SERIE: BANKEN IM DIGITALEN WANDEL (SCHLUSS)

Big Data und Datenschutz beschäftigen Banken

Börsen-Zeitung, 10.10.2015 Unzählige Google-Nutzer akzeptieren die Analyse ihrer Suchanfragen und ihres Mailverkehrs. Auch Amazon und weitere Größen der IT-Branche setzen im hohen Maße "Big Data" ein, um ihre Dienstleistungen zu verbessern und neue...

Big Data und Datenschutz beschäftigen Banken

Unzählige Google-Nutzer akzeptieren die Analyse ihrer Suchanfragen und ihres Mailverkehrs. Auch Amazon und weitere Größen der IT-Branche setzen im hohen Maße “Big Data” ein, um ihre Dienstleistungen zu verbessern und neue Werte zu schaffen. In Reinform zielen Big-Data-Ansätze darauf ab, dass Computeralgorithmen die Komplexität unseres Alltags durchdringen und in großen und unstrukturierten Datenbeständen nützliche Zusammenhänge und Informationen finden. Solche Methoden führen das Informationszeitalter konsequent weiter: Die IT ist schon lange nicht mehr nur sture Gehilfin, sondern steuert mit dem berechneten Wissen Unternehmen und die Gesellschaft mit.Auch in der digitalisierten Finanzbranche stellt sich die Frage, wie weit Banken gehen sollten bei der Auswertung von Daten. Die Branche verfügt angesichts vieler Geschäftsfelder und unzähliger Transaktionen über einen enormen Datenschatz. Die Digitalisierung macht immer mehr Daten verfügbar. Macht es einen Unterschied, ob ein Algorithmus ein bestimmtes Buch oder eine bestimmte Altersvorsorge empfiehlt?Gerade für die wissensintensive Bankenbranche ergeben sich viele Ansatzpunkte für die Datenauswertung: Sie können Kunden individueller betrachten, ihnen maßgeschneiderte Finanzierungen, Anlageprodukte und passende Services vor Ort bieten. Bei der Kreditvergabe können sie unzählige Datenpunkte aus internen Transaktionen, sozialen Netzwerken und anderen Quellen zusammenführen, um ein aussagekräftiges Bild von Kreditnehmern zu zeichnen. Mit durchdachter Datenauswertung muss die Bank Trends nicht mehr hinterherlaufen, sondern spürt sie quasi in Echtzeit auf. Keine VorreiterNoch aber laufen die meisten Banken den Vorreitern der digitalen Technologien hinterher, wenn es darum geht, Daten nutzbar zu machen: Der schönen Theorie folgt nicht gleich die beherzte Tat. Die Zurückhaltung der Banken führe ich auf drei unterschiedliche Tatsachen zurück, die aus meiner Sicht ebenso unterschiedlich zu bewerten sind.Erstens liegt die Bankenbranche bei den technischen und organisatorischen Voraussetzungen eines anspruchsvollen Datenmanagements noch weit hinter den Vorreitern zurück – Ausnahmen bestätigen die Regel. Banken haben nach wie vor mit siloartigen und teils veralteten Strukturen ihrer IT zu kämpfen. Der tägliche Bankbetrieb macht einen radikalen Umbau alles andere als einfach.Die Branche kann es sich allerdings nicht leisten, den Umbau aufzuschieben. Für die Bankenaufsicht gibt es mehrere Gründe, Rückstände in der Datenverwaltung kritisch zu sehen. Ein Flickwerk der unternehmensweiten Datenverarbeitung stößt schnell an Grenzen, wenn es auf Knopfdruck wichtige Unternehmenskennzahlen berechnen soll. Aufeinander abgestimmte und zuverlässig funktion ierende IT-Strukturen sind aber wesentlich, damit die Geschäftsführung über Risiken jederzeit gut informiert ist und sie steuern kann. Zudem trägt mittelfristig ein zeitgemäßes IT-System zur Kosteneffizienz bei und eröffnet einige neue Geschäftsfelder. Angesichts niedriger Zinsen und einer allgemeinen Ertragsschwäche im Bankensektor wird die Unternehmens-IT immer mehr zu einem wichtigen Handlungsfeld des Managements.Der zweite Grund für die eingeschränkte Nutzung von Big Data sind die hohen Datenschutzbestimmungen in Deutschland. Banken und andere Unternehmen können nicht ohne Weiteres personenbezogene Daten verarbeiten. Sie müssen die Einwilligung der Betroffenen