Börsengänge deutscher Unternehmen im Ausland

Keine nationale Angelegenheit mehr - Der globale Wettbewerb gilt auch für Börsenplätze und deren rechtliches und wirtschaftliches Umfeld

Börsengänge deutscher Unternehmen im Ausland

Trivago, InflaRx, Probiodrug und Noxxon Pharma – das sind nur einige Beispiele von deutschen Unternehmen, die sich in der jüngeren Vergangenheit für den Gang auf ein ausländisches Börsenparkett entschieden haben. Was sind die Treiber für diese Entwicklung? Wo liegen rechtliche Hürden? Und welche Herausforderungen stellen sich für den Börsenplatz Deutschland?Die Frage nach dem geeigneten Handelsplatz hat an Bedeutung gewonnen. Deutsche Börsenkandidaten, vorwiegend aus der Biotechnologie-Branche, ziehen zunehmend eine Notierung im Ausland in Erwägung. Neben der New Yorker Technologie-Börse Nasdaq rückt dabei die Mehrländerbörse Euronext, insbesondere mit den Standorten Paris und Amsterdam, ins Blickfeld. Nähe gesuchtDer wesentliche Treiber hierfür ist eine erhoffte höhere Bewertung, wenn man sich auf demselben (Börsen-)Parkett wie vergleichbare Unternehmen bewegt. In der Biotechbranche gilt in Europa deshalb die Euronext mit ihrem “Next Biotech”-Index oftmals als erste Wahl. Zudem wird auch angeführt, dass Unternehmen dort gelistet sein müssen, wo auch der Großteil der Investoren seinen Sitz hat. Diese Nähe ermöglicht einen direkteren Zugang und damit bessere Möglichkeiten der Kommunikation mit Investoren. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Und auch nach einer vom Deutschen Aktieninstitut herausgegebenen, gemeinsam mit verschiedenen Investmentbanken ausgearbeiteten, Studie vertreten nur etwa 20 % der Kapitalmarktexperten die Einschätzung, dass die Bewertungen an deutschen Handelsplätzen weniger attraktiv sind, als an ausländischen. Dementsprechend schätzt man die Konkurrenz ausländischer Börsenplätze als eher gering ein.Für die hoch spezialisierte (Bio-)Technologie-Branche scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Für viele Börsenkandidaten aus diesem Bereich sind neben der Euronext die USA das Ziel der Träume. Die Vorteile – eine breitere Investorenbasis, damit verbundene höhere Liquidität, intensivere Abdeckung im Bereich Research und die Anzahl bereits gelisteter Vergleichsunternehmen mit der Folge einer marktnahen Bewertungsmöglichkeit – wiegen aus Sicht der Unternehmen die höheren Transaktionskosten sowie die aufwendigen Folgepflichten auf.Zudem hat der “Jumpstart Our Business Startups Act” – kurz: JOBS Act – die dortigen Handelsplätze auch für hiesige Unternehmen wieder in den Fokus gerückt. Der JOBS Act sieht für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von unter 1 Mrd. Dollar eine Reihe von Erleichterungen, etwa bei der Wertpapierprospekterstellung und der Finanzberichterstattung, vor. Die Neuerungen führten zu einem erheblichen Anstieg von Börsengängen ausländischer Emittenten in den USA. Unternehmen aus den Healthcare- und Technologiesektoren waren dabei für mehr als die Hälfte dieser Börsengänge verantwortlich. So konnten die USA neben den zuvor genannten Vorteilen auch rechtliche Rahmenbedingungen vorweisen, die Emittenten gerade aus Wachstumsmärkten den Weg an die US-amerikanischen Börsen ebneten.Emittenten, die den Gang an einen ausländischen Börsenplatz für vorzugswürdig einschätzen, nehmen dafür regelmäßig einen Wechsel der Rechtsform in Kauf. Dabei hat sich die N.V. nach niederländischem Recht (entspricht der deutschen Aktiengesellschaft) für Börsengänge in den USA als praktikabel erwiesen – so wählten etwa Trivago, Affimed Therapeutics und InflaRx diese Rechtsform. Der “Rechtsformwechsel” wird regelmäßig vollzogen, indem eine niederländische B.V. (entspricht der deutschen GmbH) zunächst die Anteile der bestehenden Gesellschafter übernimmt, die im Tausch Anteile an der B.V. erhalten. Als Folge dessen wird die B.V. als neue Alleingesellschafterin der deutschen Gesellschaft nach Abschluss des Angebots in eine N.V. umgewandelt. Deren Anteile werden anschließend unmittelbar zum Börsenhandel zugelassen. Die Orion Engineered Carbons S.A., vormals eine Geschäftseinheit von Evonik, nutzte die bereits von den erwerbenden Private-Equity-Fonds geschaffene Akquisitionsstruktur, in dem die Luxemburger S.