GASTBEITRAG

Bond statt Bank

Börsen-Zeitung, 16.9.2015 Durch die von der EU geplante Kapitalmarktunion wird sich die Finanzierung von Unternehmen über den Kapitalmarkt massiv ausweiten. Davon profitieren zum einen Unternehmen - insbesondere in den bonitätsschwächeren...

Bond statt Bank

Durch die von der EU geplante Kapitalmarktunion wird sich die Finanzierung von Unternehmen über den Kapitalmarkt massiv ausweiten. Davon profitieren zum einen Unternehmen – insbesondere in den bonitätsschwächeren Peripherieländern der EU – und zum anderen Investoren, denen sich ein breiteres und renditestärkeres Anlegespektrum eröffnet.Wenn die EU die angestrebte Kapitalmarktunion entsprechend den bisherigen Vorschlägen umsetzt, wird die Kapitalmarktfinanzierung für europäische Unternehmen deutlich wichtiger werden. Auf Sicht von zehn Jahren könnten europäische Unternehmen die Hälfte ihres Finanzierungsbedarfs über den Kapitalmarkt decken und diesen Anteil damit im Vergleich zu heute verdoppeln. Die klassische Kreditfinanzierung über die Hausbank würde ihre Vormachtstellung im Gegenzug einbüßen. Bislang decken europäische Unternehmen ihren Fremdkapitalbedarf zu 75 % über Kredite und nur zu einem Viertel über den Kapitalmarkt – in den USA ist es genau umgekehrt. Peripherieländer dominierenDie Dominanz der Bankkreditfinanzierung ist der EU-Kommission seit längerem ein Dorn im Auge, weil die Unternehmen dadurch stark von Banken abhängig sind. Aufgrund verschärfter regulatorischer Vorschriften zur Kapitalausstattung haben Banken in den vergangenen Jahren ihre Kreditvergabe deutlich reduziert: Im Vergleich zum Jahr 2008 haben die Geldinstitute das Kreditvolumen in Europa um 665 Mrd. Euro verringert und reichen damit 11 % weniger Kredite an Unternehmen aus. Vor allem in den südlichen und östlichen Peripherieländern Europas ist die Unternehmensfinanzierung infolge der Finanzkrise ins Stocken geraten. Ihr Kapitalbedarf ist entsprechend groß. Für solche Unternehmen wäre die Kapitalmarktunion ein großer Fortschritt.Sie hat unter anderem zum Ziel, die Regeln etwa zur Rechnungslegung und zum Insolvenzrecht in Europa zu vereinheitlichen und die Transparenzanforderungen von Unternehmen verschiedener Herkunftsländer zu vergrößern.Viele Investoren sind bereit, auch in bonitätsschwache Unternehmen zu investieren. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie die Risiken einschätzen und risikoadäquate Renditen erzielen können. Die Kapitalmarktunion würde daher sowohl die Unternehmensfinanzierung in Euro-Peripheriestaaten spürbar verbessern als auch den Investoren neue interessante Anlagemöglichkeiten eröffnen. Comeback der VerbriefungenDerzeit treibt die EU-Kommission mehrere konkrete Vorhaben voran: So sollen Privatplatzierungen standardisiert und damit vereinfacht werden.Zudem soll der Markt für Verbriefungen wiederbelebt werden: Infolge der Finanzkrise war das Volumen in Europa von 800 Mrd. Euro auf 200 Mrd. Euro eingebrochen, unter anderem weil die EU selbst die Regeln für die Emission solcher Papiere massiv verschärft hatte, da sie als Mitauslöser der Krise galten. Nun soll es für Banken wieder leichter werden, Kredite zu verbriefen und am Kapitalmarkt zu platzieren.Von der Initiative würden Banken und Investoren gleichermaßen profitieren. Die Banken, weil sie Forderungen aus der Bilanz verkaufen und damit Ressourcen fürs Kredit-Neugeschäft schaffen könnten. Und Investoren, weil der Markt und somit das Angebot an Investitionsmöglichkeiten wieder massiv wachsen könnte: In den kommenden fünf Jahren könnte sich das Volumen von Verbriefungen in Europa wieder auf mehr als 400 Mrd. Euro verdoppeln.Zudem dürften sich aus den veränderten Rahmenbedingungen neue Geschäftschancen für viele Banken ergeben: Das klassische Kreditgeschäft wird zwar an Bedeutung verlieren, dafür können Banken Unternehmen bei der Platzierung von Anleihen und Private Placements am Kapitalmarkt begleiten und an Provisionen statt wie bisher an den Zinsmargen verdienen. Unterstützung der EZBDie Kommission bekommt für ihre Pläne zudem Unterstützung von höchster Stelle: Die Europäische Zentralbank kritisiert, dass die bankenlastige Finanzierung zu hohen systemischen Risiken und geringem Wirtschaftswachstum führe.Auch nationale Zentralbanken wie die Deutsche Bundesbank unterstützen die Forderung nach einer stärkeren Kapitalmarktorientierung in Europa, weil sie sich davon eine effizientere Finanzierung versprechen. Die Kapitalmarktunion wird kommen, und sie wird die Unternehmensfinanzierung in Europa verändern.—-Stefan Bund, Chef-Analyst und Vorstandsmitglied Scope