IM INTERVIEW: FRIDOLIN NEUMANN

"Da ist nichts verschlafen worden"

Der Chef der Finanz Informatik (FI) sieht die Sparkassen gut vorbereitet für die Digitalisierung - Manche Institute brauchen Anschub

"Da ist nichts verschlafen worden"

Die Finanz Informatik (FI) ist das technologische Rückgrat der Sparkassenorganisation. Inmitten der durch die Digitalisierung induzierten Veränderungen des Bankgeschäfts kommt dem IT-Dienstleister des Verbunds eine immer größere Bedeutung zu.- Herr Neumann, wie haben sich die Geschäfte im abgelaufenen Geschäftsjahr für die Finanz Informatik (FI) entwickelt?Die wirtschaftlichen Ziele haben wir erreicht und teilweise sogar übererfüllt. Unser Erfolg liegt vor allem darin, dass wir bei anspruchsvollen Rahmenbedingungen die IT-Kosten der Sparkassen weiter verringern oder zumindest nicht steigen lassen. Über die vergangenen fünf bis zehn Jahre haben wir Stück für Stück Synergien heben können – durch die Konsolidierung von ehemals zehn IT-Dienstleistern auf einen, die Einführung einer einheitlichen Gesamtbankenlösung für alle Sparkassen und aktives Kostenmanagement. Mit einem Umsatz von rund 1,5 Mrd. Euro haben wir uns zum zentralen IT-Dienstleister für die Sparkassen-Finanzgruppe entwickelt.- Ist es mit Blick auf die IT-Kosten der Sparkassen für die Finanz Informatik (FI) besser, wenn der Umsatz sinkt?Sie spielen damit auf unser Geschäftsmodell und unseren Auftrag in der Sparkassen-Finanzgruppe an. Ich drücke es mal so aus: Für alle – die Sparkassen und uns – ist es am besten, wenn unser Umsatz steigt, aber die IT-Kosten der Sparkassen-Finanzgruppe insgesamt sinken.- Und wie steigern Sie dann den Umsatz?Neben dem Kerngeschäft für die Sparkassen mit den zentralen IT-Leistungen von aktuell 965 Mill. Euro bauen wir das Geschäft mit zusätzlichen Leistungen für die Sparkassen und Leistungen für die Landesbanken sowie Verbundpartner kontinuierlich aus. Bei den Sparkassen haben wir in den letzten zehn Jahren immer mehr dezentrale Lösungen zu uns geholt und auch damit Synergien und Kostenvorteile realisiert. Dadurch wachsen wir als Unternehmen, sparen aber in Summe für die Sparkassen IT-Kosten ein. Das haben wir auch 2014 wieder geschafft.- Und das Geschäft mit den Verbundpartnern?Bei den Landesbanken, Landesbausparkassen und Versicherern konnten wir in den letzten Jahren erhebliche Zuwächse erzielen. Die Umsatzerlöse mit diesen Kunden sind im vergangenen Jahr auf über 380 Mill. Euro Umsatz gestiegen. Gut ein Drittel der von uns erbrachten IT-Leistung entfällt damit auf den Verbund. Unser Schwerpunkt in diesem Markt liegt heute noch eher im Bereich der Produktion, also dem Rechenzentrumsbetrieb – uns gelingt es aber auch hier sukzessive unsere Gesamtbanklösung OSPlus zum Einsatz zu bringen. So wird die LBBW OSPlus für ihr Retail-Geschäft nutzen; die Migration wird derzeit vorbereitet. Für die Landesbausparkassen werden wir bis 2016 eine gemeinsame Lösung OSPlus-LBS bereitstellen, auf welche diese dann sukzessive migrieren. Solche Projekte gehen deutlich über eine reine Produktionsbündelung hinaus und bieten die Chance, die Nutzung von OSPlus in der Sparkassen-Finanzgruppe stetig auszubauen, damit die Kosten von OSPlus auf mehr Schultern zu verteilen sowie die Investitionen in OSPlus abzusichern.- Wie oft ist es bei der FI schon vorgekommen, dass für die Katz entwickelt wurde?Bisher ist es uns gelungen, dies auf ein Minimum zu begrenzen. Natürlich gibt es auch bei uns Projekte, die entlang der drei maßgeblichen Kriterien Kosten, Zeit und Funktion nicht immer planmäßig verlaufen. Aber bei Großprojekten haben wir unsere Kunden in den letzten Jahren noch nicht wirklich enttäuscht.