Chinas Tradition als Herausforderung
Kulturelle Unterschiede kennen, respektieren und überbrücken ist die Grundlage für eine erfolgreiche internationale Unternehmung. Gerade im Zusammenhang mit China ist die strategische und praktische Bedeutung nicht zu unterschätzen.Die Chinesen sind stolz auf ihre in rund 5000 Jahren gewachsene Kultur und ihre unzähligen Traditionen: Etwa auf den “hohen Test” (gaokao), ein den Fleiß und nicht die Herkunft in den Mittelpunkt stellendes, über viele Jahrhunderte entwickeltes System der Zulassung zu Universitäten und zu höchsten Positionen. Oder die Selbstverwaltung, die der kommunalen Ebene im Kaiserreich eine weitgehende Autonomie ermöglichte. Ebenso lebendig ist auch die Erinnerung an Zheng He, der Anfang des 15. Jahrhunderts die größte Flotte der Welt kommandierte mit Schiffen, gegen die jene der späteren europäischen Entdecker fast winzig erschienen.Die Wirkungsmacht der chinesischen Kultur ist auch im China von heute groß – das gilt nicht zuletzt für die Wirtschaft. Kultur und Tradition beeinflussen Ehrgeiz und Fleiß von Unternehmern. Sie versuchen Neues, ohne dabei die Tradition über Bord zu werfen. Ihr Prinzip: das immerwährende Lernen. So kann man zum Beispiel auch die Einrichtung von “Sonderwirtschaftszonen” Ende der 1970er Jahre verstehen. Hier lernten die Chinesen zunächst, wie Marktwirtschaft funktioniert, bevor sie ihre Wirtschaft Schritt für Schritt öffneten. Heute hat sich China der Welt zugewandt. Das Land möchte stabil und stark sein, nicht schwach und gedemütigt wie in den Jahren von der ausgehenden Qing-Dynastie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Initiativen wie die der “Neuen Seidenstraße” oder “Made in China 2025” sollen Chinas Erfolg in der Zukunft sicherstellen.Deutschland gilt China dabei in vielen Feldern als Musterschüler und Vorbild. So hat das Reich der Mitte eine Vielzahl deutscher Gesetze übernommen. Auch für die dringend notwendigen Verbesserungen im Finanz-, Banken-, Versicherungs- und Kapitalmarkt ist Deutschland für China ein wichtiger Partner, dessen Rat Gehör findet. Auch in Zukunft wollen die beiden Länder verstärkt kooperieren und voneinander lernen. Beide Regierungen haben jüngst gemeinsame Jahre der Innovation ausgerufen. Wichtige Fragen, die es dabei zu klären gilt, sind die zum verlässlichen Schutz geistigen Eigentums, zu gleichen Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Aufträgen und zur Wettbewerbsgleichheit bei Investitionen. Denn wenn eine chinesische Redewendung meint, dass die Kopie den Meister ehre, so muss man aus deutscher Sicht kritisch fragen, ob nicht das bloße Kopieren den Schüler blamiere. In der Vergangenheit hat sich hier bereits manches positiv entwickelt. Der Bedarf für weitere und auch dringend notwendige Verbesserungen ist aber immer noch groß.Nicht nur auf der politischen Ebene führen die unterschiedlichen Kulturen und Traditionen regelmäßig zu Differenzen. Auch für Unternehmen vor Ort sind sie eine Herausforderung: Unterschiedliche Verständnisse von Unternehmensstrategien, die Bedeutung persönlicher Kontakte, qualitative Unterschiede in der Ausbildung von Mitarbeitern oder die Rolle von Verträgen sorgen auf deutscher Seite nicht selten für Verwunderung. Auf der anderen Seite sind die meisten Chinesen zum Beispiel nicht mit der Tradition deutscher Familienunternehmen vertraut. Ihre Bedürfnisse und Arbeitsweisen sind ihnen fremd.China hat sich der Welt geöffnet und wird sich nicht mehr, wie mit der Verbrennung der Flotte des Zheng He, auf sich selbst zurückziehen. Daraus resultieren viele Chancen für Unternehmen – gerade aus Deutschland. Für sie gilt: Wer sich mit Respekt begegnet, wer offen und nüchtern die großen Möglichkeiten zwischen China und Deutschland betrachtet, der erwirbt sich einen Wettbewerbsvorteil – und wird kulturelle Unterschiede als bereichernd und herausfordernd annehmen und seine Unternehmung langfristig stärken.