SERIE: BANKING IN DER NISCHE - SERIE ZU RANDGESCHÄFTEN: GASTBEITRAG (5)

Beyond Banking - Heilsbringer oder Luftschloss?

Börsen-Zeitung, 15.1.2020 Nichts ist so beständig wie der Wandel, das wusste schon Heraklit von Ephesos vor über 2 500 Jahren. Auch in der Wirtschaft gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die sich diese Überzeugung zu Eigen gemacht haben und mit...

Beyond Banking - Heilsbringer oder Luftschloss?

Nichts ist so beständig wie der Wandel, das wusste schon Heraklit von Ephesos vor über 2 500 Jahren. Auch in der Wirtschaft gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die sich diese Überzeugung zu Eigen gemacht haben und mit anhaltendem Markterfolg belohnt wurden. Angefangen bei einem Reifenhersteller, der auf die Produktion von Handys umgestiegen ist, über eine Versand-Videothek, die sich zum Filmproduzenten und Streamingdienst entwickelt hat, bis hin zu einem digitalen Buchgeschäft, das mittlerweile der Inbegriff des Versandhandels ist und heute über seine Cloud-Dienstleistungen besagten Streamingdienst hostet. Ein Service, der klar jenseits, also “beyond”, des eigenen Kerngeschäfts liegt.Vor dem Hintergrund unter Druck geratener Ertragsquellen stellen sich die Geschäftsleiter europäischer Banken zunehmend die Frage, welchen Beitrag “Beyond Banking” zur Steigerung ihrer Ertragskraft leisten kann. Beyond Banking bezeichnet zumeist Angebote, die erkennbar über das klassische Bankgeschäft hinausgehen – wobei in einigen Häusern auch banknahe Dienstleistungen darunter subsumiert werden.Unter Beyond Banking können zum Beispiel Data-Analytics-Angebote wie auch die Bereitstellung einer Plattform zur Vermittlung von Angeboten Dritter oder von Paketen aus Bank- und Nichtbank-Produkten fallen. Doch ist diese Entwicklung tatsächlich der erhoffte Heilsbringer für die Finanzbranche? Um das Potenzial von Beyond Banking für das eigene Haus einschätzen zu können, sollten sich Banker mit drei Spannungsfeldern beschäftigen: der zukünftigen Rolle innerhalb der Gesamtstrategie, der Ertragsambition sowie der Angebotsausgestaltung.Mit Blick auf die Strategie ist zu prüfen, inwieweit Beyond-Banking-Angebote das Potenzial besitzen, sich zu einem neuen Kerngeschäft zu entwickeln. Aktuell deutet wenig darauf hin, dass die neuen Angebote das bestehende Kerngeschäft der Banken ablösen können, denn die Zusatzerträge werden voraussichtlich keine ausreichende Relevanz erlangen. Stattdessen zeigt Beyond Banking durchaus Potenzial als Einstiegsprodukt für Neukunden, die durch die Attraktivität der neuartigen Beyond-Banking-Angebote gewonnen werden und anschließend mittels Cross Selling auch mit klassischen Bankprodukten bedient werden können. Damit ließe sich das konventionelle Kerngeschäft der Institute stärken. Ebenso ist denkbar, dass die Beyond- Banking-Angebote das Standard-Portfolio dauerhaft erweitern und im Sinne einer eigenständigen Produktgruppe inkrementelle Zusatzerträge erwirtschaften. Fingerspitzengefühl gefragtZudem muss die Frage beantwortet werden, welche Ertragsambition mit Beyond Banking verbunden wird. Die Markterfahrung zeigt, dass einige europäische Banken eine signifikante Ertragsgröße aufrufen und somit ihren Anspruch an die Entwicklung der neuen Angebote unterstreichen. In der Mehrheit der Fälle handelt es sich dabei allerdings (noch) um Ausdruck eines strategischen Willens, der konkreten Ideen und Produkten unterfüttert werden muss. Bei aller Unsicherheit sollten sich Banken jedoch (zumindest intern) einem konkreten Ambitionslevel verschreiben, um die Organisation zu mobilisieren und das Thema greifbar zu machen. Gleichzeitig muss dieses Ambitionslevel mit Fingerspitzengefühl kalibriert werden. Ist die Vorgabe zu niedrig angesetzt, besteht