Bilanzbluff führt zum Kollaps
Der Bilanzbetrug mit einem mutmaßlichen Schaden von 1,9 Mrd. Euro hat den in einer tiefen Vertrauenskrise steckenden Zahlungsabwickler Wirecard zum Kollabieren gebracht. Das Dax-Mitglied reichte beim Amtsgericht einen Antrag auf Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ein.sck München – Der von einem mutmaßlichen Bilanzbetrug und einer tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise schwer erschütterte Zahlungsdienstleister Wirecard steht vor der Pleite. Angesichts eines 1,9 Mrd. Euro umfassenden Lochs in der Konzernbilanz meldete die börsennotierte Obergesellschaft, die Wirecard AG, Insolvenz an. “Der Vorstand (…) hat entschieden, für die Wirecard AG beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu stellen”, teilte das Unternehmen mit Sitz in Aschheim bei München mit. Es werde geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Wirecard-Töchter gestellt werden müssen. Die bedeutendste Tochtergesellschaft in der Unternehmensgruppe ist dabei die mit einer Vollbanklizenz ausgestattete Wirecard Bank, die zuletzt über Kundeneinlagen von rund 2 Mrd. Euro verfügte.Das zuständige Amtsgericht München ernannte noch keinen Insolvenzverwalter, sondern schaltete die Kanzlei von Michael Jaffé als Sachverständigen ein. Der auf Insolvenzen spezialisierte Anwalt solle ein “eiliges” Gutachten erstellen.Die Wirecard-Aktie wurde an der Börse für 60 Minuten vom Handel ausgesetzt. Nach Wiedereröffnung des Handels stürzte das Papier zeitweise um 80 % auf 2,50 Euro ab. Am Donnerstag beendete der Titel den Xetra-Handel bei 3,53 Euro (-71,3 %). Vorgehen “konspirativ”Das ist die erste Insolvenz eines Dax-Mitglieds seit der Einführung des Börsenindex im Jahr 1988. Vor einer Woche verweigerte der Abschlussprüfer Ernst & Young (EY) nach viermaliger Verschiebung der Vorlage der Bilanz für 2019 sein Testat für das Zahlenwerk. Der Grund: EY stellte nach Hinweisen fest, dass verbuchte Treuhandkonten bei zwei philippinischen Banken von insgesamt 1,9 Mrd. Euro nicht existierten. Das Geld ebenfalls nicht.Nach Bekanntgabe des Insolvenzantrags äußerte sich EY umfassender zum Bilanzskandal. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geht von schwerer Kriminalität in quasi weltumspannendem Maßstab aus. “Es gibt deutliche Hinweise, dass es sich um einen umfassenden Betrug handelt, an dem mehrere Parteien rund um die Welt und in verschiedenen Institutionen mit gezielter Täuschungsabsicht beteiligt waren”, erklärte EY (vgl. BZ vom 19. Juni).”Konspirativer Betrug, der darauf abzielt, die Investoren und die Öffentlichkeit zu täuschen, geht oft mit umfangreichen Anstrengungen einher, systematisch und in großem Stil Unterlagen zu fälschen”, so EY. “Auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen ist es unter Umständen nicht möglich, diese Art von konspirativem Betrug aufzudecken.” EY war jahrelang Abschlussprüfer von Wirecard.Aufgrund des für 2019 verweigerten Testats konnten 18 Gläubigerbanken auf die unverzügliche Rückzahlung eines Milliardenkredits pochen, da Wirecard bis dahin nicht mehr in der Lage war, bis dato eine Jahresbilanz vorzulegen. Wirecard lief Gefahr, Finanzauflagen der Gläubiger zu brechen. Die Aktie ging daraufhin abermals auf Talfahrt. Der Titel war Ende April an der Börse noch über 100 Euro wert, sackte dann aber ab, als der Sonderprüfer KPMG ebenfalls auf Ungereimtheiten im Rechnungswesen gestoßen war (“Untersuchungshemmnis”). Kündigung wahrscheinlich”Die Wirecard AG hat im Rahmen der normalen Geschäftstätigkeit Kredite von Finanzinstituten in Anspruch genommen. Die Wirecard AG hat mit den Kreditinstituten Verhandlungen geführt und dabei die jüngsten Entwicklungen berücksichtigt. Ohne eine Einigung mit den Kreditgebern bestand die Wahrscheinlichkeit der Kündigung und des Auslaufens von Krediten mit einem Volumen von 800 Mill. Euro zum 30. Juni 2020 und 500 Mill. Euro zum 1. Juli 2020″, berichtete das Unternehmen. “Der Vorstand ist zu der Überzeugung gelangt, dass in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine positive Fortführungsprognose nicht gestellt werden kann. Damit ist die Fortführbarkeit des Unternehmens nicht sichergestellt.”Verhandlungen mit den relativ vielen Gläubigern erwiesen sich für Wirecard als zu komplex und langwierig. Zudem mehrten sich die Anzeichen, dass Geschäftskunden im Payment-Bereich zu anderen Anbietern wechseln beziehungsweise von Wirecard abspringen wollen. Damit ist es dem Unternehmen nicht mehr möglich gewesen, den Geschäftsbetrieb ungestört fortzusetzen. Sonderverwalter für Bank”Die Wirecard Bank AG ist nicht Teil des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG.” Die Finanzaufsicht BaFin habe für das Tochterinstitut bereits einen Sonderbeauftragten eingesetzt. Die Freigabeprozesse für alle Zahlungen der Bank werden zukünftig ausschließlich innerhalb der Bank und nicht mehr auf Gruppenebene liegen”, erklärte Wirecard.