LEITARTIKEL

Buy high, sell low

Wer bei einem schlechten Investment wartet, bis er seinen Einstiegskurs wiedersieht, der verliert nicht nur Zeit, sondern auch Geld, wenn sich inzwischen andernorts mehr verdienen ließe. Anlageprofis ziehen deshalb rechtzeitig die Reißleine und...

Buy high, sell low

Wer bei einem schlechten Investment wartet, bis er seinen Einstiegskurs wiedersieht, der verliert nicht nur Zeit, sondern auch Geld, wenn sich inzwischen andernorts mehr verdienen ließe. Anlageprofis ziehen deshalb rechtzeitig die Reißleine und nehmen Verluste zähneknirschend in Kauf. Ein Ausstieg des Staates bei der in der Finanzkrise geretteten Royal Bank of Scotland (RBS) schien jedoch lange unmöglich. Die schottische Großbank, deren Bilanzsumme zeitweise höher war als das britische Bruttoinlandsprodukt, schrieb sieben Jahre in Folge rote Zahlen. Zusammengerechnet beliefen sich die seit Beginn der Finanzkrise aufgelaufenen Verluste auf nahezu 50 Mrd. Pfund. Und auch für dieses Jahr wird mit einem Minuszeichen vor dem Ergebnis gerechnet. Warum sollte jemand den britischen Steuerzahlern die weitere Pflege dieses Milliardengrabs abnehmen?Ganz einfach: Die wirtschaftliche Erholung in Großbritannien und Irland hat sich auch in den Büchern der Banken niedergeschlagen. Die RBS hat sich vom Größenwahn der Vergangenheit verabschiedet und die Bilanz rasant geschrumpft. Das Institut setzt mittlerweile in erster Linie auf das Privat- und Firmenkundengeschäft auf dem Heimatmarkt. Diesen Monat läuft die beim Börsengang der US-Tochter Citizens Financial vereinbarte Mindesthaltepflicht für die gut zwei Fünftel aus, die RBS noch hält. Je schneller sich die Bank davon trennt, desto schneller steigt die Kernkapitalquote. Bis Ende 2016 muss sie es auf Weisung Brüssels geschafft haben. Dann könnte sie einer Schätzung zufolge bei mehr als 17 % liegen. Zudem wird das Institut 2016 aller Voraussicht nach einen Gewinn zeigen. Damit rücken Streicheleinheiten für die Aktionäre, ob nun in Form eines Aktienrückkaufs oder von Dividendenzahlungen, in greifbare Nähe.Es sind allerdings noch ein paar Hürden zu überwinden. Zum einen wäre eine Einigung im Rechtsstreit mit der Federal Housing Finance Agency in den USA erforderlich. Es geht um mit Hypotheken unterlegte Wertpapiere, die den staatlichen Immobilienfinanzierern Fannie Mae und Freddie Mac angedient wurden. Analysten rechnen damit, dass RBS dafür Milliarden auf den Tisch blättern muss. Zum anderen steht die – ebenfalls von Brüssel verordnete – Ausgliederung von mehr als 300 Filialen an. Sie wird die Marke Williams & Glyn in die britischen Einkaufsstraßen zurückbringen. Nun wird spekuliert, ob dem Spin-off eine umfangreichere Aussteuer mit auf den Weg gegeben werden muss. Vor zwei Jahren führte eine entsprechende Überprüfung der Wettbewerbshüter dazu, dass der TSB Banking Group ein milliardenschweres Hypothekenpaket der Lloyds Banking Group übertragen wurde.Solange diese Fragen offen sind, belastet die damit verbundene Unsicherheit den Kurs. Es ist also kein gutes Timing, jetzt den Abverkauf einzuläuten. Aber in Irland ist die Privatisierung der Permanent TSB bereits angelaufen. Da will der britische Schatzkanzler George Osborne nicht zurückstehen.Im Grunde geht es nur noch um den Preis. Für vier Fünftel an der RBS hatte die öffentliche Hand einst 46 Mrd. Pfund bezahlt, finanziert durch langlaufende Staatsanleihen. Der Einstiegskurs von Osbornes Labour-Vorgänger Alistair Darling hatte im Schnitt bei 502 Pence je Aktie gelegen. Derzeit notiert sie bei 348 Pence. In der City wird ein Abschlag auf diesen Preis gefordert. Dem Staat entstünde schon ein Milliardenverlust, wenn er sich zum aktuellen Kurs komplett von seiner Beteiligung trennen würde. Osborne behauptet zwar unter Berufung auf ein Auftragsgutachten von Rothschild, dass die Steuerzahler selbst dann 14 Mrd. Pfund mehr zurückbekämen, als sie einst in die maroden Banken steckten. Dabei lässt er allerdings lästige Details wie die Finanzierungskosten der staatlichen Bankenrettung außer Acht. Zudem tut er so, als seien Gebühren für erhaltene Leistungen des Staats Gewinnen oder Rückzahlungen gleichzusetzen. Es wäre an der Zeit, endlich ehrlich Bilanz zu ziehen. Es stünde zwar mit Sicherheit kein Pluszeichen vor dem Ergebnis für die öffentliche Hand. Das hätte aber vermutlich auch niemand ernsthaft erwartet.Dann ließe sich zu einer viel wichtigeren Frage übergehen: Warum soll der Staat nur die Verluste der RBS tragen, nicht aber die Gewinne mitnehmen, die sich nun ankündigen? Wenn der Einstiegskurs erreichbar scheint, trennt sich doch kein Profi mit Verlust von einem Investment. Den alten Kleinanlegerfehler “Buy high, sell low” sollte Osborne auf keinen Fall machen.——–Von Andreas HippinDer Steuerzahler sollte bei der Royal Bank of Scotland nicht nur die Verluste tragen, sondern auch die Gewinne einstreichen, die sich nun ankündigen.——-