Börsen stellen sich Herausforderungen der Blockchain

Wesentlich kommt es darauf an, miteinander kommunizierende Systeme zu entwickeln - Ansonsten entstehen Lösungen, die erneut Schnittstellenprobleme auslösen

Börsen stellen sich Herausforderungen der Blockchain

Mit der Blockchain-Technologie sind mit Blick auf den Kauf und Verkauf sowie auf die Verwaltung von Wertpapieren große Erwartungen verbunden. Zahlreiche Marktteilnehmer sehen in der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) vielversprechende Möglichkeiten, den Wertpapierhandel sicherer, schneller und einheitlicher zu machen und damit insgesamt effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass rund um die Welt viele Projekte zur Implementierung der Blockchain initiiert wurden und sich die Börsen mit einer möglichen Umsetzung dieser Technologie intensiv beschäftigen.Ein Blick auf die diesbezüglichen Aktivitäten einiger großer Börsen zeigt, dass bei der Implementierung der Blockchain im Trading- und Post-Trading-Bereich in den vergangenen zwei Jahren große Fortschritte erzielt worden sind. Wenngleich die Experimentier- und Testphase noch längst nicht vorüber ist, haben einige Börsen bereits angekündigt, die DLT einführen zu wollen – und dies zum Teil auch in ihren Kernsystemen und -prozessen. Die ASXDie Australian Securities Exchange (ASX) lässt sich zweifellos als eine Vorreiterin im Einsatz der Blockchain-Technologie bezeichnen. Bereits 2016 kündigte sie an, ihr 25 Jahre altes CHESS (Clearing House Electronic Sub-Register System) auf DLT umzustellen. Dazu entwickelte sie im Rahmen einer Partnerschaft mit Digital Asset, einem führenden Anbieter von DLT-Lösungen, einen funktionsfähigen Prototyp einer Post-Trade-Plattform für den Clearing- und Abwicklungsprozess im Kassa-Aktienhandel. An dieser Initiative wirkte auch BNP Paribas Securities Services in den vergangenen Jahren mit.CHESS hat dazu beigetragen, physische Aktienurkunden zu dematerialisieren und den Handelsabwicklungszyklus von T+5 auf T+2 zu verkürzen. Experten sind davon überzeugt, dass die ASX mit einer DLT-gestützten Plattform ihr Geschäft zukunftssicherer aufstellt, ihr Produktangebot erweitern und ihre Kunden besser und sicherer betreuen kann. Die ASX hat daher angekündigt, die DLT-Plattform im März/April 2021 online stellen zu wollen. Die HKEXDas Ziel, ihre Post-Trade-Infrastruktur zu optimieren, verfolgt auch die Hong Kong Exchange and Clearing (HKEX). Sie entwickelt derzeit in Zusammenarbeit mit Digital Asset und BNP Paribas eine Blockchain-Lösung, die die Abwicklung der Transaktionen im “Nordwärtshandel” über Stock Connect beschleunigen soll. Beim “Nordwärtshandel” können globale Investoren von Hongkong aus bis zu 568 in Schanghai gelistete Aktien handeln. Stock Connect ist ein Programm zum Handel von Aktien zwischen der HKEX, der Shanghai Stock Exchange und der Shenzhen Stock Exchange.Anleger, die chinesische A-Shares über Stock Connect handeln wollen, haben für die Abwicklung ihrer Transaktion aktuell nur vier Stunden Zeit. Dieses enge Zeitfenster zwingt die an dieser Transaktion beteiligten Institute dazu, ihre Handelsgeschäfte vorzufinanzieren, wodurch das Abwicklungsrisiko steigt. Außerdem können einige regulierte Fondsprodukte wie OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) und AIFM (Alternative Investment Fund Manager) derzeit noch nicht über Stock Connect gehandelt werden, da keine tatsächliche Lieferung-gegen-Zahlung (DVP – Delivery Versus Payment) erfolgt.Ziel ist es daher, eine Lösung zu entwickeln, mit der die Marktteilnehmer ihre Abwicklungsabläufe vorab spezifizieren können, sodass sich verschiedene Zeitzonen überbrücken lassen. Zugleich soll eine Echtzeitsynchronisierung des Post-Trade-Status zwischen den Assetmanagern, Brokern, Verwahrstellen und der Hong Kong Securities Clearing Company ermöglicht werden. Die SGXNeben der ASX und der HKEX treibt auch die Singapore Exchange (SGX) systematisch die Implementierung der Blockchain-Technologie in ihre Infrastruktur voran. Im November 2018 gaben die SGX und die Monetary Authority of Singapore, die örtliche Aufsichtsbehörde, bekannt, dass sie erfolgreich DVP-Funktionen für die Abwicklung