AUS DER KAPITALMARKTFORSCHUNG

Capital Asset Pricing Model sollte erweitert werden

Multifaktorenmodelle erzielen bessere Ergebnisse für Kapitalmärkte sowohl von Industriestaaten als auch von Schwellenländern

Capital Asset Pricing Model sollte erweitert werden

Der deutsche Aktienmarkt sah sich in den vergangenen 15 Jahren substanziellen Veränderungen gegenüber. Diese mündeten unter anderem in eine zunehmende Internationalisierung und deutlich erhöhten Streubesitz. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die aus internationalen Studien bekannten Unternehmenscharakteristika auch die Renditen deutscher Aktien beeinflussen.Die Entwicklung von Aktienpreisen ist nicht nur für professionelle Investoren von zentraler Bedeutung. Sie sind auch Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens oder eines bestimmten Marktes. Des Weiteren sind Aktien unter anderem auch wichtige Bausteine bei der Unternehmensfinanzierung oder der Altersvorsorge. Angesichts der zentralen Bedeutung von Aktien ist ein besseres Verständnis der Treiber der Kursentwicklungen wünschenswert. Dies ist auch eines der Hauptforschungsthemen der modernen Finanzwissenschaft.In der Praxis hat sich zur Schätzung von erwarteten Renditen das Capital Asset Pricing Model (CAPM), ein Kapitalmarktgleichgewichtsmodell, etabliert. Dieses besagt, dass sich die erwartete Rendite eines Wertpapiers aus dem risikofreien Zins, etwa der Rendite für Tagesgeld oder dem kurzfristigen Interbankenzins, zuzüglich einer Prämie für das erhöhte Risiko zusammensetzt. Diese Marktrisikoprämie ist somit eine Entschädigung für den Anleger dafür, dass der Kurs einer Aktie schwankt und er im Vergleich zu einer kurzfristigen, festverzinslichen Anlage auch Verluste erleiden kann. Nach dem CAPM ist sie umso höher, je stärker die Aktie auf Ausschläge des Gesamtmarktes reagiert. So schätzt man zum Beispiel das Risiko eines stark verschuldeten Unternehmens höher ein als das Risiko eines nur leicht verschuldeten, aber ansonsten vergleichbaren Unternehmens. Ein Investor wird deshalb für dieses Unternehmen eine höhere Rendite fordern. Andere Risikofaktoren als das Marktrisiko werden im CAPM nicht abgebildet und sollten demnach keine Rolle spielen. Können diese theoretischen Annahmen jedoch auch in der Realität beobachtetet werden oder spielen noch andere Faktoren als das Marktrisiko eine Rolle? CAPM liegt falschEine Vielzahl empirischer Studien wie die des Wirtschaftsnobelpreisträgers Eugene Fama haben sich seit Anfang der 70er Jahre mit den tatsächlich beobachteten Renditen auf dem amerikanischen Kapitalmarkt beschäftigt. Diese Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die theoretisch fundierte Marktrisikoprämie tatsächlich existiert, der Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite jedoch nicht so stark wie theoretisch vermutet ist. Demnach wird die Rendite für riskante Wertpapiere mit dem CAPM über- und dagegen für weniger riskante Wertpapiere unterschätzt. Außerdem zeigen weitere Studien, dass möglicherweise auch andere Faktoren als das Marktrisiko einen Einfluss auf die realisierten Renditen haben. Diese werden allgemein als Kapitalmarktanomalien bezeichnet, da sie sich nicht durch das CAPM erklären lassen.Beispielsweise haben die Renditen von Unternehmen mit niedriger Marktkapitalisierung signifikant die Renditen von Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung übertroffen. Für diese Beobachtung, die auch Kleinfirmen- oder Size-Effekt genannt wird, werden in der Literatur als Erklärung unter anderem Transaktionskosten oder Liquiditätsrisiken diskutiert. Investoren würden deshalb eine zusätzliche Rendite für diese vom Marktrisiko unabhängigen Risiken fordern.Des Weiteren zeigen die Studien, dass die durchschnittlichen Renditen positiv mit dem Buch-Marktwert-Verhältnis korreliert waren. Das Buch-Marktwert-Verhältnis ist dabei der Quotient aus dem bilanziellen Eigenkapital und dem Marktwert des Eigenkapitals (Marktkapitalisierung) des Unternehmens. Dieser Effekt, der auch als Value-Effekt bezeichnet wird, gibt wieder, dass in der Vergangenheit Substanztitel (Value-Aktien) besser als Wachstumstitel (Growth-Aktien) abgeschnitten haben. Als Ursache für diesen Value-Effekt werden zum Teil Überreaktionen des Marktes angenommen. So würden Marktteilnehmer die Wachstumsaussichten von Growth-Aktien überbewerten oder zu weit in die Zukunft extrapolieren und hingegen Firmen mit in der Vergangenheit schwachem Wachstum unterbewerten. Alternative Erklärungsansätze fassen die Value-Prämie auch als Prämie für erhöhte Konkursrisiken auf.Eine weitere Kapitalmarktanomalie, die nicht durch das CAPM erklärt werden kann, ist der Momentum-Effekt. Dieser beschreibt, dass Aktien, die in der Vorjahresperiode zu den stärksten Gewinnern gehören, im darauffolgenden Jahr erneut eine höhere Rendite als die Verliereraktien des Vorjahres haben. Ein zusätzliches Marktrisiko kann bei diesen Aktien im Mittel jedoch nicht festgestellt werden. Auch für diesen Effekt werden in der Literatur überwiegend verhaltenswissenschaftliche Erklärungen angegeben. So fühlen sich Investoren eventuell nach dem Kauf einer Aktie durch steigende Kurse in den Gründen für die Entscheidungsfindung und ihren Analysefähigkeiten bestärkt und kaufen weitere Aktien. Fällt der Kurs der Aktie jedoch, wird der Misserfolg Pech oder anderen externen Ursachen zugeschrieben ohne an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln.Die erwähnten Kapitalmarktanomalien können jedoch auch nur zufällig in den analysierten Datensätzen aufgetreten sein und keine systematischen Zusammenhänge darstellen. Falls die Effekte jedoch auch in anderen Aktienmärkten und in anderen Zeitperioden auftreten, könnten rationelle Investoren auch in der Zukunft eine höhere Rendite erwarten, ohne größere Kursschwankungen eingehen zu müssen. Wissenschaftler am Lehrstuhl für Finanzmanagement und Kapitalmärkte der TU München haben deshalb einfache Investitionsstrategien betrachtet, welche Anleger in den vergangenen 18 Jahren am deutschen Aktienmarkt verfolgt haben könnten. Risiko lohnt sich langfristigStartet man mit einem Vergleich zwischen riskanter und nahezu risikofreier Anlage, so stellt man fest, dass sich über den Zeitraum von Juli 1996 bis Juni 2014 das riskantere Investment gelohnt hätte. So legte ein Portfolio bestehend aus allen CDax-Unternehmen bereinigt um Finanzdienstleister (RM) p. a. um 9,5 % zu, ein Investment in den einmonatigen Interbankenzins (RF) jedoch nur um 2,5 %. Wäre ein Investor jedoch erst zu den Höchstständen Anfang 2000 oder Ende 2007 eingestiegen, so hätte sich das Portfolio bis Juni 2014 nur leicht besser als die risikoarme Anlage entwickelt, jedoch zwischenzeitig deutliche Verluste eingefahren. Kurzfristig ist somit auch das Timing entscheidend. Langfristig ist jedoch die realisierte Marktrisikoprämie aus der Differenz zwischen Marktrendite und (nahezu) risikofreiem Zins auch für den deutschen Aktienmarkt positiv.Betrachtet man nun innerhalb des Aktienmarktes die oben angesprochenen Charakteristika, so kann man sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zu früheren Untersuchungen feststellen. Dazu teilt man die Aktien anhand der Marktkapitalisierung jährlich zur Hälfte in Gruppen mit großen und kleinen Unternehmen sowie anhand des Buch-Marktwert-Verhältnisses bzw. der Vorjahresperformance in drei Gruppen (top 30, mittlere 40 und niedrigste 30 %) ein und berechnet für die resultierende Schnittmenge der Gruppen Portfoliorenditen. Durch diese Konstruktion soll erreicht werden, dass der jeweils betrachtete Effekt möglichst neutral gegenüber den anderen Effekten ist. Size-Effekt ist verschwundenDie Portfolios der Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung (big) weisen dabei im Schnitt eine Rendite von 10,7 % p. a, die Portfolios mit kleinen Unternehmen (small) hingegen nur eine Rendite von 2,7 % p. a auf. Der Kleinfirmen-Effekt kann auf dem deutschen Markt demnach nach 1995 nicht mehr beobachtet werden. Diese Entwicklung steht im Einklang mit der aktuellen Literatur, die den Size-Effekt in vielen Märkten ebenfalls nicht mehr feststellen kann. Eventuell haben die Öffnung des deutschen Kapitalmarkts