die Gefahr, dass der Druck für die Entwicklung und Umsetzung neuartiger Angebote zu gering ist und somit die Erfolgswahrscheinlichkeit sinkt. Zu hoch angesetzte Ziele könnten dagegen unter realistischen Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden, was die Gesamtzielerreichung torpediert und somit der Glaubwürdigkeit des Managements nach innen wie nach außen schadet.In der Ausgestaltung von Beyond- Banking-Angeboten sollten Banken stets berücksichtigen, welchen Mehrwert sie für ihre Kunden erbringen können, um als relevanter Partner in Betracht gezogen zu werden. Im Privatkundengeschäft sind Anzeichen für die Offenheit der Kunden für Beyond Banking klar erkennbar: Einige erfolgreiche Neobanken stellen in ihrem Wertversprechen und in ihrem Ertragsmodell Beyond-Ban-king-Komponenten klar nach vorn. Firmenkunden scheinen hingegen aktuell noch uneins, was sie von entsprechenden Angeboten halten. Allerdings ist ihre praktische Erfahrung von Firmenkunden mit Beyond Banking sehr limitiert.Derzeit existiert für Banken noch kein Patentrezept im Umgang mit diesem neuen Trend. Die Institute sind selbst gefragt, ihre Kunden mit einem klaren Wertversprechen für Beyond-Banking-Angebote zu begeistern und die Legitimität ihrer zusätzlichen Produkte zu beweisen. Der wichtigste Aspekt, um aus Beyond Banking einen Heilsbringer und kein Luftschloss zu machen, ist der für den Kunden erkennbare Mehrwert des neuen Angebots. Um diesen zu entwickeln, bedarf es eines intelligenten Vorgehens in der Erweiterung des Fähigkeitensystems der Banken. Strategische Überlegungen von Akteuren im Firmenkundengeschäft zeigen unterschiedliche Ansatzpunkte in der Ausgestaltung derartiger Angebote. Zu diesen gehören etwa die Vermarktung von Markterkenntnissen auf Basis von Datenanalysen von Konsumentenzahlungen, das Benchmarking von Unternehmen gegeneinander, beratungsnahe Services oder auch Plattformlösungen mit gebündelten Angeboten zur Mitarbeiterbindung bei Mittelständlern. Gerade bei Instituten, die sich auf bestimmte Kundengruppen spezialisiert haben, scheint ein Ökosystem- bzw. Plattformansatz attraktiv zu sein.Die erfolgreiche Ausgestaltung eines neuen Angebots erfordert zudem eine klare Selbstverpflichtung der Führungsebene zu einer Beyond Banking-Agenda. Nur mit den nötigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Entwicklung der neuen Angebote kann Beyond Banking gelingen. Analog zu ersten Digitalisierungsvorhaben vor einigen Jahren ist ein dediziertes Team erforderlich, das mit der Erlaubnis zum Scheitern in ersten Ansätzen, einschließlich Fehlinvestitionen, ausgestattet wird. Derartige risikoreichere Trial-and-Error-Unternehmungen sind für Institute schwierig zu implementieren, die von der Unternehmenskultur her eher in der klassischen Risikobetrachtung im Kreditgeschäft beheimatet sind.Wie viele andere Industrien sieht sich auch die Finanzbranche mit einigen disruptiven Entwicklungen für ihr traditionell gewachsenes Geschäftsmodell konfrontiert. Klug und passgenau konzipiert kann Beyond Banking für Institute mehr sein als ein Luftschloss am Horizont. Hinter dem Schlagwort steckt die zentrale Frage, ob es der Branche gelingt, ihr Geschäftsmodell um neue Ertragsquellen zu erweitern. Selbst wenn die Antwort erst in einigen Jahren feststehen wird, ist es bereits heute an den Banken, sich mit der Entwicklung neuartiger Angebote auseinanderzusetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und es nicht zu versäumen, aus Beyond Banking einen Ertragsbringer zu machen. Robert Bischof, Partner PwC Strategy& und Felix Becht, Director PwC Strategy& Zuletzt erschienen: Zusatzgeschäfte zahlen sich bislang kaum aus (14. Januar) Gratisbroker stürmen auf deutschen Markt (11. Januar)