LEITARTIKEL

Bis 8 angezählt

Nicht erst seit dem Hochschwappen der Desinformationsflut in den asozialen Medien gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, bei deren Anblick der an Fake News gewöhnte Rezipient denkt: Oh, hübsch erfunden! Oder umgekehrt: Wer hat sich wohl...

Bis 8 angezählt

Nicht erst seit dem Hochschwappen der Desinformationsflut in den asozialen Medien gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, bei deren Anblick der an Fake News gewöhnte Rezipient denkt: Oh, hübsch erfunden! Oder umgekehrt: Wer hat sich wohl diesen Blödsinn ausgedacht? Übertreibung und Verzerrung sind seit der Antike Stilmittel der Satire. Auch am Dienstag glaubten in der Sparkassen-Finanzgruppe und darüber hinaus viele im ersten Moment an eine mehr oder weniger gelungene Spottgeschichte im Dunstkreis von Panama, Paradise und sonstigen Papers, als ihnen auf “bild.de” die Schlagzeile ins Auge stach: “Sparkassen-Chef wegen Steuerhinterziehung dran! Strafbefehl gegen Georg Fahrenschon”. Der CSU-Mann war bis 2011 bayerischer Finanzminister! Das Lachen über den Scherz blieb dem Publikum indes recht schnell im Halse stecken. Es war nämlich keiner.Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) hat erste Konsequenzen aus – je nach Sichtweise – dem Versäumnis (so Fahrenschon) oder der vorsätzlichen Straftat (so die Münchener Staatsanwaltschaft) seines Präsidenten gezogen. Die für die Mitgliederversammlung am gestrigen Mittwoch anberaumte Wahl des DSGV-Oberen, bei der Fahrenschon, seit 2012 im Amt, nach letztem Kenntnisstand der einzige Kandidat für die nächste sechsjährige Mandatsperiode gewesen wäre, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Man will den Abschluss des Steuerstrafverfahrens abwarten.Mit der Vertagung hat sich die Verbandsspitze für das kleinste Übel entschieden. Es gab nur schlechtere Alternativen: Fahrenschons sofortigen Rücktritt oder die Ankündigung, doch nicht für eine zweite Amtszeit bereitzustehen? Das hätte eine außergerichtliche Vorverurteilung bedeutet. Dann vielleicht “Augen zu und durch”, also Festhalten an der Wahl, mit dem Risiko eines desaströsen Ergebnisses? Keine gute Idee. Oder ein Überraschungseffekt: “Hoppla, hier komm ich, der oder die Gegenkandidat/in”? So drohte die Veranstaltung außer Kontrolle zu geraten. Die Verschiebung dagegen ist für alle Beteiligten zunächst einmal gesichtswahrend, so gut es unter den gegebenen Umständen geht. Und man gewinnt Zeit – vor allem auch Zeit, um mit der gebotenen Sorgfalt eine Nachfolgelösung zu suchen.Denn über eines dürfte sich die Organisation und sogar ihr amtierender Präsident selbst im Klaren sein, sosehr offiziell an seiner Kandidatur festgehalten wird: Fahrenschon ist bei allem Wohlwollen, das man ihm aus guten Gründen entgegenbringen möchte, nicht zu retten, auch wenn seine charakterliche Integrität nicht nur wegen der Unschuldsvermutung derzeit außer Frage steht. Ja, er kann juristisch rehabilitiert werden, sollte er Richter finden, die das allzu späte Begleichen einer in Summe sechsstelligen Steuerschuld eher als lässliche Sünde denn als Verbrechen werten. Doch schon der zeitliche Ablauf bringt den DSGV und seinen Vormann in die Bredouille: nächstes Gericht, nächste Wahlverschiebung? Ein letztinstanzliches, rechtskräftiges Urteil wird absehbar nicht innerhalb Fahrenschons Vertragslaufzeit bis Mai 2018 ergehen.Entscheidend ist aber etwas anderes. Selbst bei einem rechtlichen Freispruch erster Klasse, über dessen Wahrscheinlichkeit wir nicht spekulieren wollen, wäre Fahrenschon sparkassenpolitisch weg vom Fenster. Die Gründe nennt er in einem Rundbrief an die Vorstände der Finanzgruppe in womöglich unfreiwilliger Offenheit selbst: Er sei seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden, habe insoweit sicher den Erwartungen der Kollegen nicht entsprochen, der im Raum stehende Vorwurf belaste ihn selbst und die Sparkassen-Finanzgruppe. Das liest sich nicht gerade wie ein aussichtsreiches Bewerbungsschreiben für eine weitere Amtszeit.Hinzu kommt, dass nicht nur das obstinate Verhalten – zumal das eines Ex-Finanzministers – gegenüber dem Finanzamt von einer gewissen Naivität (mit Blick auf die drohenden Folgen) zeugt, sondern auch die weltfremde Vorstellung, einen vor etlichen Monaten erlassenen Strafbefehl über die Mitgliederversammlung hinaus verheimlichen zu können. Nicht wenige Gremienmitglieder sehen dadurch, öffentlichen Treueschwüren zum Trotz, das Vertrauensverhältnis erheblich gestört. Niemand will Fahrenschon hinrichten, wie mancherorts fabuliert wird. Aber der Amtsinhaber ist bis 8 angezählt. Wie will er da in schwierigen Verhandlungen über Regulierungsthemen oder die Zukunft einzelner Landesbanken glaubwürdig und wirkungsvoll auftreten?Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin hat begonnen, erste Namen werden herumgereicht. Bald nach dem Münchener Amtsgericht werden die DSGV-Mitglieder entscheiden.——–Von Bernd WittkowskiFahrenschons Rundbrief an die Vorstände der Gruppe liest sich nicht wie ein aussichtsreiches Bewerbungsschreiben für eine weitere Amtszeit als DSGV-Präsident.——-