tokenisierter Vermögenswerte über verschiedene Blockchain-Plattformen entwickelt hätten.Der entwickelte Prototyp verkürzt den Handelsabwicklungszyklus und reduziert das Abwicklungsrisiko. Darüber hinaus verbessert die zeitgleiche Umsetzung von Austausch und Abwicklung digitaler Vermögenswerte und Wertpapiere auf verschiedenen Plattformen auch erheblich die operative Effizienz im Transaktionsverlauf. Die SGX und die Monetary Authority of Singapore prüfen derzeit, ob es sinnvoll wäre, den Abwicklungsprozess Lieferung-gegen-Zahlung mit Smart Contracts oder selbst ausführbaren, algorithmischen Rechtsvereinbarungen zu automatisieren. Die Deutsche BörseAuch die Deutsche Börse investiert bereits intensiv in die Entwicklung von Dienstleistungen, die auf dem Prinzip der Blockchain-Technologie basieren. Gemeinsam mit der “Liquidity Alliance”, einer Gruppe von Zentralverwahrern, hat die Deutsche Börse beispielsweise eine Blockchain-Lösung erarbeitet, die den grenzüberschreitenden Sicherheitstransfer von Wertpapieren erleichtert. Diese Lösung ermöglicht außerdem eine direkte Interaktion zwischen den Teilnehmern.In Kooperation mit der Deutschen Bundesbank entwickelte die Deutsche Börse 2018 darüber hinaus zwei Prototypen zur Wertpapierabwicklung. Diese haben zum Ziel, die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen, Zahlungen, Zinszahlungen und Rückzahlungen bei Fälligkeit einer Anleihe zu unterstützen. Die erfolgreichen Tests der Prototypen zeigen, dass beide Lösungen für den Produktivbetrieb einer Finanzmarktinfrastruktur geeignet sind und als Basis für weiterführende Entwicklungen dienen können. Da sowohl die Digital-Asset-Plattform als auch die Hyperledger-Fabric-Lösung seither weiterentwickelt wurden, dürfte die Leistungsfähigkeit der entwickelten Prototypen heute sogar noch besser sein.Im Frühjahr 2019 verkündete die Deutsche Börse, dass sie gemeinsam mit der Commerzbank eine rechtsverbindliche Wertpapierabwicklung über die DLT durchgeführt habe. Hierzu wurde eine prototypische Transaktion mittels Lieferung-gegen-Zahlung durchgeführt. Bei der Transaktion wurden zunächst digitale Tokens in Form von Buchgeld (Cash Token) sowie von Wertpapieren (Securities Token) generiert, um anschließend den zeitgleichen Austausch der Tokens auf Basis der DLT rechtsverbindlich abzuwickeln.Im März 2019 ist die Deutsche Börse außerdem eine strategische Partnerschaft mit Swisscom und Sygnum eingegangen. Diese Partnerschaft hat zum Ziel, eine vertrauenswürdige Finanzmarktinfrastruktur für Digital Assets aufzubauen, die den regulatorischen Anforderungen entspricht. Kernelemente dieses Ökosystems sind die Emission und Verwahrung von Digital Assets sowie der Zugang zu Liquidität und entsprechenden Bankdienstleistungen. Standards setzenDie zahlreichen Machbarkeitsstudien, Prototyp-Entwicklungen und Evaluationstests an den aufgezeigten Börsenplätzen der Welt sind ohne Zweifel ein wichtiger Schritt, um verlässliche Erkenntnisse über die Vorteile der Blockchain-Technologie im Wertpapierhandel zu erhalten. Trotz aller dabei erzielten Erfolge sollte aber nicht übersehen werden, dass es wesentlich darauf ankommt, miteinander kommunizierende Systeme zu entwickeln. Andernfalls entstehen Lösungen, die nur in beschränkten, isolierten Ökosystemen funktionieren und erneut Schnittstellenprobleme auslösen.Um dies zu verhindern, sollten sich die Akteure möglichst bald auf allgemeingültige Standards einigen und ganzheitliche Regelungskonzepte für die Blockchain aufsetzen. Als Beispiel kann die Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) dienen, die mit der Definition von Standards für den Nachrichtenverkehr im Finanzwesen die branchenweite Effizienz erhöhte und gleichzeitig das Risiko der Marktteilnehmer reduzierte.Umzusetzen wäre dies beispielsweise durch die Integration von DLT in ISO 20022 oder durch die Entwicklung eines völlig neuen Standards. Gelingt eine derartige Standardisierung nicht, könnte dies zu einer starken Fragmentierung der Blockchain führen, sodass für die Endnutzer letztendlich nur wenige – oder gar keine – Kostenvorteile entstehen. Thorsten Gommel, Head of BNP Paribas Securities Services für Deutschland und Österreich