- Was ist die Agenda für die kommenden zwei Jahre?Im Vordergrund stehen – neben den zwingend umzusetzenden regulatorischen Anforderungen – der Ausbau des Multikanalvertriebs und die intelligente Vernetzung der Vertriebskanäle. Es sind vor allem die Verknüpfungen im Beratungsprozess zwischen der Internet-Filiale, unserer Lösung für das Onlinebanking, der Sparkassen-App sowie der Sparkassenfiliale. Oder die sinnvollen Ergänzungen wie der Kontakt zum Berater per Chat oder Video. Daneben gilt es die vorhandenen Lösungen kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu optimieren.- Wie weit ist denn jetzt das Feld technologisch bestellt?Was das Retail-Geschäft betrifft, sind die Sparkassen auch technologisch gut positioniert. Ende der neunziger Jahre haben wir begonnen, das Kernbanksystem neu zu entwickeln. Diesen Weg ist nicht jede Bank gegangen. OSPlus ist ausgehend von dieser Basis und auf Grundlage einer tragfähigen Architektur seitdem jedes Jahr weiterentwickelt und modernisiert worden. Dabei müssen wir nicht alle Komponenten selbst entwickeln. Komponenten und Lösungen, die am Markt als Fertigteile für OSPlus verfügbar sind, integrieren wir. Voraussetzung ist, dass diese Standardkomponenten vom Markt in unsere flexible Architektur mit ihren offenen Schnittstellen integrierbar sind. Je stärker die Prozessdurchdringung der IT und die Automatisierung der Banken voranschreiten, desto besser müssen auch die IT-Komponenten zueinanderpassen.- Wie sehen Sie die IT-Landschaft bei anderen Banken?Die Deutsche Bank hat das SAP-System von der Postbank als Basis genommen; sie hat sich damit erspart, etwas vollkommen Neues zu entwickeln. Die Commerzbank hat ihre Systeme in den achtziger Jahren gebaut und entwickelt auf Grundlage dieser gewachsenen Landschaft weiter. Diese war auch die Basis für die IT-Integration der Dresdner Bank. In der Sparkassenwelt haben wir – ich meine natürlich unsere Kunden – frühzeitig entschieden, Altsysteme abzulösen. Das hat heute schon Vorteile.- Großes Thema ist derzeit die Digitalisierung des Bankgeschäfts. Welche Rolle spielt die FI da für die Sparkassen?Wir sind der Hauptzulieferer für diesen Wandel – ich kann mir nicht vorstellen, dass man bei den Sparkassen über Digitalisierung reden kann, ohne über IT und die FI zu reden. Das Thema geht für die Sparkassen deutlich über die Frage von IT-Lösungen hinaus; nämlich wie sich das Bankgeschäft insgesamt verändert und was das für das Geschäftsmodell inklusive der Filialen bedeutet.- Ist Mobile Banking derzeit ein Schwerpunkt?Das ist eine Komponente, die im Multikanal derzeit eine besonders dynamische Entwicklung erfährt. An der Stelle haben wir sehr früh Lösungen angeboten. Die Apps der Sparkassen verzeichnen bislang gut 8 Millionen Downloads. Die Akzeptanz für unser Mobile Banking ist also vergleichsweise hoch, und die Sparkassen sind mit ihrem Ansatz gut unterwegs – das wird ja fälschlicherweise nicht immer so gesehen.- Werden Anfragen zur Produktentwicklung an Sie herangetragen, oder nehmen Sie das selber aktiv in die Hand?Das Retail-Geschäft wird in erster Linie von denen verstanden, die es vor Ort selbst betreiben. Wir sind also gut beraten, wenn wir uns vom Bedarf der Sparkassen leiten lassen. Es gibt ein klares Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis. Sparkassen und Vertreter der Sparkassen sind unsere Auftraggeber, die die Anforderungen definieren und die Software-Entwicklung bezahlen. Die Sparkassen sagen uns, was sie brauchen, und wir sagen, was es kostet und wie lange es dauert – und stehen dafür, dass der Prozess funktioniert. Natürlich sind wir auch gefordert, unsere technologische Expertise in diesen Prozess einzubringen.