Cybervorfälle rücken zum Top-Risiko auf

IT-Gefahren weltweit größte Bedrohung für Firmen - Klimawandel spielt immer größere Rolle - Allianz legt neues Risiko-Barometer vor

Cybervorfälle rücken zum Top-Risiko auf

Unternehmen schätzen weltweit erstmals Cybervorfälle als ihr alleiniges wichtigstes Geschäftsrisiko ein. Dies hat die Allianz in ihrem Risiko-Barometer 2020 ermittelt. Doch auch Gefahren infolge des Klimawandels werden für die Unternehmen wichtiger. In Asien rücken sie auf eine Top-3-Position vor.mic München – Cybergefahren und der Klimawandel seien die beiden großen Herausforderungen im neuen Jahrzehnt. So fasste der seit Dezember amtierende Vorstandschef des Allianz-Industrieversicherer AGCS Joachim Müller die Ergebnisse des Allianz-Risiko-Barometers 2020 zusammen.Natürlich gebe es noch viele weitere Schadens- und Störszenarien, räumte Müller ein. Er fügte hinzu: “Wenn sich Vorstände und Risikomanager jedoch nicht mit Cyber- und Klimarisiken beschäftigen, könnte dies die operative Leistung, die Finanzergebnisse und die Reputation ihrer Unternehmen maßgeblich beeinträchtigen.” Die Vorbereitung auf Cyber- und Klimarisiken ist nach Ansicht von Müller eine Frage des Wettbewerbsvorteils und der wirtschaftlichen Resilienz in Zeiten der Digitalisierung und globalen Erwärmung. Hohe Lösegeld-ForderungenMit IT-Gefahren hat erstmals seit dem Jahr 2013 ein neues Risiko weltweit den Spitzenplatz im Ranking inne. Es verdrängt das Risiko einer Betriebsunterbrechung auf den zweiten Platz. Während 39 % der 2 700 befragten Experten Cybervorfälle fürchten, macht 37 % der bisherige Co-Spitzenreiter Betriebsunterbrechung besondere Sorgen (siehe Grafik).Die Entwicklung, dass Cyber global als Top-Risiko gesehen werde, habe die Allianz nicht überrascht, sagte AGCS-Cyberexperte Jens Krickhahn im Gespräch mit Journalisten. Attacken mit Verschlüsselungstrojanern (Ransomware) und Lösegeldforderungen würden immer komplexer. Vor fünf Jahren sei ein typischer Angriff mit einer Forderung von 10 000 bis 20 000 Euro verbunden gewesen. Heutzutage gingen die Lösegeld-Ansprüche in die Höhe eines zweistelligen Millionen-Euro-Betrags. Bußgelder schlagen ins KontorAußerdem führten die verschärften Datenschutzbestimmungen zu höheren Bußgeldern, sagte Krickhahn. Das bisher höchste Bußgeld in Deutschland habe im vergangenen November mit 14,5 Mill. Euro die Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen zahlen müssen, weil sie eine nicht autorisierte Datensammlung betrieben habe. Darüber hinaus werde jedoch die Schulung von Mitarbeitern von vielen Unternehmen vernachlässigt: “Eines der größten Themen ist unverändert das Fehlverhalten von Mitarbeitern.”In Deutschland fürchten die Risikoexperten noch primär die Betriebsunterbrechung, die mit 55 % deutlich vor den Cybervorfällen mit 44 % landete (alle Befragten konnten bis zu drei Risiken nennen). Die hervorgehobene Stellung des Risikos Betriebsunterbrechung erkläre sich durch die globale Aufstellung der hiesigen Wirtschaft, sagte Jürgen Wiemann, der für AGCS die Sachversicherung in Zentral -und Osteuropa lenkt. Auto- und Chemieindustrie sowie der Mittelstand seien sehr vernetzt.Wiemann merkte kritisch an, dass durch kostenoptimierte Verfahren Redundanzen im Produktionsprozess abgebaut worden seien: “Das beobachten wir mit Sorge.” Es führe zu hohen Schäden. Daher müsse industrieweit umgedacht werden.Die Angst vor rechtlichen Veränderungen im Wirtschaftsumfeld rangiert für die Unternehmen an dritter Stelle. Zölle, Sanktionen und der zunehmende Protektionismus treiben sie um. Allein im vergangenen Jahr seien rund 1 300 neue Handelshemmnisse registriert worden, bilanzierte AGCS. Der Handelsstreit zwischen den USA und China habe den amerikanischen Durchschnittszoll auf das Niveau der siebziger Jahre befördert. Klimasorgen in AsienDer markanteste Aufsteiger im weltweiten Allianz-Risiko-Barometer ist der Klimawandel. “Es ist extrem wichtig, das Thema als Unternehmen zu verstehen”, sagte Chris Bonnet, der für die AGCS die Sparte ESG Business Services leitet. Die Debatte rund um Siemens in den vergangenen Tagen sei ein sehr gutes Beispiel, wie sich Klimawandel auf die Reputation eines Unternehmens auswirken könne (siehe Seite 1 und Seite 7 dieser Ausgabe).Im globalen Risiko-Barometer kletterten die Gefahren durch den Klimawandel von Platz 8 auf Platz 7. In der Region Asien-Pazifik rückten sie bereits unter die Top 3 auf. In Ländern wie Australien, Hongkong, Indien und Indonesien seien die negativen Auswirkungen der Erderwärmung und Extremwetter schon vielfach spürbar, sagte Bonnet.In Deutschland dagegen rutschte die Wahrnehmung der Risiken aus dem Klimawandel von Platz 10 auf Platz 11 ab. Der Grund: Die Unternehmen hierzulande sind nach Meinung der AGCS bisher weniger direkt von der Erderwärmung betroffen, weil es beispielsweise nicht so viele Sachschäden gibt. Daher befürchten sie infolge des Klimawandels an erster Stelle strategische Marktveränderungen wie beispielsweise den Wechsel zu Elektroautos.Bonnet strich heraus, dass die Verschärfung der Klimaschutz-Regulierung deutsche und andere Unternehmen beeinflussen werde. In die gleiche Kerbe schlug auch Allianz-Chefvolkswirt Ludovic Subran: “Die Regulierungspläne der EU zu Nachhaltigkeit und Umwelt sind nichts weniger als ein Game Changer.” Die Auswirkungen auf Unternehmen würden so weitreichend sein wie in der Vergangenheit die neuen Vorschriften zur Rechnungslegung oder zum Datenschutz. Zunahme von KlagenBonnet erwartet darüber hinaus eine Zunahme von Klagen gegen Unternehmen, die als größte Verursacher der Erderwärmung angesehen würden. Solche gerichtlichen Auseinandersetzungen gebe es bereits in 30 Ländern weltweit – vor allem in den USA. Dort habe ExxonMobile zwar jüngst einen Rechtsstreit um angebliche Falschaussagen zum Klimawandel gewonnen. Doch sei dies ein gutes Beispiel, was Unternehmen künftig blühen könnte.Neue Versicherungsprodukte gegen den Klimawandel muss AGCS nach eigener Ansicht nicht kreieren. Es handelt sich meist um Sach-, Haftpflicht- oder Reputationsschäden. Es würden spartenübergreifende Produktlösungen geboten, sagte Bonnet.Cyberversicherungen sind für AGCS aktuell ein zweischneidiges Schwert. Die hohe Nachfrage bringt einerseits steigende Beitragseinnahmen. Das Ziel eines globalen Beitragsvolumens von 100 Mill. Euro sei übertroffen worden, sagte Krickhahn. Andererseits sei jede zehnte Police bereits mit einem Schadenfall belastet. In der Region Zentral- und Osteuropa habe das Geschäft mit Cyberversicherungen im vergangenen Jahr trotzdem einen Gewinn abgeworfen: “Momentan sind wir noch profitabel.”