einholen oder zumindest Sorge tragen, dass bei verarbeiteten Daten kein Rückschluss auf einzelne Personen möglich ist. Die Abwägung zwischen dem Datenschutz einerseits und dem Nutzen der Datenauswertung andererseits muss meiner Ansicht nach weiterhin auf gesellschaftlicher Ebene erfolgen. Denn Big Data berührt unser gesellschaftliches Leben in vielen Bereichen, angefangen bei der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen für automatisierte Kaufempfehlungen bis hin zur präventiven Jagd auf Verbrecher.Es ist grundsätzlich zu klären, welchen Stellenwert die Gesellschaft dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Schutz vor Manipulation von und durch Daten in der Datenverarbeitung einräumt. Zu begrüßen ist daher, dass es einen Vorstoß auf europäischer Ebene gibt, die Handhabung des Datenschutzes europaweit zu harmonisieren. Vertrauen entscheidendDrittens ist die Finanzbranche nur eingeschränkt vergleichbar mit anderen Branchen, die ebenfalls große Datenmengen auswerten. Denn Banken sind in ihrem Geschäft ganz besonders auf Vertrauen angewiesen. Nur so können sie Privatkunden und Unternehmen bei teils existenziellen Entscheidungen zur Seite stehen. Das Vertrauen setzt voraus, dass Daten nicht nur sicher aufbewahrt, sondern auch vor Zweckentfremdung und Missbrauch geschützt werden.Umfragen zeigen, dass die Menschen den Banken beim Thema Datenschutz mehr vertrauen als anderen digitalen Dienstleistern. Statt einer heraufbeschworenen Auflösung der Finanzdienstleistungen im Angebotsspektrum der digitalen Alleskönner werden hier sicherlich auch in Zukunft Trennlinien wahrgenommen. Banken tun also gut daran, sich nicht allein an den Datenschutzstandards, sondern insbesondere an dem Schutzbedürfnis ihrer Kundschaft auszurichten. Vertrauen bleibt inhärenter Bestandteil des Bankwesens, und daraus wird sich nach meiner Einschätzung ein Trumpf im Wettbewerb um Kunden ergeben. Bankenaufseher sind daran interessiert, dass dieses Qualitätssiegel erfüllt bleibt. Daher ist die Erfüllung der Datenschutzanforderungen Bestandteil unserer Prüfungen.Die Einwilligung der Kunden zu umfassenden Datenauswertungen sollte nicht als Patentrezept zur Umgehung des Datenschutzes verstanden werden. Denn das Vertrauensverhältnis bleibt davon unberührt. Und Algorithmen, die Daten auswerten, können ein unkontrolliertes Eigenleben entwickeln. Im Hochfrequenzhandel haben wir dies in der Vergangenheit beobachtet, in anderen Bereichen wie der Kreditvergabe oder der Anlageberatung ist es also ebenso denkbar. Letztlich sind es in den Banken weiterhin Menschen, die Verantwortung übernehmen müssen, besonders, wenn es sich um Entscheidungen mit gesellschaftlicher Tragweite oder großen persönlichen Folgen handelt. Führung gefragtAll dies bedeutet aber nicht, dass Big Data in Banken keine Rolle spielen sollte. Als Mittel zur Komplexitätsreduktion und zur effizienten Steuerung von Risiken sind intelligente und lernfähige Analysemethoden wünschenswert. Wenn Banken wichtige Entscheidungen ihrer Kunden begleiten, halte ich vor allem Seriosität für entscheidend. Das Maß hierfür ist nicht vollendete Dateneffizienz, sondern der nachhaltige Vorteil aller Beteiligten.Datenschutz hat weiter einen eigenständigen Wert. Und Produkte und Anwendungen müssen von den Verantwortlichen verstanden werden, Algorithmen müssen nachvollziehbar bleiben. Für die Führung einer Bank heißt das, das Zepter der menschlichen Urteilskraft beim Datenmanagement nicht aus der Hand zu geben. Datenmanagement ist eine Aufgabe für die alleroberste Führungsebene einer Bank.—-Zuletzt erschienen:- Die Bethmann Bank strebt eine “andere Agilität” an (2. Oktober)- Tesla Financial setzt auf Leasing per Mausklick (29. September) —-Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank