IM INTERVIEW: MATHIAS MÜLLER, IHK FRANKFURT

"Brexit schafft neuen Sachverhalt"

Präsident: Die vorschnelle Entscheidung für London als Sitz der Börsenholding muss unbedingt revidiert werden

"Brexit schafft neuen Sachverhalt"

Der Präsident der IHK Frankfurt, Mathias Müller, hat Bedenken gegen die Struktur der geplanten Fusion von Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE). Problematisch ist seiner Ansicht nach der Sitz der Fusionsholding in London.- Herr Müller, die IHK Frankfurt hat der Deutschen Börse in einem Schreiben kritische Fragen zur geplanten Fusion mit der LSE gestellt. Was bedeutet das Fusionsvorhaben für die IHK?Wir haben ein besonderes Verhältnis zur Frankfurter Börse, weil wir sie vor gar nicht langer Zeit selbst betrieben haben. Vorrangig ist für uns aber die Frage, ob die Börse auch zukünftig ihre wichtige volkswirtschaftliche Funktion wahrnehmen kann, und zwar ungehindert und frei vom Einfluss anderer Interessen. Diesbezüglich haben wir angesichts der Fusionsvereinbarung einige Zweifel.- Ist die Logik des geplanten Zusammenschlusses denn nicht nachvollziehbar?Wir erkennen natürlich an, dass Größenzuwachs für Börsenbetreiber Vorteile im internationalen Wettbewerb mit sich bringt. Deshalb hat es ja auch bei den Marktinfrastrukturbetreibern in den zurückliegenden Jahren einen intensiven Konsolidierungsprozess gegeben. Und nicht zuletzt argumentiert die Deutsche Börse damit, dass mit dem Zusammenschluss eine feindliche Übernahme verhindert werden soll.- Wo drückt aus Ihrer Sicht der Schuh?Die Hauptprobleme sind der im Fusionsvertrag festgelegte und auch von den Anteilseignern beider Börsen angenommene Sitz der Holding in London sowie der Umstand, dass allein englisches Recht Grundlage für die Fusion und das neue zukünftige Unternehmen sein soll. Wir müssen feststellen, dass durch das Brexit-Votum, den Beschluss einer Mehrheit der britischen Bevölkerung, aus der Europäischen Union auszutreten, ein neuer Sachverhalt entstanden ist. Da der Sitz dann außerhalb der EU liegt, muss die Standortfrage völlig neu bewertet werden.- Welche Probleme können sich daraus ergeben?Es muss die Frage gestellt werden, wie unter diesen Voraussetzungen gewährleistet werden kann, dass das für die Börsenaufsicht zuständige hessische Wirtschaftsministerium die im Börsengesetz festgelegte Pflicht erfüllen kann, die Funktionsfähigkeit und Fortentwicklung der Frankfurter Wertpapierbörse und der Eurex sicherzustellen. Wie kann sie ihren gesetzlichen Auftrag bei einem Sitz in London wahrnehmen? Die Frage ist sehr wichtig, weil die hessische Landesregierung nur im ersten Schritt Einfluss nehmen kann. Ist der Zusammenschluss erst einmal vollzogen und hat die Börse ihre Zentrale in London, wird die Konsolidierung der internationalen Börsenlandschaft weiter Fahrt aufnehmen. Die neue Börse wird eine weitere Börse übernehmen oder selbst Objekt eines Gebots. Spätestens wenn dieser Fall eintritt, ist die Durchgriffsmöglichkeit der Landesregierung ein stumpfes Schwert. Aber selbst wenn es bei dem jetzt angestrebten Zusammenschluss bliebe, könnte die deutsche Aufsicht keine Entscheidung gegen das Unternehmen als Ganzes mehr nach Großbritannien vollstrecken, schon gar nicht nach einem Ausscheiden des Landes aus der EU.- Die Deutsche Börse betont aber, dass die bestehenden Aufsichtsregime erhalten bleiben. Was sagen Sie dazu?Die Landesregierung hat nur auf die Frankfurter Börse ein Durchgriffsrecht, nicht aber auf die Londoner Holding. Sie kann dann über die Fortentwicklung der Frankfurter Wertpapierbörse philosophieren, aber sie kann nicht mehr auf das Ganze Einfluss nehmen. Der Finanzplatz Frankfurt droht dadurch abgehängt zu werden.