FINANZEN UND TECHNIK - GASTBEITRAG

Blockchain: Mehrwert für den Finanzsektor

Börsen-Zeitung, 4.8.2018 Der Blockchain werden viele Anwendungsmöglichkeiten zugeschrieben. Auch für die Finanzindustrie kann sie einen gewaltigen Mehrwert bedeuten. Das von ihr ausgehende Veränderungspotenzial ist riesig. Der Begriff "Blockchain"...

Blockchain: Mehrwert für den Finanzsektor

Der Blockchain werden viele Anwendungsmöglichkeiten zugeschrieben. Auch für die Finanzindustrie kann sie einen gewaltigen Mehrwert bedeuten. Das von ihr ausgehende Veränderungspotenzial ist riesig. Der Begriff “Blockchain” beschreibt eine Technologie, die sicherstellt, dass Informationen in Datenbanken unveränderlich und nachvollziehbar abgelegt werden. Ein fertiges Produkt ist sie dabei nicht. Vielmehr ist sie eine Idee, welche die Datenspeicherung und den Datenaustausch sicherer machen kann und eine Reihe von Anwendungen ermöglicht: Die Blockchain kann bisherige Wertschöpfungsketten neu ordnen.Die Technologie sorgt als dezentrale Datenbank dafür, dass in jeder angeschlossenen “Datenbank” stets der aktuelle Stand abgebildet ist. Somit sind sie besser gegen Manipulation geschützt, denn der Aufwand, jede einzelne Instanz zu manipulieren, ist um ein Vielfaches höher und fast unmöglich. Kern der Technologie ist der Konsensmechanismus: Die beteiligten Datenbanken einigen sich auf eine Information, wodurch Hacker keine falschen Informationen in das System einschleusen können. Die anderen beteiligten Datenbanken würden eine solche Falschinformation als illegitim ansehen: Konsens verweigert! Gerade für den Finanzbereich ist diese Sicherheitsschleuse lohnenswert.Die bekannteste Blockchain-Anwendung, Bitcoin, schöpft ihre Vertrauenswürdigkeit aus dem Konsens einer komplizierten mathematischen Gleichung. Die Produktion von falschen Bitcoins ist dadurch nicht möglich. Für die Konsensbildung sind aber große Strommengen notwendig, was dem Bitcoin erhebliche Kritik einbringt. Der Teilnehmerkreis von Blockchain-Datenbanken kann – und das macht es für Unternehmen aus dem Finanzsektor interessant – individuell eingeschränkt werden. Für Kunden ist jedoch die Syntax “ihrer” Datenbank sichtbar: Sie können jederzeit nachvollziehen, ob die Daten – trotz erhöhter Schwierigkeit – manipuliert wurden. Auch lassen sich solche Blockchains ohne großen Strombedarf betreiben, da hierfür ein ressourcenschonender Konsensmechanismus verwendet werden kann. Die Blockchain erfüllt hier die Funktion eines Haupt- oder Nebenbuches, in ihr werden alle Transaktionen revisions- und fälschungssicher aufgezeichnet. Demnach hat sich die Bezeichnung “digital ledger services” – frei übersetzt “digitale Hauptbuch-Dienstleistungen” – für alle Anwendungsfälle im Unternehmensbereich eingebürgert.Die Digital Ledger Services übernehmen in der Finanzwirtschaft eine treuhandähnliche Funktion und stellen sicher, dass Transaktionen für alle beteiligten Parteien sicher und nachvollziehbar ablaufen. Mit Hilfe dieser Services können außerdem klassische Bankdienstleistungen schneller und günstiger abgewickelt werden. Erste Anwendungsfälle sind Emissionen von Schuldscheindarlehen, bei denen der gesamte Lebenszyklus des Schuldscheins digital und vollautomatisiert darauf abgebildet wird. Die Platzierung, die Zuteilung, sowie die Zins- und Rückzahlungsbestätigung sind komplett für alle beteiligten Parteien transparent auf einer gemeinsamen Datenbank einsehbar. Zu weiteren