Collateral-Strukturen in Frage gestellt
Von Björn Godenrath, Frankfurt
So langsam verzieht sich der Rauch nach den turbulenten Handelstagen, die den Neobroker Robinhood und mit ihm fast den kompletten Wertpapiermarkt beinahe in die Knie zwangen. In den Blick rücken nun neben dem Konflikt „Hedgefonds versus Retailanleger“ grundsätzliche Betrachtungen zur Marktinfrastruktur in Settlement und Clearing. Den Stein ins Rollen gebracht hat Robinhood-CEO Vlad Tenev mit seinem im Firmenblog veröffentlichten Beitrag „It’s Time for Real-Time Settlement“.
Raketenhafter Anstieg
Darin erklärt er, dass in der vergangenen Woche klar wurde, welche Auswirkungen der sich über zwei Tage streckende Settlement-Prozess (T+2) für Investoren und letztlich das gesamte US-Finanzsystem habe. Die Absicherungserfordernisse für Trading-Positionen seien über Nacht „raketenhaft“ angehoben worden, was Anleger am Kauf von Wertpapieren gehindert habe. Ursache war, dass Robinhood die zur Deckung von Handelsrisiken volatiler umsatzsatzstarker Papiere geforderten zusätzlichen Sicherheiten (Collateral) von 3 Mrd. Dollar nicht stellen konnte.
Zwei Tage bis zum Abschluss
Zu diesem Collateral-Wahnsinn kommt es, weil Trades immer zwei Tage bis zur vollständigen Abwicklung brauchen und die DTCC als Clearingstelle Risiken in dieser Lücke abgesichert sehen muss. Diese Regelung stammt aus dem Dodd-Frank Act, der u. a. als Lehre aus der Finanzkrise einen Liquiditätscrunch verhindern soll. Aber das System hat seine Schattenseiten und ist zweifellos „antiquiert“, wie Tenev feststellt.
Denn rein technisch könnte eine DLT-Infrastruktur für Instant Settlement sorgen nach dem Motto „Delivery versus Cash“ – geliefert wird das bezahlte Wertpapier. Wobei sich im Depot des Aktionärs immer nur ein Berechtigungsschein für die Aktie befindet. Dieser Schein repräsentiert die Papierurkunde beim Verwahrer – der diese wiederum zur Wertpapierleihe nutzen kann, was dann zur Short-Selling-Problematik führt.
Fakt ist, dass dieser T+2-Settlement-Prozess eigene Finanzmarktstörungen erzeugt und zudem sehr viel Kapital bindet. Dabei hatte die US-Finanzindustrie erst vor vier Jahren von T+3 auf T+2 verkürzt und kann im heutigen Design für sich in Anspruch nehmen, Mistrades stornieren und im nachgelagerten Netting Effizienzen heben zu können. Aber mit Instant Settlement wäre der Wertpapierhandels- und -verarbeitungsprozess deutlich schlanker. Niedrigere Abwicklungskosten kämen dann nach der Branche auch den Retailkunden zugute.
Handelsprozess verkürzen
Tenev zufolge haben SEC und DTCC bereits zugegeben, dass ein hoher Nutzen im weiter verkürzten Handelsprozess liegt. Das werden sie hoffentlich heute öffentlich bekannt geben, wenn sich US-Finanzministerium, SEC und CFTC treffen, um die Börsenturbulenzen aufzuarbeiten. Als gutes Beispiel mag dienen, dass die Zentralbanken im Zahlungsverkehr auf Instant Payment zusteuern, unter anderem weil dies den Wandel einer digitalisierten Welt reflektiert.