LEITARTIKEL

Chinas Banken im Zwiespalt

Wie viel private Firmenkreditkundschaft darf beziehungsweise muss es sein? Die Frage nach der Kreditversorgung von kleinen und mittleren - und damit in der Regel privaten - Unternehmen bereitet den chinesischen Banken derzeit Kopfzerbrechen. Die...

Chinas Banken im Zwiespalt

Wie viel private Firmenkreditkundschaft darf beziehungsweise muss es sein? Die Frage nach der Kreditversorgung von kleinen und mittleren – und damit in der Regel privaten – Unternehmen bereitet den chinesischen Banken derzeit Kopfzerbrechen. Die seit Jahresmitte dezidiert an Schwung verlierende Wirtschaft und der nervenzehrende Handelsstreit mit den USA haben das Wirtschaftsvertrauen im Reich der Mitte stark angegriffen. Gleichzeitig ist der Bankensektor wie auch das in China allgegenwärtige Schattenbankwesen von einer 2017 mit Wucht losgetretenen Finanzstabilitätskampagne in eine Phase des Umbruchs geraten, die für Verunsicherung sorgt.Tatsache ist, dass die akute Konjunktur- und Börsenschwäche einen Prioritätenwechsel ausgelöst hat. Im Herbst hat sich die Regierung unter dem Eindruck schwacher Konjunkturdaten und latenter Finanzierungsengpässe kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu einer breit angelegten Unterstützungskampagne für klamme Privatunternehmen aufgeschwungen. Eingebunden sind neben der Zentralbank auch Brokergesellschaften, Fondsverwalter und die Geschäftsbanken. Letztere stehen nun unter massivem Druck, verstärkt Kredite auszureichen, um einer Art sozialer Verantwortung nachzukommen. Gleichzeitig müssen sie aufpassen, dass die in den vergangenen Jahren nur mit großer Mühe bewältigte Kreditausfallwelle nicht wieder aufbrandet.Als die chinesischen Großbanken jüngst ihre Zahlen für das dritte Quartal vorlegten, schien sich die Öffentlichkeit kaum noch für die Entwicklung der Erträge zu interessieren, sondern vornehmlich für die Zahl der Zusagen und Konditionen für KMU-Darlehen. Darauf folgte dann eine verwirrende Gemengelage von Verlautbarungen der Regulatoren. Einerseits bekunden sie, an der Finanzstabilitätskampagne festzuhalten und Risikoprüfungen auszudehnen. Andererseits signalisieren sie Lockerungen bei der Risikobewertung und den angegliederten Kapitalunterlegungspflichten von Neukrediten – sofern diese dem erwünschten Adressatenkreis zugutekommen.Das riecht alles ein wenig nach politischer Überformung von Kreditrisikoaspekten und war nicht gerade hilfreich für die Kursentwicklung der in diesem Jahr ohnehin gebeutelten chinesischen Finanzriesen. Besonders irritiert haben Äußerungen des Chefs der chinesischen Finanzaufsicht, Guo Shuqing, die einer Art Quotenverpflichtung in Sachen Privatsektorkredite gleichkommen. Guo ließ die Bankengemeinde wissen, dass bei Großbanken künftig mindestens ein Drittel der Neukreditvergabe an den Privatsektor zu gehen habe. Bei kleineren und lokal aufgestellten Instituten sollten es gar zwei Drittel sein. Insgesamt sollten dann branchenweit binnen drei Jahren mindestens die Hälfte der Neuausreichungen an private Firmen gehen. Das ist eine happige Vorgabe, denn gegenwärtig machen die Kredite an private Firmenkunden nur rund ein Viertel des Forderungsvolumens der chinesischen Banken aus.Dies hat zunächst für helle Aufregung im Markt gesorgt. Um im angestammten und relativ risikoarmen Firmenkreditgeschäft mit den meist staatlichen Großunternehmen weiter wachsen zu können, müsste das nicht zuletzt vom Risikomanagement her wesentlich aufwendigere KMU-Geschäft dann dramatisch hochgefahren werden.Nach einer Schockreaktion der Bankaktien, die Peking im derzeit fragilen Marktumfeld gar nicht gerne sieht, wurde dann doch wieder zurückgerudert. So haben chinesischen Staatsmedien in von hoher politischer Warte angefütterten Artikeln darauf hingewiesen, dass der Regulator natürlich nicht beabsichtige, die einzelnen Banken mit spezifischen Zielgrößen zu einer Kreditvergabeorgie an KMU zu zwingen und dabei womöglich die nötige Sorgfalt bei der Risikoprüfung zu vernachlässigen.Insbesondere für die börsennotierten chinesischen Banken tut sich dennoch ein Zwiespalt auf. Sie sehen sich nun einerseits gezwungen, im Dienste der Nation laufend Erfolgsmeldungen über eine wesentliche Steigerung der Neukreditvergabe an gewünschte Kundenkreise zu verbreiten. In Richtung der misstrauischen Anleger hingegen gilt es andererseits zu demonstrieren, dass sie trotz eines wachsenden Exposure gegenüber einer tendenziell wesentlich riskanteren Klientel alles im Griff haben und nicht etwa auf die Idee kommen werden, die Aktienmärkte um frisches Kapital anzugehen.—–Von Norbert Hellmann Chinas Versuch, die Kreditvergabe an den Privatsektor anzukurbeln, stellt vor allem börsennotierte Institute vor ein Dilemma.—–