Aktienhandel

Börsenstreit zwischen Brüssel und Bern köchelt weiter

Bundesrat und Schweizer Parlament prüfen die Aufhebung des Handelsverbots für Schweizer Aktien in der EU – zum Missfallen der Schweizer Finanzbranche. Derweil freut sich ein EU-Konkurrent.

Börsenstreit zwischen Brüssel und Bern köchelt weiter

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Börsenstreit zwischen Brüssel und Bern köchelt weiter

Bern prüft Aufhebung des Handelsverbotes für Schweizer Aktien in der EU – Finanzbranche ist „irritiert“ – Konkurrenz freut sich

dz Zürich

Einen Monat nach Abschluss der Verhandlungen um einen Schweiz-EU-Vertrag herrscht eine Art Tauwetter zwischen Bern und Brüssel. Schweizer Forscher dürfen sich wieder um die Teilnahme an europäischen Horizon-Programmen bewerben. Bern will im laufenden Jahr höhere Kohäsionszahlungen an strukturschwache EU-Länder zahlen. Und gemeinsam will man in den Jahren bis zur Ratifizierung des Vertrages für eine störungsfreie Umsetzung der bilateralen Handelsregeln und für einen sicheren Betrieb der Stromnetze sorgen.

In diesem Klima des Wohlwollens soll es für den seit fünf Jahren andauernden Börsenstreit zwischen Bern und Brüssel keinen Platz mehr geben. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) erwägt in Absprache mit verschiedenen Kommissionen des Parlamentes, ein seit 2019 von der Regierung (Bundesrat) erlassenes Verbot aufzuheben, unter dem Händler in der EU keine Aktien auf Schweizer Börsenplattformen mehr handeln dürfen.

Bedrohliche Situation für Six

Das Verbot war eine Reaktion auf den Entscheid Brüssels gewesen, der Schweiz die Äquivalenz der hiesigen Börsenregulierung abzuerkennen. Ohne die Schweizer Gegenmaßnahme hätten europäische Händler Schweizer Aktien nur noch in Paris, Frankfurt oder London, aber nicht mehr in der Schweiz handeln dürfen – eine bedrohliche Situation für die Schweizer Börsenbetreiberin Six. Nachdem die EU im Frühjahr 2024 die dieser Maßnahme zugrunde liegenden „relevanten gesetzlichen Grundlagen“ geändert habe, seien deren Auswirkungen auf den hiesigen Finanzplatz nur noch „marginal“, erklärt das SIF auf Anfrage. Die Schutzmaßnahme werde „grundsätzlich nicht mehr benötigt“.

Allerdings ist die Schutzmaßnahme im Prinzip schon seit 2021 obsolet. Damals hatte London im Zuge des Brexit die Börsenäquivalenz der Schweiz wieder anerkannt. Jene rund 30% des Handels mit Schweizer Aktien, die schon vor dem Börsenstreit nicht auf der Six-Plattform stattgefunden hatten, kehrten daraufhin sofort wieder an ihren alten Ort zurück – nach London.

Politische Symbolik

Seit Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist, hat die Aberkennung der Schweizer Börsenäquivalenz durch Brüssel fast keine materielle Bedeutung mehr. Denn wenn Schweizer Aktien im Ausland gehandelt werden, dann eigentlich nur in London, aber nicht in Paris, Amsterdam, Frankfurt oder an einer anderen EU-Börse.

Trotzdem zeigt sich die im Namen der Six sprechende Schweizerische Bankiervereinigung „irritiert“ davon, dass sich die Außenpolitischen Kommissionen beider Schweizer Parlamentskammern in den vergangenen Tagen bereits für eine Deaktivierung der Schutzmaßnahme ausgesprochen haben. Grund dafür gäbe es nur dann, wenn die EU-Kommission die Schweizer Börsenregulierung wieder als äquivalent anerkenne. Aber genau das ist bislang nicht passiert. Brüssel hat die gesetzlichen Grundlagen für die Schikane gegenüber der Schweiz zwar geändert, aber indem sie die Schweizer Börsenregulierung nicht als gleichwertig mit jener der EU anerkennt, bleibt die Schweiz quasi am Pranger.

Aberkennung der Börsenäquivalenz

Das ist Symbolik, ein unmissverständliches politisches Signal. Die Aberkennung der Börsenäquivalenz war ein Druckversuch gewesen, mit dem die EU-Kommission den damaligen Verhandlungen für ein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU zum Durchbruch verhelfen wollte. Insofern ist auch die weiter ausbleibende Äquivalenzanerkennung Brüssels als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen: Die Schweiz habe im Fall einer Ablehnung des vorliegenden Vertrages erneut mit politischen Gegenmaßnahmen zu rechnen.

Lachender Dritter in diesem ewigen Börsenstreit ist Euronext-Chef Stéphane Boujnah. Sein Ziel ist es, die europäische Gemeinschaftsbörse zu einem ernst zu nehmenden Gegenpol zu den weit größeren US-Börsen auszubauen. Unter dem Dach von Euronext operieren die Handelsplätze in Amsterdam, Paris, Brüssel, Dublin, Lissabon, Oslo und seit 2021 auch Mailand. Doch Boujnah fehlen wichtige Puzzleteile, zumal die Deutsche Börse als eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen selbst nach Größe strebt.

Offensive Euronext

Auch die Schweizer Börse hätte sich Frankfurt gerne einverleibt. Aber die Six geht ebenfalls ihren eigenen Weg und scheut sich dabei nicht, über den Zaun zu grasen. 2020 kaufte die Six die spanische Börse BME für 2,6 Mrd. Euro und überbot damit auch die Euronext. Diese Niederlage hat Boujnah offenbar bis heute nicht verdaut. Am Neujahrsapéro von Euronext in Paris sagte der Vorstandsvorsitzende vergangene Woche in offensiver Manier, die Integration der BME in die Six verlaufe offenbar holprig – „wir stehen zur Verfügung“, wenn Six die Börse wieder verkaufen wolle.

Ein Six-Sprecher winkte auf Anfrage umgehend ab: Die „BME trägt wesentlich zum operativen und finanziellen Erfolg von Six bei und ist entscheidend für die Wachstumsstrategie.“ Auch Boujnah kennt die Vorzüge der BME. Die von Misstrauen geprägte Stimmung zwischen Brüssel und Bern gereicht ihm zum Vorteil, wenn er politisch für seine europäische Gemeinschaftsbörse lobbyiert. In Mailand war Euronext der Six zuvorgekommen – nicht zuletzt aus politischen Gründen.

Bundesrat und Schweizer Parlament prüfen die Aufhebung des Handelsverbots für Schweizer Aktien in der EU – zum Missfallen der Schweizer Finanzbranche. Derweil freut sich ein EU-Konkurrent.

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