LEITARTIKEL

Blessings Bilanz

Es gab bei Hauptversammlungen der Commerzbank schon mal mehr Gegenanträge und Wahlvorschläge von Aktionärsseite als jene sieben (teilweise zu verschiedenen Tagesordnungspunkten), die beim Treffen der Anteilseigner an diesem Mittwoch zur Debatte...

Blessings Bilanz

Es gab bei Hauptversammlungen der Commerzbank schon mal mehr Gegenanträge und Wahlvorschläge von Aktionärsseite als jene sieben (teilweise zu verschiedenen Tagesordnungspunkten), die beim Treffen der Anteilseigner an diesem Mittwoch zur Debatte stehen. Und nimmt man die Diktion der schriftlichen Eingaben als Indikator für den Umgangsstil, den die Eigentümer heute in der Frankfurter Messehalle 11 mit der Verwaltung pflegen werden, dann ging es sicher schon weitaus aggressiver zur Sache. Unvergessener Tiefpunkt war insoweit die Hauptversammlung 2013, als etliche Redner für ihre nachgerade vernichtenden und vor Polemik triefenden Schimpfkanonaden gegen die Vorsitzenden von Vorstand und Aufsichtsrat, Martin Blessing und Klaus-Peter Müller, immer wieder den tosenden Beifall Tausender Teilnehmer ernteten.Man weiß natürlich vorher nicht, was diesmal noch am Pult vorgetragen wird. Aber in den Gegenanträgen ist die Feststellung eines eigentlich ganz sachlich argumentierenden Aktionärs, jetzt seien “vermutlich die Tage bis zum Untergang gezählt”, schon ungefähr das Höchste der Gefühle. Der Mann schließt das übrigens aus dem bevorstehenden Abgang der Führungsspitzen, denen er inklusive der kompletten Gremien unter anderem wegen des “weiterhin drastischen Kursverfalls” der Commerzbank-Aktie die Entlastung verweigern will.Aber nehmen wir einmal an, dass es heute gesittet zugeht, was den handelnden Persönlichkeiten schon eingedenk ihrer bisherigen Lebensleistung ja absolut zu wünschen wäre: Ob die Aktionäre dem nun bereits Ende April ausscheidenden Blessing – sein Vertrag lief noch ein halbes Jahr länger – auf seiner letzten Hauptversammlung im bisherigen Amt wirklich einen versöhnlichen Abschied bereiten werden, wie hier und da zu lesen war? Und ob sie gar Lobeshymnen auf den bis 2018 mandatierten, aber erklärtermaßen auch nicht an seinem Stuhl klebenden Müller anstimmen?Tatsache ist, dass “Die Bank an Ihrer Seite” nach dem nicht nur aus Blessings Sicht “ganz ordentlichen Jahr” 2015 jedenfalls in einer Momentaufnahme durchaus wieder reputabel dasteht. Während das blaue Nachbarhaus vor Steuern ein Ergebnis von 6,1 Mrd. Euro in roten Zahlen geschrieben hat, liegen die Gelben mit einem auf 1,8 Mrd. Euro verdreifachten Vorsteuergewinn insoweit klar im grünen Bereich. Das dürften die in der Vergangenheit wiederholt zur Kasse gebetenen Anteilseigner, darunter als Großaktionär zu etwa 15 % die deutschen Steuerzahler, ebenso honorieren wie die ihnen zugedachte erste Dividende seit 2007: 20 Cent je Aktie, insgesamt 250 Mill. Euro. Das ist ja immerhin mal ein Anfang.Und die strategische Aufstellung der mit ihrer 533-Mrd.-Euro-Bilanz zweitgrößten deutschen Bank, die rund 16 Millionen Privat- plus 1 Million Geschäfts- und Firmenkunden betreut und mehr als 30 % des deutschen Außenhandels finanziert, kann man heute guten Gewissens als wettbewerbsfähig und zukunftsträchtig bewerten. Das gilt auch für die Digitalisierungsstrategie, bei der die Commerzbank gerade im Retail Banking mit den Töchtern Comdirect und MBank (Polen) schon lange auch im internationalen Maßstab zu den Vorreitern gehört.Schaut man indes über die Momentaufnahme hinaus, gerät in den Blick, dass bis hierhin ein langer und schmerzlicher Weg zurückgelegt wurde, auf dem das Institut von schweren Unfällen nicht verschont blieb. Mancher war selbstverschuldet. “Was wäre, wenn”-Betrachtungen mögen zwar spekulativ und die Thesen nicht beweisbar sein, aber es spricht sehr viel dafür, dass es der Commerzbank ohne die teuren Übernahmen der Eurohypo – 2005 von Müller verantwortet – und der Dresdner Bank – 2008 schon unter der Ägide Blessings, der den Erwerb bis dato für strategisch richtig, nur falsch terminiert hält – heute noch deutlich besser ginge. Ihre Probleme hätten dann andere gehabt. Zugestehen sollte das Publikum aber auch, dass man hinterher eben immer schlauer ist. Beispielsweise die Euro-Schuldenkrise, die manche Zielverfehlung jedenfalls zum Teil zu erklären vermag, zumindest in ihrer Wucht nicht vorhergesehen zu haben, kann man den Protagonisten kaum vorwerfen.Ziemlich sicher ist derweil, dass es den Aktionären besser ginge, denen “sehr viel zugemutet” wurde, wie der scheidende CEO jüngst einräumte. Obwohl sich der Aktienkurs gerade in den vergangenen zwei Wochen mächtig ins Zeug gelegt hat und am Dienstag bei 8,46 Euro schloss, bleibt seit dem Antritt Blessings als Vorstandssprecher und Müllers als Aufsichtsratsvorsitzender im Mai 2008 bei 139,29 Euro ein Verlust von knapp 94 %. Da gibt es für den neuen Bankchef Martin Zielke reichlich Luft nach oben.——–Von Bernd WittkowskiOb die Aktionäre dem Commerzbank-Chef auf seiner letzten Hauptversammlung einen versöhnlichen Abschied bereiten? Ihnen wurde sehr viel zugemutet.——-