Brief von Jan Marsalek löst Streit im Wirecard-Prozess aus
Marsaleks Brief löst Streit im Wirecard-Prozess aus
Verteidiger des Hauptangeklagten liefern sich vor Gericht Wortgefecht mit dem Vorsitzenden und Staatsanwälten – Justiz lässt Schreiben unkommentiert
Die Anwälte des früheren CEO Braun hoffen, ihre Verteidigungsstrategie mit dem Schreiben des flüchtigen Vertriebsvorstands zu untermauern. Derweil zerpflückt die ebenfalls beschuldigte einstige Produktvorständin Brauns Darstellung im Zeugenstand: Ihr habe jeder Zugang zum Drittpartnergeschäft gefehlt.
Im Wirecard-Prozess vor dem Landgericht München hat die frühere Produktvorständin Susanne Steidl den ebenfalls tatverdächtigen Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek schwer belastet. „Ich habe keine Passwörter gehabt, um Zugang zum Drittpartnergeschäft zu erhalten“, sagte die 52-Jährige im Zeugenstand während ihrer Befragung durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch.
Die wie der Hauptangeklagte Markus Braun und der flüchtige Marsalek aus Österreich stammende Managerin signalisierte damit, dass die mutmaßlichen Betrüger ihre Machenschaften vor übrigen Vorstandskollegen abgeschottet hatten. Steidl gehörte dem Wirecard-Vorstand von 2018 bis 2020 an. Dort verantwortete sie nach eigenen Angaben den Bereich Issuing, der Großkunden wie Amazon und Apple betreute. Die Staatsanwaltschaft ermittelt ebenfalls gegen sie. Steidl wird von der Justiz als Beschuldigte geführt.
Ex-Vorstandschef Braun und zwei mitangeklagte ehemalige Manager des Konzerns stehen seit Anfang Dezember vergangenen Jahres vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft München wirft dem Trio vor allem gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Der frühere Dubai-Statthalter von Wirecard, Oliver Bellenhaus, tritt als Kronzeuge auf. Er gesteht alle Tatvorwürfe und untermauert den Vorwurf der Anklage, dass das Drittpartnergeschäft (TPA) in Asien frei erfunden war.
1,9 Mrd. Euro fehlen
Nachdem 1,9 Mrd. Euro auf angeblichen Treuhandkonten für den TPA-Bereich im Rahmen einer Sonderprüfung durch KPMG nicht ausfindig gemacht werden konnten und ein Testat verweigert wurde, brach Wirecard im Juni 2020 zusammen. Den Gesamtschaden für kreditgebende Banken und Investoren infolge der Bilanzfälschungen beziffern die Strafermittler auf 3,1 Mrd. Euro.
Der seit Sommer 2020 abgetauchte Marsalek ist eine Schlüsselfigur des Prozesses. Als Vertriebsvorstand verantwortete er das Geschäft mit externen Zahlungsdienstleistern, die im Wirecard-Auftrag Kreditkartenzahlungen abwickelten, angeblich überwiegend in Asien. Einen Tag vor Steidls Aussage in der Hauptverhandlung sorgte er für Aufsehen, indem er sich über einen Anwalt mit der Münchner Justiz in Verbindung setzte. In einem Brief soll er die Angaben des Kronzeugen bestritten und behauptet haben, dass es das TPA-Geschäft sehr wohl gegeben habe.
Kammer hält keinen Zeitverzug für geboten
Die Justiz äußerte sich bisher nicht zum Inhalt des Schreibens. Das nahmen Brauns Verteidiger zum Anlass für den Antrag, das Schreiben vor Steidls Vernehmung als zusätzliches Beweismittel zu den Akten zu nehmen. In der Sitzung des Landgerichts kam es daraufhin am Mittwoch zu einem heftigen Wortgefecht mit Födisch und der Staatsanwaltschaft. Nach einer kurzen Beratungspause stellte das Gericht den Antrag zurück. Födisch begründete diese Entscheidung unter anderem damit, dass ein Zeitverzug vor der umfangreichen Befragung der Zeugin „nicht geboten“ sei.
Marsaleks Brief könnte die Verteidigungsstrategie von Braun stützen. Der Ex-CEO bestreitet die Tatvorwürfe. Stattdessen wirft er Marsalek vor, mit Komplizen ohne sein Wissen Firmengelder in Milliardenhöhe veruntreut zu haben.
Im Zeugenstand widersprach Steidl Brauns Darstellung: „Ich wusste nicht, auf welchen Plattformen das TPA-Geschäft abgewickelt wird.“ Auch habe sie keine Vorstellungen darüber gehabt, wo es abgewickelt worden sei. Auf den Wirecard-Servern sei dazu nichts zu finden gewesen. Steidl betont, darauf gedrungen zu haben, dass die Aktivitäten über ihre Plattformen laufen. Marsalek, dem man „stets hinterherlaufen“ habe müssen, habe dies abgelehnt.
Nichts dokumentiert
Von den angeblichen TPA-Transaktionen gibt es keine substanzielle Dokumentation, hatten bereits mehrere andere Zeugen vor Gericht ausgesagt. Darunter befanden sich Prüfer von KPMG. Damit belasteten sie die Angeklagten ebenfalls schwer. Zum gleichen Ergebnis kommt der Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé in seinem Gutachten.