àr.l., die die Geschäftseinheit zuvor erworben hatte, beim Börsengang in eine S.A. umgewandelt wurde.Alternativ kommt auch eine grenzüberschreitende Sitzverlegung aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union beziehungsweise des Europäischen Wirtschaftsraums unter gleichzeitigem Rechtsformwechsel in Betracht. Diese Möglichkeit hat der EuGH jüngst in seiner “Polbud”-Entscheidung erleichtert. Danach ist insbesondere eine Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat nicht erforderlich. Selbstverständlich bleibt abzuwarten, ob sich Emittenten nun häufiger für diese Möglichkeit entscheiden. Unternehmen können ihrer Rechtsform aber auch treu bleiben – dass dies möglich ist, hat die Probiodrug AG verdeutlicht, deren Aktien direkt an der Euronext Amsterdam zum Handel zugelassen sind. Bei der Strukturierung der Transaktion sind aber in jeder Variante auch steuerliche Aspekte sowohl auf Ebene des Emittenten, aber auch bei den von der Umstrukturierung betroffenen Gesellschaftern, insbesondere im Ausland, zu berücksichtigen und sorgfältig zu prüfen.Die offenbar zunehmende Bedeutung von ausländischen Börsen für deutsche Emittenten stellt den deutschen Kapitalmarkt vor neue Herausforderungen. Während früher die hiesigen Wertpapierbörsen bei Börsenkandidaten “gesetzt” waren, müssen sie sich nun zunehmend der Konkurrenz mit Handelsplätzen im europäischen und außereuropäischen Ausland stellen. Der Umstand, dass insbesondere Emittenten aus Wachstumsbranchen den Gang über die Grenze wagen, wurde aber erkannt. So richtet sich das Segment “Scale” der Frankfurter Wertpapierbörse ausdrücklich an Wachstumsunternehmen, und das Deutsche Börse Venture Network begleitet Start-ups beginnend mit frühen Finanzierungsrunden bis hin zum Börsengang. Teilweise werden aber die regulatorischen Anforderungen noch als zu hoch empfunden. Hier wird man sehen, ob die bald in Kraft tretende neue Prospektverordnung mit ihren Erleichterungen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen die Anzahl der Börsengänge erhöht.Entscheidend dürften aber eher Faktoren sein, die in anderen Ländern für eine stärkere Aktienkultur sorgen. So leidet der deutsche Kapitalmarkt unter der fast vollständigen Abwesenheit von Privatanlegern. Die Stärkung einer kapitalgedeckten Altersvorsorge über Aktien wurde hier schon häufig angemahnt. Zudem sollten die steuerlichen Rahmenbedingungen für Eigenkapitalinvestitionen verbessert werden.Auch wenn deutsche Unternehmen vermehrt ihr Glück in der Ferne suchen, heißt das nicht, dass der Finanzplatz Deutschland kein attraktives Kapitalmarktumfeld bieten kann. Dies zeigt zum Beispiel das erfolgreiche Zweitlisting des chinesischen Unternehmens Qingdao Haier Co. am Ceinex D-Share Markt der Frankfurter Börse. Das Unternehmen ist mit einer Marktkapitalisierung von aktuell ca. 12 Mrd. Dollar bereits an der Shanghaier Börse notiert und hat für die Zweitnotierung in Frankfurt extra eine eigene Aktiengattung, die D-Shares, ausgegeben. Möglicherweise nutzen nun weitere chinesische Blue Chips diesen Zugang zum europäischen Kapitalmarkt. Zudem bleibt abzuwarten, ob nach einem möglichen Brexit kontinentaleuropäische Handelsplätze – und damit Frankfurt – gegenüber London an Attraktivität gewinnen können. Dies ist möglich, wenn Emittenten – oder auch Investoren – Wert auf eine Notierung an einem EU-regulierten Handelsplatz legen.All dies zeigt, dass auch die Wahl des Börsenplatzes keine nationale Angelegenheit mehr ist, sondern Börsenkandidaten den Börsenplatz opportunistisch auswählen mit der Folge, dass der globale Wettbewerb auch für die Börsenplätze und deren rechtliches und wirtschaftliches Umfeld gilt.—-Ulrich Reers, Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Taylor Wessing im Bereich Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht und Sebastian Beyer, Salary Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Taylor Wessing im Bereich Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht