Die Firmen in den USA und Großbritannien sind in diesem Bereich viel weiter: Hier gibt es schon den Chief Digital Officer in der obersten Führungsebene.” In Deutschland sei ihm eine solche Position nur bei SAP bekannt. “In den anderen Unternehmen ist die Digitalisierungsverantwortung meist in der Ebene unter dem Vorstand angesiedelt und auf verschiedene Köpfe verteilt.” In diese Richtung deutet auch eine Befragung von Managern von mehr als hundert deutschen Banken durch die Unternehmensberatung Q-Perior und das Institut für Wirtschaftsinformatik der Frankfurt School of Finance & Management. Danach liegt die digitale Transformation meist in der Verantwortung der IT (59 % der Banken) und der Fachseite (44 %). Bei 54 Prozent trägt der Vorstand die (Mit-)Verantwortung. VerbesserungspotenzialAber auch bei der Durchführung von Digitalisierungsprojekten gibt es Verbesserungspotenzial. Bei ihnen stehe zu stark die klassische Wirtschaftlichkeitsrechnung im Zentrum, kritisiert Bearingpoint-Berater Franke. “Statt das Projekt als Business Case zu betrachten, das sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums rechnen muss, sollte besser nach der Methode Versuch und Irrtum vorgegangen werden.” Wie in der Venture-Capital-Finanzierung würden von zehn Projekten fünf bis sieben eben nicht funktionieren. “Die restlichen drei bis fünf fliegen aber und können vorher unter Laborbedingungen getestet werden.”Die Interaktion zwischen Bank und Kunde muss komfortabel und medienbruchfrei verlaufen, findet Fabian Flach, Leiter Geschäftsbereich Financial Services in Deutschland sowie Mittel- und Osteuropa. “Als Bankkunde will ich durch die Digitalisierung einen Mehrwert haben. Wenn ich mir in einem Autohaus ein bestimmtes Modell ansehe, möchte ich über mein Smartphone von meiner Bank wissen, ob das zu meiner finanziellen Lage passt und ob und gegebenenfalls zu welchen Konditionen ich einen Kredit bekomme. Diese Informationen – und idealerweise auch die Zusage – will ich sofort haben.” Medienbruchfrei bedeutet für Flach, dass der Kunde der Bank seine Daten nur einmal geben muss. “Wenn ich bei der Berechnung meiner Hausfinanzierung online nicht mehr weiterkomme und ich deshalb einen Bankmitarbeiter frage, muss dieser wissen, wo ich bei der Dateneingabe stehe und wo mein Problem ist.”Ein großes Problem bei der Entwicklung digitaler Ökosysteme ist die IT. “Ohne sie geht es nicht”, sagt Bearingpoint-Berater Franke. “Aber die Kernbankensysteme der meisten Banken haben alte, inflexible Strukturen, die sich nur sehr schwer und mit erheblichem Aufwand in ein Multikanalsystem einbinden lassen.” Deshalb werde häufig eine Pilotierungsstrategie verfolgt, nach der nur einzelne Dienstleistungen digital angeboten werden – zum Beispiel Benachrichtigungen bei Kreditbewilligungen oder bei der Überziehung des Dispolimits. “Die Frage lautet aber: Sind solche Dienste bepreisbar? Und wenn ja, wie funktioniert dann die Integration in die bankeigenen Abrechnungssysteme?” Optimierung reichtViele Banken geben sich aber als Ergebnis der digitalen Transformation mit optimierten Geschäftsprozessen, besserer Kundenbindung und einer stärkeren Wettbewerbsposition zufrieden. Neue Umsatzquellen oder gar höhere Margen stehen hingegen nicht so im Vordergrund, zeigt die Befragung von Q-Perior (s. Grafik).Hier setzt auch Dominic Böhmer, Associate Partner bei der Unternehmensberatung Horn & Company Financial Services in Düsseldorf, an. Der Aufbau weiterer Vertriebskanäle wie online, Telefon und Videoberatung reiche nicht. “Im nächsten Schritt