GASTBEITRAG

Corona verändert Teamarbeit und -führung dauerhaft

Börsen-Zeitung, 19.3.2020 Die Ausbreitung des Coronavirus führt auch zur Ausbreitung von Heim- und virtueller Teamarbeit. Organisation und Führung von Banken muss sich darauf einstellen. Die Coronakrise hat die Arbeitsplätze in Banken erreicht:...

Corona verändert Teamarbeit und -führung dauerhaft

Die Ausbreitung des Coronavirus führt auch zur Ausbreitung von Heim- und virtueller Teamarbeit. Organisation und Führung von Banken muss sich darauf einstellen. Die Coronakrise hat die Arbeitsplätze in Banken erreicht: Öffnungszeiten werden eingeschränkt, Filialen geschlossen, Veranstaltungen abgesagt und Dienstreisen vermieden. Aus dem Home-Office müssen Kinderbetreuung, hektischer Einkauf, Heimarbeit und Austausch mit Teamkollegen und Kunden unter einen Hut gebracht werden. Aus italienischen Banken hören wir, dass es die Technik für Videokonferenzen und verteilte Arbeit gibt – aber nur wenig Erfahrung im Umgang damit. Alles muss nun auf einmal strukturiert werden: Tagesablauf, Arbeitseinteilung und -aufteilung, Dokumentenaustausch. Am schwierigsten aber ist die Führung auf Distanz von virtuellen Teams: Alle leiden unter dem Verlust sozialer Nähe und Führungskräfte zudem besonders unter schwindender Selbstwirksamkeit und Steuerungsmöglichkeit. Organisation anpassenIn Italien hat sich ein Drei-Wochen-Sofortprogramm entwickelt: In der ersten Woche wird die Technologie geprüft und bereitgestellt. Arbeit wird auf das geschäftlich Notwendige beschränkt, die Kommunikation deutlich ausgeweitet. Niederländische Kollegen berichten vom regelmäßigen, virtuellen Kaffeeklatsch, in dem sich Teams mit Kaffeetasse vor den Bildschirm setzen und bewusst Privates besprechen. In der zweiten Woche werden die in der ersten Woche angekündigte Projektarbeit und das virtuelle Team- und Führungstraining gestartet. Die dritte Woche dient dazu, das Erprobte zu festigen und auszuweiten, indem bereits Trainierte andere Mitarbeitende einweisen. Von Anfang an stehen dabei Kundenkontakte und Kundenfragen, z. B. zur Sicherstellung von Liquidität und Nutzung staatlicher Hilfen, im Mittelpunkt und werden aktiv in die Trainings einbezogen. Führung virtueller TeamsSelbst erfahrene Teamleiterinnen und -leiter sind mit der Leitung virtueller Teams oft überfordert. Psychologische Studien erklären, warum: Virtuelle Teams sind sogenannte minimale Gruppen, weil die Gruppenzugehörigkeit meist nicht selbst gewählt ist und oft wechseln kann. In solchen Gruppen kommt es schnell zur Polarisierung und zum Entstehen von Subgruppen. Andere Teammitglieder werden nicht als Person, sondern als Zulieferer gesehen und daher bei Fehlern oder Verzögerungen schnell und heftig kritisiert. Dadurch schaukeln sich Konflikte auf. Neben dem Umgang mit Menschen ist auch die Nutzung und Akzeptanz der Technik ein Problem.Hauptgrund zur Ablehnung neuer Technik sind mangelnde Fähigkeiten, die zum Gefühl der Hilflosigkeit führen. Ein anderes, zunächst weniger offensichtliches Problem ist, dass Technik aus unterschiedlichen Gründen akzeptiert und genutzt wird, was ebenfalls zu Konflikten führt: Teams sehen Austauschplattformen als Möglichkeit für berufliche und private Kommunikation, Führungskräfte eher als Möglichkeit zu Strukturierung und Kontrolle. Best Practices zur Vermittlung erfolgreicher Führung virtueller Teams sind: Kommunikationsregeln klarstellen (z. B. positiver Sprachstil, keine Schuldzuweisung), Verstöße sofort benennen und Änderung einfordern bisherige Austauschgewohnheiten umstellen (z. B. morgendliches Online-Teammeeting, explizite Agenda für Meetings, “virtueller Kaffeeklatsch”) Informations- und Dokumentenaustausch gleichberechtigt und transparent organisieren (z. B. Sharepoint statt E-Mail, E-Mails vermeiden, Messenger nutzen) Verantwortung und Nachteile gleich verteilen (Zuständigkeiten klären, Subgruppen verhindern, gleichmäßige Belastung bei Deadlines sicherstellen) vorhandene Expertise auch außerhalb der bisherigen Berufsrollen erkennen und nutzen (z. B. Erfahrungen aus dem Freizeitbereich) wissens-, handlungs- und kommunikationsorientierte Teamrollen gezielt besetzen und im Team rotieren Unklarheiten ausräumen, aber Unsicherheiten und Meinungsunterschiede aushalten und nicht unterdrücken Jede Möglichkeit für soziale Beziehungen nutzen (z. B. kurze Feedbackrunden) Teilnahme sicherstellen, z. B. durch Nachfragen bei Personen, die sich nicht aktiv beteiligen Dokumentation und “To-dos” sichtbar und zugreifbar halten (nicht nur per E-Mail versenden) schriftliche Kommunikation synchron (z. B. Messenger) und asynchron (z. B. Message Boards) auf Konflikte und Abweichungen prüfen und intervenieren gemeinsame Fortschritte und Arbeitsergebnisse sichtbar machen, Fokus auf positives Feedback legen Fortschritte und Ergebnisse dokumentieren und kommunizieren, Austausch mit Stakeholdern, Feedback des Managements sicherstellen sicherstellen, dass alle Teammitglieder von der Teamarbeit profitieren, persönliche Erfolge honorieren (z. B. kleine Online-Zeremonien) bei Zugehörigkeit zu verschiedenen Teams sicherstellen, dass alle Führungskräfte die individuelle Leistung anerkennenVor allem Interventionstechniken sollten mit Führungskräften und Teammitgliedern eingeübt werden: Selbststeuerung in offenen, virtuellen Arbeitsumgebungen, Einzelpersonen oder das ganze Team auf Abweichungen oder Fehler ansprechen, Umgang mit Konflikten und Beleidigungen. Oft gelingt dies besser, wenn nicht nur einmal Trainings durchgeführt werden, sondern dauerhaft Online-Tutoren und Coaches die Teams unterstützen. Mehr Zeit nötigDie Coronakrise verändert das Arbeits- und Sozialverhalten – ob zum Guten oder Schlechten, hängt vor allem von der Reaktion und der Vorbereitung der Unternehmen ab. Die Qualität der Arbeitsergebnisse in virtuellen Teams ist – anders als in Präsenzteams – weniger von einem Zusammengehörigkeitsgefühl als vielmehr von gleichberechtigtem Informationsaustausch und guter Koordination der Rollen und Aufgaben abhängig. Virtuelle Teams benötigen mehr Zeit, gemeinsame Routine und Werte zu entwickeln, und mehr Aufwand zu deren Aufrechthaltung. Aber Untersuchungen zeigen: Mitglieder virtueller Teams können sowohl produktiver als auch zufriedener sein als die herkömmlicher Teams, sofern die Voraussetzungen stimmen. Joachim Hasebrook, Wirtschaftspsychologe und akademischer Leiter der ZEB Business School*) Mitautoren sind Sibyll Rodde, Senior Professional ZEB Deutschland, und Andrea Gnetti, Senior Advisor ZEB Italien.