- Eine Diskussion, die Ende des letzten Jahres hochschwappte, war, dass sich die Sparkassen selbst Nachholbedarf bei der Modernisierung des Privatkundengeschäfts bescheinigen – da wird zitiert aus einem internen Papier der Organisation.Das sehe ich differenzierter. Wenn es darum geht, Verbesserungspotenziale festzustellen, kenne ich keine Bank, die in internen Papieren keinen Handlungsbedarf erkennt. Ich bin jetzt 40 Jahre dabei und habe noch nie erlebt, dass einer der Verantwortlichen sagt, man brauche dieses Jahr nichts zu unternehmen. In diesem Sinne ist auch das von Ihnen angesprochene Papier einzuordnen. Daraus den Schluss zu ziehen, dass ein unverhältnismäßig hoher Handlungsbedarf besteht, ist für mich in der Form nicht nachvollziehbar. Wir investieren jedes Jahr allein in die Weiterentwicklung von OSPlus 120 Mill. Euro. Im Zuge der Zusammenlegung der IT-Dienstleister in der Sparkassen-Finanzgruppe wurde das jährliche Software-Entwicklungsbudget gegenüber den Investitionen in die einzelnen abgelösten Systeme verdreifacht. Seit etwa fünf Jahren geben wir pro Jahr rund 120 Mill. Euro für Neuentwicklungen mit dem Schwerpunkt Multikanalvertrieb aus. Allein in den letzten fünf Jahren wurden 150 Mill. Euro in den Multikanalvertrieb investiert. Da ist also nichts verschlafen worden.- Und was ist mit OSPlus_neo?OSPlus_neo ist eine neue, benutzerfreundliche Oberfläche, die Beratern und Kunden einen kanalübergreifenden Zugriff über unterschiedliche Geräte wie iPads, iPhones oder PCs erlaubt. Es ist die logische Fortentwicklung unsere bisherigen Systeme für die Anforderungen moderner Beratungsprozesse und moderner Endgeräte. Wir gehen bislang davon aus, dass wir für die kommenden drei bis fünf Jahre bei den geplanten Investments bleiben und OSPlus_neo in diesem Rahmen zur Verfügung stellen können. Es ist nicht erforderlich, zusätzlich große Summen in die Hand zu nehmen. Wie bereits gesagt, wir sind technologisch gut aufgestellt.- Die FI beschränkt sich auf Sparkassen und Verbund. Lässt man da nicht Chancen liegen, außerhalb des Sektors Geschäft als IT-Dienstleister zu tätigen?Da schlagen natürlich zwei Herzen in meiner Brust. Wenn wir unsere OSPlus-Lösung Kunden außerhalb der S-Finanzgruppe anbieten würden, stehen wir vor der Frage: Geben wir damit einen strategischen Vorteil, den die Sparkassen haben, an den Wettbewerb ab? Wenn unsere Eigentümer das bejahen, fühle ich mich geehrt. Solche Diskussionen führen wir natürlich primär bei der Software, nicht aber bei den Rechenzentrums- und Infrastrukturleistungen; diese sind Commodity. Auch im Software-Umfeld gibt es Bereiche wie den Zahlungsverkehr, wo unstrittig kein Wettbewerbsvorteil besteht, da es IT-seitig reines Mengengeschäft zur Kostenreduktion ist.- Der Reiz wäre doch, OSPlus als den Standard zu etablieren.Es bleibt abzuwarten, ob sich im Markt in fünf bis zehn Jahren ein Basispaket für Bankensoftware durchsetzen wird. Bis jetzt sind fast alle Versuche gescheitert, ein Standardpaket zu positionieren, da diese sich als nicht tragfähig herausgestellt haben. OSPlus hätte aus meiner Sicht entsprechendes Potenzial. Auch die Genossenschaftsbanken, die derzeit ihre beiden IT-Dienstleister zusammenlegen, werden irgendwann solche Überlegungen anstellen. Auf absehbare Zeit wird sich der OSPlus-Einsatz weiterhin auf die Sparkassen und die S-Finanzgruppe fokussieren. Da gibt es noch eine ganze Menge zu gewinnen, bevor sich die weitergehende Frage stellt. Wir konzentrieren uns auf das, was uns am nächsten liegt.