Anwendungsfällen gehören grenzüberschreitender Zahlungsverkehr, Wertpapierhandel und die Abwicklung von Finanzderivaten. Eine besondere Rolle haben die derzeit viel diskutierten Initial Coin Offerings (ICO), bei denen Anteile von Start-ups an Investoren verkauft werden. Mehrere Aufsichtsbehörden, darunter die BaFin, haben jedoch bereits festgestellt, dass ICOs grundsätzlich unter das Wertpapierhandelsgesetz fallen und somit wie “klassische” Wertpapieremissionen behandelt werden müssen.Schon heute ermöglicht es die Blockchain dem Bankensektor, neue Produkte schneller und günstiger zu präsentieren. In Zukunft werden Unternehmen, die diese Technologie nutzen, ein einwandfreies Kundenerlebnis, Transparenz und Sicherheit bieten können. Der erste Schritt ins nächste Level der Blockchain ist bereits getan. Blockchain-basierte Datenbanken sind in der Lage, Vertragsbeziehungen abzubilden und selbständig auszulösen.Smart Contracts genannt, sind diese eine vielversprechende Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie: Ein Vertrag wird automatisch abgewickelt, sobald eine vorab definierte Bedingung erfüllt ist. Dazu ist der Vertrag unabänderlich und für alle Beteiligten transparent im gemeinsamen Digital Ledger abgelegt. Smart Contracts schaffen Vertrauen, ohne kostspielige Instanzen einbinden zu müssen. So nutzt die Technologieplattform Teambrella Smart Contracts, um die Leistungsabwicklung von Versicherungsabläufen zu beschleunigen und gleichzeitig eine Nähe zum Endverbraucher herzustellen. Mehrere Personen zahlen einen monatlichen “Versicherungsbeitrag” und bilden ein Nutzerkollektiv. Das Ziel des Kollektivs ist etwa eine Automobilversicherung. Indem sich die Beteiligten nun auf einen Konsens und entsprechende Bedingungen einigen, kann bei einem Schadensfall am Auto zügig entschieden werden, ob Geld ausgezahlt wird. So verändern Smart Contracts das Geschäftsmodell der Assekuranz grundlegend. Zertifizierung von DiamantenEin weiteres Beispiel: Bisher war die Authentifizierung eines Dienstleistungsstromes eine mühselige und komplexe Angelegenheit auch – Stichwort Blutdiamanten – in der Prozesskette des Diamantenhandels. Erste Anwender nutzen die Blockchain bereits, um eine saubere Herkunft der teuren Steine festzustellen und für den Handel zu gewährleisten. So hat das Start-up Everledger über 1,8 Millionen Diamanten auf ihrer Blockchain, digital sind die wichtigen Merkmale jedes Steinchens – Farbe, Karat und Zertifikatsnummer – verzeichnet. Das zeigt: Denkbar ist der Einsatz von Smart Contracts überall, wo ein Warendienstleistungsstrom stattfindet und dann authentifiziert werden soll.Obwohl die Blockchain nicht zwingend für alle Szenarien erforderlich ist, kann sie der perfekte Baukasten für Visionäre sein, die an den Grundsätzen der “klassischen” Finanz- und Versicherungsindustrie rütteln wollen. Sei es die Entwicklung neuer Trading-Plattformen, durch die Doppelbuchungen ausgeschlossen werden, oder die Bearbeitung von Payments rund um die Uhr – schon heute testen Banken die Blockchain für erste Anwendungsfälle. Versicherer gehen hier erfahrungsgemäß etwas zaghafter vor und nutzen zunächst ei gene Labore für Pilotfelder.Fakt ist: Dezentralität, Transparenz und gemeinsame Kontrolle ohne externe Instanz sind die Antworten auf künftige Herausforderungen des Finanzsektors.—-Wadim Doulger, Senior Manager Financial Services bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft