Covid-19-Zeiten als Chance für Veränderungen begreifen
Investitionen in den Klimaschutz sind für eine schnelle und nachhaltige Genesung der Weltwirtschaft nach Covid-19 von essenzieller Bedeutung – darüber scheint man sich weltweit zunehmend einig zu sein. Die EU hat dementsprechend grüne Initiativen in den Mittelpunkt ihres Milliarden Euro schweren Sanierungsplans gestellt. Gleichzeitig haben über 150 multinationale Unternehmen mit Unterstützung der UNO die Regierungen in aller Welt aufgefordert, Konjunkturhilfen für Covid-19 an Emissionsziele zu koppeln. Änderung des Status quoErneuerbare Energien spielen hierbei zweifelsohne eine wichtige Rolle. Gleichzeitig bietet diese Krise eine Gelegenheit, in die Entwicklung klimafreundlicher Energieträger wie Wasserstoff zu investieren. Hier besteht enormes Potenzial, die erneuerbaren Energien zu ergänzen und eine rasche Senkung der CO2-Emissionen zu erreichen.Der weltweite Lockdown hat im April zu einem Rückgang der CO2-Emissionen geführt, dies ist allerdings nur ein vorübergehender Effekt. Tatsächlich zeigt die Trendlinie, dass wir weit davon entfernt sind, die globale Erwärmung auf unter die im Pariser Klimaabkommen festgelegten 2 Grad C zu begrenzen.Obwohl erneuerbare Energien wie Wind und Sonne heute fast 20 % der Energieversorgung Europas ausmachen, übersteigt die Energienachfrage weiterhin deren Verfügbarkeit. Es werden andere klimafreundliche Alternativen benötigt, die zu einer raschen Verringerung der Emissionen beitragen, insbesondere für die großen Teile der Wirtschaft, die noch immer von Brennstoffen mit hohem CO2-Ausstoß abhängig sind – vom Langstreckenverkehr über die Chemieindustrie bis hin zur Stahlwirtschaft.Grüner Wasserstoff ist eine CO2-freie Energiequelle, die ein wesentlicher Bestandteil jeder zukünftigen nachhaltigen und wirtschaftlichen Energieversorgung sein muss. Wasserstoff kann nicht nur in das bestehende Gasnetz gepumpt, sondern auch zu erneuerbaren flüssigen und gasförmigen Kraftstoffen wie synthetischem Diesel, synthetischem Methan und Flugzeugtreibstoff veredelt werden, was eine saubere Energiequelle für etliche Wirtschaftssektoren darstellt.Die Energiespeicherung ist ein weiterer entscheidender Vorteil, der für die Unterstützung eines zunehmend dezentralisierten Energienetzes unerlässlich ist. Wasserstoff kann für längere Zeiträume in viel größeren Mengen als Elektrizität zu niedrigeren Kosten gespeichert werden. Das verleiht Energie aus Wind und Sonne sowohl Flexibilität als auch Stabilität. Überschüssige Energie kann aus der Windenergieerzeugung in grünen Wasserstoff umgewandelt werden und somit eine Überlastung des Netzes verhindern. Erdgas nicht unterschätzenTrotz allem sollte die Rolle von Erdgas – immerhin der sauberste fossile Brennstoff – nicht unterschätzt werden. Die Umstellung großer Sektoren – der Kohleverstromung, der Industrie, der Heizung und des Verkehrs – auf sauber verbrennendes Erdgas ist für Europa der schnellste und effizienteste Weg, seine Kohlendioxidemissionen um bis zu 65 % zu reduzieren. Gemeinsam mit grünem Wasserstoff ermöglicht das eine drastische Senkung der CO2-Emissionen.Im jüngst angekündigten Konjunkturpaket erklärt die EU, 1 Mill. Tonnen grünen Wasserstoff produzieren zu wollen – wobei die EU-Kommission das Wasserstoff-Förderprogramm auf 1,3 Mrd. Euro verdoppeln könnte. Derzeit macht Wasserstoff lediglich 1 % der Energieversorgung Europas aus. Entsprechend sind hier sowohl schnelle als auch große Fortschritte erforderlich.Investitionen in die Wasserstoffinfrastruktur allein reichen jedoch nicht aus. Es braucht die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine Kostensenkung für grünen Wasserstoff durch die Aufhebung von Steuern und Abgaben auf den bei seiner Herstellung verwendeten Strom hilft, echte Veränderungen voranzutreiben. Niederlande führen Feld anDerzeit gehen die einzelnen Regierungen bei ihrer Unterstützung für Wasserstoff unterschiedlich schnell vor. Die Niederlande führen das Feld an und haben gerade eine ehrgeizige Strategie für dekarbonisiertes Gas vorgelegt, das bis 2050 30 bis 50 % des Energieverbrauchs ausmachen soll. Auch die deutsche Bundesregierung hat Anfang Juni nach einiger Verzögerung eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet und wird diese durch milliardenschwere Programme in den kommenden Jahren begleiten und unterlegen. Dies ist ein gutes Signal für den Energie- und Industriestandort Deutschland. Um eine Zukunftstechnologie gerade in einem systemrelevanten Bereich wie der Energieversorgung zu etablieren, braucht es einen politischen und rechtlichen Rahmen, um eine entsprechende Nachfrage auf der einen, aber auch Verlässlichkeit für Investoren auf der anderen Seite zu schaffen. Wohlergehen vorantreibenDaneben sollten Unternehmen gezielt auch nach Projekten und Partnerschaften suchen, die die Einführung von Wasserstoff beschleunigen. Im Zuge der Pandemie haben sich bereits viele Technologieführer wie Apple und Google zusammengeschlossen, um die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen sowie den wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben.Wir müssen Zeiten wie diese als Chance begreifen und echte Veränderungen vornehmen, die dazu beitragen, den Energiemix der Zukunft zu etablieren. Gleichzeitig müssen die politischen Entscheidungsträger mit dem gleichen Ehrgeiz, mit dem sie Covid-19 bekämpfen, die Entwicklung neuer Energielösungen und Technologien beschleunigen, die zur Sicherung unserer Energieversorgung und dem Klimaschutz beitragen. Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender der Uniper SE