geht es um die Frage: Wie generiere ich mit Hilfe dieser neuen Kanäle zusätzliche Erträge?” Böhmer will dieses Ziel sowohl im Privatkunden- als auch im gewerblichen Geschäft durch zwei Maßnahmen erreichen: Zum einen sollen über diese neuen Kanäle weitere Serviceprozesse an die Kunden verlagert werden. Beispiele sind Limitänderungen bei Kreditkarten, Verlängerung von Festgeld oder Fragen zum Ratenkredit. “Auch im kleinteiligen gewerblichen Geschäft gilt es, den Berater von Routineaufgaben wie der Verwaltung von Kreditkarten oder sogar dem Abschluss von Basisprodukten wie Festgeld oder Finanzierungen innerhalb bestehender Kreditlimite zu entlasten, damit er sich voll auf den Vertrieb seiner Kernprodukte konzentrieren kann.” Vertrieb umstellenZum anderen müssten die Banken ihre Filialen als integrativen Teil der Digitalisierungsstrategie begreifen und auf proaktive Vertriebsleute umstellen. Das bedeute Abschied nehmen von der (einseitigen) Serviceorientierung, die vor einigen Jahren propagiert wurde. “Die Anforderungen an die Vertriebsmitarbeiter steigen: Sie müssen Kunden betreuen und zu einem ,Personal Finance Manager` werden.” Aktionen von Kunden in anderen Kanälen müssten die Vertriebsmitarbeiter in den Filialen zum Anlass für eigene Aktivitäten nehmen. “Wenn ein Kunde die Online-Berechnung einer Baufinanzierung auf den bankeigenen Seiten abgebrochen hat, kann das Anlass für seinen Kundenbetreuer sein, ihn auf die Gründe anzusprechen und zu einem persönlichen Beratungsgespräch einzuladen.”Dafür müssten die Bankmitarbeiter nach Ansicht Böhmers weiterqualifiziert werden. “Es geht um einen sozialverträglichen Mix aus Weiterentwicklung und Neueinstellungen insbesondere aus führenden Anbietern der digitalen Welt.” Böhmer will auf ältere Mitarbeiter keineswegs verzichten. “Viele 50- bis 60-jährige Kunden fühlen sich bei einem Bankberater ihres Alters besser aufgehoben als bei einem ganz jungen.” Dass der Aufbau einer Vor-Ort-Präsenz auch für ursprünglich filiallose Anbieter sinnvoll sein kann, zeigt für Böhmer das Beispiel der Interhyp: “Der Baufinanzierungsvermittler hat Hubs an mehr als 80 Standorten in Deutschland aufgebaut, weil sich gezeigt hat, dass die Abschlussquoten im direkten Kundengespräch am höchsten sind.”Die Straffung der Filialnetze hält Böhmer für ratsam, da in kleinen Einheiten mit ihren geringen Frequenzen die Beratungsqualität kein ausreichendes Niveau erreichen könne. “Die Aufsicht fordert Mitarbeiter mit einem immer höheren Qualifikationsniveau. Dafür sind große Stückzahlen bei der Beratung erforderlich.” Ohne die von ihm skizzierte Verknüpfung von neuen Vertriebskanälen mit der Filiale befürchtet Böhmer aber einen Dominoeffekt der fortgesetzten Filialschließungen.Nach Ansicht von Böhmer haben die meisten Filialbanken noch viel Potenzial bei der Umstellung ihres Geschäftsmodells von analog auf digital. “Viele haben ihr Potenzial erst zu 10 oder 20 % ausgeschöpft.” Das Potenzial sieht er insbesondere bei Sparkassen und Volksbanken, wenn diese die elektronischen Kanäle noch stärker mit ihrer regionalen Vormachtstellung und persönlichen Erreichbarkeit verknüpfen. Weiter WegWie weit der Weg noch ist, zeigt die Befragung von Bankmanagern durch Q-Perior. 70 % der Banken haben zwar schon Markt- und Kundenstudien durchgeführt und 60 % ihre Digitalisierungsstrategie entwickelt. Aber erst bei 35 % wurden bereits Digitalisierungsplattformen eingeführt (siehe Grafik).—-Zuletzt erschienen:- Steile Lernkurve bei den Kreditgenossen (19. August)- Inspiration aus Polen (18. August)