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Chinas Großbanken sind zäher als erwartet

Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 1.5.2013 Chinas Volkswirtschaft ist auf das niedrigste Expansionstempo in den letzten 20 Jahren eingeschwenkt; die Entschleunigung wird nun auch in den Ergebnissen der stark mit der Konjunktur atmenden...

Chinas Großbanken sind zäher als erwartet

Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Volkswirtschaft ist auf das niedrigste Expansionstempo in den letzten 20 Jahren eingeschwenkt; die Entschleunigung wird nun auch in den Ergebnissen der stark mit der Konjunktur atmenden staatlichen Großbanken sichtbar. Angesichts der latenten Befürchtungen, dass den Kreditriesen in diesem Jahr die Puste vollends ausgehen könnte, erscheinen die Ergebnisfortschritte der vier größten Banken des Landes im ersten Quartal allerdings äußerst robust.Die Analysten haben den chinesischen Marktführern für die ersten drei Monate dieses Jahres nur noch ein mittleres einstelliges Gewinnplus zugetraut. Tatsächlich aber kommen die Industrial Bank of China (ICBC), die China Construction Bank (CCB), die Agricultural Bank of China (ABC) und die Bank of China (BOC) mit zusammengenommen 215 Mrd. Yuan (27 Mrd. Euro) Gewinn nach Steuern auf ein Plus von 11 %. Im Vergleich zu den Ergebnissprüngen der vergangenen Jahre mag dies einer sehr gemächlichen Gewinndynamik gleichkommen (siehe Grafik), die Branchenexperten sind jedoch überrascht von der Fähigkeit der Institute, trotz eines sich verstärkenden Margendrucks auf Kurs zu bleiben.Im vergangenen Jahr hatte die chinesische Regierung mit einem ersten Liberalisierungsschritt begonnen, das starre, an die Leitsätze der Zentralbank geknüpfte Zinskorsett zu lockern und eine Konditionenbildung zu fördern, die stärker durch den Wettbewerb getrieben wird. Mit der so eingeführten höheren Beweglichkeit der Kreditzinsen nach unten und der Einlagenzinsen nach oben schien eine deutliche Kürzung der zuvor bombensicheren Zinsspannen programmiert. Robuste Zinsmargen Mit ihren landesweiten Filialnetzen und den etablierten Finanzierungskanälen bei Staatsunternehmen gelingt es den Großbanken dennoch, ihre Preismacht bei der Kreditgewährung aufrechtzuerhalten und bei den Konditionen für Spargelder der Privaten die Konzessionen gering zu halten. Damit sind die Nettozinsmargen der führenden Institute in einem Spektrum von 2,22 % (Bank of China) bis 2,78 % (Agricultural Bank) relativ stabil geblieben. In Verbindung mit einer etwas kräftiger als erwartet ausgefallenen Expansion der Kreditvergabe chinesischer Geschäftsbanken im ersten Quartal um 12 % ist das von manchen Branchenbeobachtern befürchtete Wegbrechen der Zinsüberschüsse als treibender Kraft für die Gewinnentwicklung der Banken ausgeblieben.Als einigermaßen ermutigend gilt ein Anziehen der Provisionsüberschüsse. Bei ICBC und CCB sind sie um 19 % geklettert, die Agricultural Bank kam gar auf ein Plus von 22 %. Dahinter stehen ein hyperaktives Geschäft mit Kredit- und anderen Zahlungskarten, steigende Einnahmen aus der Begleitung von Bondemissionen chinesischer Unternehmen und ein stark angeheiztes Geschäft mit der Vermittlung von kurzfristigen Vermögensverwaltungsprodukten, die von Bankkunden für die zeitweilige Umschichtung ihrer nur niedrige Realzinsen abwerfenden Spargelder genutzt werden.Der Boom der Vermögensverwaltungsprodukte dürfte im Jahresverlauf allerdings abebben, weil die chinesische Bankenaufsicht Vertriebspraktiken der Banken und mögliche Mängel der Risikoaufklärung der Kundschaft hinterfragt. Den Instituten werden mittlerweile Offenlegungspflichten über die Strukturierung der Anlageprodukte auferlegt. Das dürfte den Boom der Vehikel bremsen, zumal bislang noch nicht einmal eindeutig geklärt ist, wer bei einem Zahlungsausfall eigentlich haften müsste.Was die Risiken im herkömmlichen Kreditgeschäft der chinesischen Banken angeht, fällt es schwer, Entwarnung zu geben. Einerseits befinden sich die Kreditinstitute im Reich der Mitte in einem Konjunkturzyklus, der mit einer verschlechterten Bonität der Kreditnehmer einhergehen dürfte. Andererseits gibt es wenig Anzeichen dafür, dass die vielbeschworene Lawine von Kreditausfällen auf die chinesischen Banken zurollt. Die Kreditausfallquote, also der Anteil der nicht bedienten Kredite am Gesamtportefeuille, bewegt sich auch nach dem ersten Quartal bei den vier Großbanken auf einem für Risikokontrolleure geradezu unauffälligen Niveau von 0,87 % beim Branchenführer ICBC bis 1,27 % bei der in ländlichen Gegenden stärker vertretenen Agricultural Bank. Neue ProblemsektorenDie chinesische Regierung sorgt hinter den Kulissen dafür, dass die hohe Verschuldung von Lokalregierungen und Kommunen beziehungsweise deren Finanzierungsvehikel für Infrastrukturvorhaben derzeit nicht bei den Banken in Form massiver Zahlungsausfälle aufschlägt. Demgegenüber wird es kaum zu verhindern sein, dass es in einigen Sektoren, wie etwa der Solarbranche, der Stahlindustrie oder bei den Schiffsbauern, vermehrt zu Zahlungsausfällen kommen wird.Bei der ICBC als der nicht nur größten, sondern auch in Sachen Kreditausfallquote solidesten Bank im Reich der Mitte sind die Wertabschreibungen im ersten Quartal um knapp 23 % auf stolze 12,4 Mrd. Yuan geklettert. Es scheint wachsenden Risikovorsorgebedarf zu geben. Es dürfte für Chinas Geldhäuser also schwierig sein, auch für das gesamte Jahr einen zweistelligen Gewinnzuwachs zu erzielen.