- Die Deutsche Börse hält Kritikern des Fusionsvorhabens entgegen, dass der Sitz der Holding nicht so wichtig sei beziehungsweise überbewertet werde, und verweist nicht zuletzt auf die beiden Firmenzentralen in Eschborn und London. Wie sehen Sie das?Bei sämtlichen Zusammenschlüssen, bei denen eine Holding aufgesetzt wurde, haben wir gesehen, dass auf der Holding-Ebene die strategisch entscheidenden Beschlüsse gefasst werden. Das ist stets ein Vorteil für den Standort, an dem die Holding ihren Sitz hat. Opel ist dafür ein gutes Beispiel. Als General Motors beschlossen hat, sich neu zu erfinden, stand Opel hier total auf der Kippe. Dass Rüsselsheim überlebt hat, ist lediglich dem Umstand zu verdanken, dass sich dort das europäische Entwicklungszentrum befindet. Sonst hätte den Standort dasselbe Schicksal ereilt wie Bochum.- Welche Parallelen zum Fusionsvorhaben sehen Sie hier?Die Börse ist eine Entwicklungsplattform für IT und alles, was dazugehört. Die Frage ist, wie dies künftig geschehen wird und an welchem Standort es stattfinden wird. Wir sehen ein gewisses Risiko, dass die technologische Führerschaft, die hier angesiedelt ist, im Zuge der Weiterentwicklung des Börsenbetreibers langfristig an anderer Stelle erfolgt.- Die Deutsche Börse stellt in Aussicht, dass Frankfurt im Rahmen des Zusammenschlusses der neue Post-Trade-Hub wird. Was halten Sie davon?Wir mischen uns nicht in Fragen der Aufteilung der operativen Einheiten ein. Hochqualifizierte Arbeitsplätze in Frankfurt müssen aber über entsprechende, parallel zu vereinbarende Investitionsentscheidungen gesichert werden.- Die Deutsche Börse wirft auch die Schaffung einer Liquiditätsbrücke als Vorteil der Fusion für Frankfurt ins Rennen. Wie stehen Sie dazu?Der Vorteil hat sich mir noch nicht erschlossen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass deutsche Unternehmen in der Regel nicht ausreichendes Kapital über die Börse bekommen. Zweitens muss nach dem vereinbarten Verkauf der Clearnet SA an Euronext hinterfragt werden, inwieweit die in Aussicht gestellten Kapitalentlastungen durch das gemeinsame Clearing erzielt werden können.- Deutsche Börse und LSE haben einen Referendumsausschuss installiert, der sich um die potenziellen Probleme, die sich aus dem Brexit-Votum ergeben, kümmern soll. Kann das eine zufriedenstellende Lösung bringen?Wenn Vorschläge des Referendumsausschusses erst nach dem Vollzug des Zusammenschlusses umgesetzt werden können, ist das ein zahnloser Tiger. Der Ausschuss hat keine Entscheidungskompetenz, sondern kann nur Vorschläge unterbreiten. Wenn diese erst nach dem Vollzug eventuell umgesetzt werden können, werden bereits Fakten geschaffen sein.- Wie könnte ein guter Lösungsansatz für das Problem den aussehen?Wir glauben, dass die vorschnelle Entscheidung für London unbedingt revidiert werden muss. Wir setzen nach wie vor auf den Dialog und die Einsicht aller an einer langfristig tragbaren Struktur interessierten Parteien, dass nach dem Brexit-Votum eine Situation entstanden ist, die nochmals genau analysiert werden sollte. Es muss gefragt werden, wie man zu einem Interessenausgleich kommt, der der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Börse gerecht wird.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.