IM BLICKFELD

Börse Stuttgart probt den Spagat

Von Thomas Spengler, Stuttgart Börsen-Zeitung, 2.11.2019 Nachdem es in Sachen Innovation um die Börse Stuttgart etwas ruhiger geworden war, macht der Handelsplatz seit einiger Zeit wieder als Vorreiter in der Branche von sich reden. Mit einem neuen...

Börse Stuttgart probt den Spagat

Von Thomas Spengler, StuttgartNachdem es in Sachen Innovation um die Börse Stuttgart etwas ruhiger geworden war, macht der Handelsplatz seit einiger Zeit wieder als Vorreiter in der Branche von sich reden. Mit einem neuen Managementteam treibt der Handelsplatz seine Digitalisierungsstrategie auf Blockchain-Basis massiv voran. Davon zeugt die im Februar dieses Jahres gestartete Smartphone-App “Bison”, mit der die Börse den komfortablen Handel der vier größten Kryptowährungen Bitcoin, Ethereum, Litecoin und Ripple anbietet, und das seit Kurzem rund um die Uhr. Mehr als 60 000 aktive Nutzer habe man schon gewinnen können, wovon rund 20 % auch handeln – Tendenz stark steigend, sagt Ulli Spankowski, Chief Digital Officer der Börse Stuttgart GmbH. 100 000 Nutzer sind noch bis Jahresende angepeilt, die auch aus dem europäischen Ausland kommen sollen. Dabei sollen nicht nur neue Kundengruppen erschlossen, sondern auch neue Ertragsquellen angezapft werden. Letztere erschließt sich die Börse bei “Bison” über den Spread, der durchschnittlich bei 0,75 % liegt, was die Angabe vom “gebührenfreien Handel” etwas relativiert.Ergänzend zu “Bison” ist nun im September mit der Digital Exchange (BSDEX) das Herzstück der Stuttgarter Digitalisierungsstrategie an den Start gegangen. An der BSDEX, die als Multilateral Trading Facility (MTF) nach KWG organisiert ist und ebenfalls auf der Blockchain-Technologie basiert, können zunächst nur Bitcoin gegen Euro gehandelt werden, weitere Währungspaare sollen aber bis Jahresende folgen. “Perspektivisch wollen wir die BSDEX in der gesamten EU ausrollen”, sagt Alexander Höptner, seit 1. März 2019 Vorsitzender der Geschäftsführung der Börse Stuttgart. Um eine möglichst hohe Ausführungswahrscheinlichkeit sicherzustellen, fungiert die Tochter Euwax AG an der BSDEX als Liquiditätsspender. Erträge sollen als Transaktionsentgelt, je nach Ordertyp, in der Größenordnung von 20 bis 35 Basispunkten generiert werden. Weitere Kosten entstehen dem Anleger nicht. Die Zahlungsabwicklung und Verwahrung der Kundengelder erfolgt gebührenfrei über die Solarisbank. Auch für die Verwahrung der digitalen Assets bei der Börsentochter Blocknox fällt kein zusätzliches Entgelt an.Warum aber ein solides Unternehmen wie die Börse ausgerechnet mit Bitcoin & Co. seine Digitalstrategie einläutet, hat einen einfachen Grund. “Wir sind mit Kryptowährungen gestartet, weil der Handel mit diesen digitalen Assets unter den gegebenen Rahmenbedingungen direkt umsetzbar war”, erläutert Höptner. Daher soll es nicht nur beim Handel mit Kryptowährungen bleiben. Sobald es der Gesetzgeber ermöglicht, plant die Börse, weitere Assetklassen wie Aktien oder Anleihen in digitaler Form handelbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass sich das deutsche Recht für die “Tokenisierbarkeit”, also die Umwandlung realer Assets, etwa Geld oder Wertpapiere, in eine virtuelle Form, öffnet und eine physische Urkunde nicht mehr zwingend ist. Bei Anleihen kann dies noch Ende des Jahres der Fall sein, für die restlichen Assets wird es wohl Mitte des Jahres 2020 werden. Und genau für diesen Zeitpunkt will die Börse Stuttgart vorbereitet sein. “Wir wollen uns an die Spitze der Tokenisierung setzen”, macht Höptner klar – und zwar auf europäischer Ebene.Während bisher der Einstieg in den Abwicklungsmarkt extrem teuer war, wird dies auf Token-Basis deutlich kosteneffizienter. Und weil bei einer Abwicklung in Echtzeit über die Blockchain Marktpreisrisiken wegfallen, wird auch der zentrale Kontrahent (CCP) obsolet. Die Börse hat auf diese Weise die Chance, sich in der Prozesskette “nach vorne” gegenüber den Orderflow-Providern ebenso wie “nach hinten” gegenüber den Abwicklern unabhängiger zu machen. “Die neue Technologie unterstützt die Vision eines hocheffizienten, weltweiten Handels, der kostengünstiger und schneller ist als bisher”, schwärmt Höptner.Auf diese Weise probt Stuttgart im Moment den Spagat zwischen der Vision des tokenisierten Handels und dem klassischen Börsenhandel mit verbrieften Wertgegenständen, der ja weiterhin parallel läuft. Dass diese Strategie nicht ganz ungefährlich ist, liegt auch an der mitunter zweifelhaften Reputation virtueller Währungen, die u. a. Markt- und Liquiditätsrisiken sowie das Risiko der Terror- und Geldwäschefinanzierung umgibt, wie der Baseler Bankenausschuss festgestellt hat. Geht aber Stuttgarts Wette auf die Zukunft dennoch auf, kann der Börsenplatz im Erfolgsfall sowohl auf nationalem als auch internationalem Parkett eine gewichtigere Rolle als bisher einnehmen. Daher betrachtet Höptner die Investitionen in die Digitalisierung, die sich in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe bewegen dürften, auch als Investitionen ins Kerngeschäft. “Vorne mit dabei”Dass Stuttgart sein Geschäftsmodell ohnehin im Auge behalten muss, macht ein Blick auf die Orderbuchstatistik klar. Denn bereits 2017 hat die Börse ihre lange gehegte Marktführerschaft im intermediärgestützten Börsenhandel (ohne Xetra) an die Berliner Tradegate verloren. So lagen die Berliner auch im Gesamtjahr 2018 mit einem Orderbuchumsatz von 105,8 Mrd. Euro klar vor den Stuttgartern mit 71,2 Mrd. Euro. Die Option, sich der neuen, digitalen Entwicklung zu verschließen, kommt daher für Höptner nicht in Frage. “Wenn die Tokenisierung kommt und wir nicht darauf vorbereitet sind, kann es passieren, dass Stuttgart irgendwann nur noch eine Nebenrolle in der Börsenlandschaft spielt. Aber wenn die Rechnung aufgeht, sind wir vorne mit dabei.”