für ausländische Investoren in den vergangenen zwei Jahrzehnten und deren Investments in große Unternehmen den Kleinfirmen-Effekt abschwächen bzw. gegenteilig ausfallen lassen. Auch die schwache Performance vieler kleiner Aktien, die am Neuen Markt gehandelt wurden, hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Weniger widersprüchlich sind jedoch die beiden anderen Effekte. Der Value-Effekt kann bis auf die Zeit um die Jahrtausendwende nachgewiesen werden, da die Aktien mit dem höchsten Buch-Marktwert-Verhältnis (high) um 10,1 % p. a., die Aktien mit dem niedrigsten Buch-Marktwert-Verhältnis (low) jedoch nur um 2,8 % p. a. zulegen. Gewinner bleiben GewinnerNoch drastischer fallen die Unterschiede zwischen früheren Gewinnern und früheren Verlierern aus. Die Portfolios der Vorjahresgewinner (winners) legen im betrachteten Zeitraum durchschnittlich um 14,2 % p. a. zu, die Portfolios der Vorjahresverlierer (losers) verlieren dagegen im Mittel 4,7 % p. a. Somit bewahrheiten sich alten Faustregeln wie “The trend is your friend” und “Never catch a falling knife” auch am deutschen Aktienmarkt.Aufgrund der deutlichen Renditeunterschiede der Aktien mit entgegengesetzten Charakteristika werden in der Finanzwissenschaft nicht nur die absoluten Renditen der einzelnen Gruppen betrachtet, sondern vor allem deren Differenzrenditen. Dabei wird die Differenz der Renditen von kleinen und großen Unternehmen mit dem Faktor SMB (“small minus big”) beschrieben und die Renditedifferenzen für das Buch-Marktwert-Verhältnis und Vorjahresperformance mit HML (“high minus low”) bzw. WML (“winners minus losers”). Die Renditeunterschiede der Faktoren sind im Zeitverlauf jedoch nicht konstant. So war die sogenannte Value-Prämie (HML) während der Technologieblase Ende der 90er Jahre negativ, und auch die Momentumsprämie (WML) weist trotz der insgesamt beeindruckenden Entwicklung auch starke Rückschläge in den Jahren 2001 und 2009 auf. Die zeitlich variierenden Renditeunterschiede haben zur Folge, dass die Faktoren als zusätzliche Risikofaktoren betrachtet werden.Aufgrund der sowohl historisch als auch aktuell beobachteten Anomalien stellt sich daher die Frage, ob CAPM noch das richtige Bewertungsmodell ist, da es Faktoren wie Marktkapitalisierung, Buch-Marktwert-Verhältnis oder vergangene Performance nicht berücksichtigt. Fama und French (1993) erweitern das CAPM um zwei Faktoren, die die Renditeunterschiede zwischen kleinen und großen Unternehmen sowie zwischen Value- und Growth-Aktien messen. Sie zeigen, dass dieses sogenannte Fama-French-Dreifaktorenmodell dem CAPM auf dem amerikanischen Markt überlegen ist. Weitere Studien erzielten ähnliche Ergebnisse auf internationalen Kapitalmärkten sowohl in Industriestaaten als auch in Schwellenländern. Auch für den deutschen Markt können die Forscher der TU München dies bestätigen. Vielfach anwendbarAufgrund der weiten Verbreitung des CAPM ergeben sich vielfache Anwendungsmöglichkeiten des Fama-French-Dreifaktorenmodells bzw. des um den Momentumfaktor erweiterten Vierfaktorenmodells. So können damit die Eigenkapitalkosten von Aktiengesellschaften oder vergleichbarer nichtgelisteter Unternehmen geschätzt werden. Auch bei der Berechnung der angemessenen Abfindung von Minderheitsaktionären bei Squeeze-outs können die Multifaktorenmodelle als Robustheitstest zum CAPM verwendet werden.Neben der Berechnung der Eigenkapitalkosten eignen sich die Multifaktorenmodelle insbesondere zur Performancemessung. So können beispielsweise Investmentstilunterschiede wie Small, Mid und Big Cap bzw. Value oder Growth berücksichtigt werden. Da die dafür nötigen Faktoren für den deutschen Aktienmarkt auf der Internetseite http://www.fm.wi.tum.de/index.php?id=21 zur Verfügung gestellt werden, lässt sich das Fama-French-Dreifaktorenmodell bzw. Vierfaktorenmodell auch für Deutschland leicht anwenden. Faktoren für den amerikanischen Markt bzw. andere Industriestaaten, zusammengefasst nach Kontinenten, findet man in der Datenbibliothek von Kenneth French http://mba.tuck.dartmouth.edu/pages/faculty/ken.french/data_library.html.