IM INTERVIEW: CHRISTOPH BOSCHAN, WIENER BÖRSE

"Börsen müssen diversifizieren"

Vorstandsvorsitzender: Kernziel ist, die österreichischen Unternehmen in der Welt sichtbarer zu machen

"Börsen müssen diversifizieren"

Vor fast drei Jahren ist Christoph Boschan als CEO der Wiener Börse angetreten. Seither wurden bei dem österreichischen Marktbetreiber etliche Veränderungen durchgeführt, etwa in Form neuer Handelsangebote. Ein Hauptziel ist, die Visibilität der österreichischen Unternehmen zu erhöhen. Herr Boschan, vor rund drei Jahren wurde Ihre Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden der Wiener Börse bekannt gegeben. Mit welchen Zielsetzungen sind Sie angetreten?Vor meiner Ernennung haben wir eine große Deckungsgleichheit zwischen meinen Konzepten und den Vorstellungen des Aufsichtsrats festgestellt. Nach meinem Antritt zum 1. September 2016 haben wir dann im März 2017 ein Konzept für die strategische Ausrichtung vorgelegt, das unter der Überschrift “Österreich für die Welt, die Welt für Österreich” steht. Ein Kernziel war und ist, die österreichischen Unternehmen in der Welt sichtbarer zu machen. Wichtige Elemente dieses Teils unserer Strategie sind die Modernisierung des Handelssystems, der Anschluss neuer Handelsteilnehmer sowie eine starke Vertriebsausrichtung auf das Ausland. Zu Letzterem zählen auch Roadshow-Programme für die Emittenten. 86 % unserer Orders kommen aus dem Ausland. Als mittelgroßer Aktienmarkt sind wir besonders stark vom Ausland abhängig. Beinhaltet die Modernisierung des Handelssystems die Umstellung auf das T7-System der Deutschen Börse?Wir haben in der Tat auf T7 umgestellt und werden das neue System in Kürze auf unsere Partnerbörsen ausrollen, das heißt zunächst auf Prag, dann auch auf die Börsen in Ljubljana, Budapest und Zagreb. Ist das ein gewichtiger Geschäftsbereich Ihres Hauses?Wir haben insgesamt fünf Geschäftsfelder. Dazu zählen etwa das klassische Handelsgeschäft und der Datenvertrieb. Im Bereich IT-Services steht der Handelssystembetrieb für andere Plätze im Vordergrund, aber wir bieten auch zunehmend Mifid-Services an, hier insbesondere Reporting-Dienstleistungen. Weitere Bereiche sind das Indexgeschäft, wir berechnen mehr als 150 Indizes, darunter den russischen RTX, sowie über den Prager Verwahrer das Verwahrgeschäft. Sie wollen österreichische Emittenten in der Welt sichtbarer machen. Welche Aktivitäten beinhaltet die Losung “Die Welt für Österreich”?Auch die Österreicher diversifizieren vernünftigerweise ihre Depots. Bisher mussten sie das im Ausland machen, und wir wollen, dass sie dies in Wien tun. Daher haben wir das Segment Global Market gestartet, in dem internationale Blue Chips gehandelt werden. Das Segment kommt beim österreichischen Publikum gut an und entwickelt sich bestens. In diesem Jahr hat sich das Volumen bisher auf rund 1 Mrd. Euro in etwa verdoppelt, und das in einem Umfeld, in dem der globale Aktienhandel deutlich gesunken ist. Derzeit bietet das Segment international rund 650 Werte. Unter anderem sind Dow, Dax und Euro Stoxx 50 komplett abgedeckt. Es kommen stetig neue Titel hinzu. So konnten wir kürzlich nach ihren IPOs etwa Lyft und Uber ins Segment aufnehmen. Welche weiteren Produktaktivitäten haben Sie angestoßen?Wir haben auch ein ETF-Segment gestartet. Allerdings sind ETFs ein Produkt, mit dem man in Österreich viele Menschen noch vertraut machen muss. Anders als der Global Market ist das kein Selbstläufer. Österreich ist ähnlich wie Deutschland stark mittelständisch geprägt. Was tun Sie für kleine und mittelgroße Unternehmen?Wir haben zu Jahresbeginn das KMU-Segment Direct Market gestartet. Es bietet einen einfachen, kostengünstigen und schnellen Börsengang. Ein Unternehmen muss nur eine AG sein und etwas Streubesitz haben, um von uns innerhalb von 48 Stunden nach einer Anfrage eine erste Indikation zu erhalten, ob ein Listing möglich ist. Wir haben 25 Unternehmen im Direct Market und acht Firmen im Direct Market Plus. Im Direct Market plus muss ein Halbjahresbericht vorgelegt und ein Kapitalmarktbegleiter eingeschaltet werden. Vier der Direct-Market-plus-Emittenten sind via Börsengang neu hinzugekommen. Im laufenden Jahr hatten wir an der Wiener Börse bislang auch zwei große Börsengänge im Prime Market, eventuell werden es noch mehr. Das ist eine erfreuliche Halbjahresbilanz auf der Emissionsseite. Warum ist das Handelsgeschäft der Börsen derzeit rückläufig?Die Handelsumsätze der Börsen sind um zwischen 20 und 25 % gesunken. Bei uns sind es nur rund 16 bis 17 %, aber auch das ist natürlich signifikant. Aber wir kommen auch von einem relativ hohen Vorjahresniveau. Absolut gesehen bewegen sich die Handelsumsätze noch auf einem hohen Niveau. Die Schlussfolgerung aus dieser Entwicklung ist aber eindeutig: Die Börsen müssen ihre Ertragsquellen weiter diversifizieren. Welche ergebnisseitigen Ziele haben Sie?2017 haben wir das Ziel gesetzt, das Vorsteuerergebnis bis 2021 um 20 % zu steigern. Damit sind wir im Plan. Wichtig – und darin sind wir mit den Banken und Emittenten einig – ist für uns aber vor allem die Sicherstellung eines nachhaltig funktionierenden und selbstständigen Börsenbetreibers. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.