- Lange sah es so aus, als präferierten die Sparkassen beim E-Commerce eine eigene Lösung und wollten sich im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern der Deutschen Kreditwirtschaft nicht am sogenannten “deutschen Paypal” beteiligen. Da hat der Wind jetzt gedreht, oder?Die Frage, ob man den Paypals dieser Welt etwas entgegensetzen muss, ist nicht neu. In der Organisation werden diese Frage sowie die möglichen Lösungsoptionen intensiv diskutiert. Wir bringen uns hier als technischer Dienstleister ein. Die Sparkassenorganisation mit 45 % Marktanteil im Retail-Geschäft muss entscheiden, ob eine individuelle Lösung vorteilhaft und bei den Kunden und Händlern durchzusetzen ist. Oder ob man als Antwort auf Paypal einen übergeordneten Standard setzt, der gemeinsam von der Deutschen Kreditwirtschaft getragen wird. Unter diesem Blickwinkel ist eine gemeinsame Lösung im Markt sicherlich leichter zu positionieren. Technisch machbar sind sicherlich beide Wege.- Jetzt mal ganz intellektuell gedacht: Sollten die Sparkassen nicht auch zentralisierte Angebote auf der Kundenseite schaffen? Sprich, eine Betreibergesellschaft für den digitalen Direktvertrieb, die als Direktbank den Mitgliedern gehört.Man kann viele Modelle durchdenken und sich fragen, geht Sparkasse auch, wenn alles zentral und digital gemacht wird. Aus meiner Erfahrung heraus habe ich eine Vorstellung, wie die Zukunft technisch aussieht und wie die Informationstechnologie das Bankgewerbe weiter durchdringen wird. Wir müssen antizipieren, in welchen Schritten sich diese Veränderungen vollziehen.- Aber wie weit können die Kunden im Internet zur Erhaltung des persönlichen Kontakts begleitet werden – und wie wird das mit dem Filialgeschäft verbunden?Das ist keine einfache Frage. Der Sparkassenkunde ist im Mittel ein- bis zweimal im Jahr in der Filiale, rund 100-mal in der Internet-Filiale und rund 200-mal in der App – der Kunde ist also im Netz. Wenn ich ihn ansprechen will, muss ich das dort tun, aber nicht ausschließlich. Natürlich gibt es Auguren, die behaupten, es bräuchte keine Filialen mehr. Das sehe ich nicht so. Der Kunde geht weiter in die Filiale, hebt Geld ab, reicht Überweisungen ein und erwartet persönliche Beratung vor Ort. Selbst wenn ich glauben würde, dass der Kunde irgendwann in der Zukunft nicht mehr in die Filiale gehen wird, höre ich doch nicht jetzt schon mit dem stationären Geschäft auf. Vor Ort für die Menschen da zu sein, ist Teil des Markenkerns der Sparkassen. Außerdem liegt es einfach nicht in der Grundstruktur der Organisation, ihre Kompetenzen an eine zentrale Instanz zu verlagern, denn die Verantwortung liegt beim einzelnen Unternehmer.- Die Sparkassen sind ein heterogenes Gebilde. Ist das nicht hinderlich, um beim schnellen Wachstum des digitalen Direktvertriebs Schritt zu halten?Bei 416 Sparkassen kommt es natürlich zu unterschiedlichen Entwicklungen – und manche müssen ein wenig angeschoben werden. Das Schöne in der Sparkassenorganisation ist, dass wir es als FI mit 416 Unternehmen und Unternehmern zu tun haben, die Veränderungen schon seit vielen Jahren vor Ort erleben. Die verstehen was von ihrem Geschäft und kennen den Bedarf ihrer Kunden. Dem Vorstand vor Ort würde doch als Erstem auffallen, wenn seine Kunden nicht mehr kommen. Es gibt nun mal unterschiedliche Haltungen zu Sachfragen, die im Sparkassensektor mit der Schwarmintelligenz gelöst werden. Dass manche Dinge dann Gegenstand einer öffentlichen Diskussion werden, ist in einer solchen Organisation unvermeidbar.—-Die Fragen stellte Björn Godenrath.