IM INTERVIEW: HELMUT SCHLEWEIS

"Dann werden uns die Kunden bestrafen"

Präsident der Sparkassen wirbt für Nachhaltigkeitsverpflichtung, wehrt sich aber gegen Rolle von Kreditinstituten als "Umweltpolizei"

"Dann werden uns die Kunden bestrafen"

Herr Schleweis, wie dick war das Brett, das Sie bohren mussten, um diese Selbstverpflichtung der Sparkassen auf die Beine zu stellen?Die Sparkassen sind ja aus einer Nachhaltigkeitsmotivation heraus vor über rund 200 Jahren gegründet worden. Das ist unsere Identität. Und dazu gehört heute natürlich auch die ökologische Nachhaltigkeit. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Klimaschutz und zunehmend auch Artenschutz, ist längst auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Davon sind unsere Entscheidungsträger überzeugt. Hatten Sie bei Sparkassen vorgefühlt, wie eine Selbstverpflichtung dort ankommen würde, um nicht eventuell feststellen zu müssen, dass dafür der Rückhalt fehlt?Wir haben das im Verband vorbereitet, besprechen solche Initiativen aber natürlich immer mit den Vertretern der Institute und der Verbände. Eine ganze Reihe von Sparkassen und Verbundunternehmen haben schon viele Initiativen entwickelt und für mehr Ehrgeiz geworben. Andere müssen noch überzeugt werden. Das ist bei uns wie in ganz Deutschland. Bereits jetzt haben 172 Sparkassen die Selbstverpflichtung unterschrieben. Andere besprechen diese Frage noch intensiv mit ihren Trägern und der örtlichen Politik. Und das halte ich auch für richtig. Denn es geht hier nicht um eine kurzfristige Öffentlichkeitsaktion, sondern um ein sehr ernsthaftes und langfristiges geschäftspolitisches Anliegen. Das muss natürlich vor Ort breit getragen werden. Bislang konnte man den Eindruck gewinnen, die Sparkassen bildeten nicht eben die Speerspitze der Nachhaltigkeitsbewegung, und dies, obwohl sie wegen ihres öffentlichen Auftrags dazu doch geradezu prädestiniert sind. Woran liegt das?Ja, das stimmt, unsere intensiven und sehr ernsthaften internen Diskussionen um dieses Thema haben sich nicht immer öffentlich vermittelt. Und die vielen sehr guten örtlichen Initiativen sind so unterschiedlich, dass sie nicht immer überregional als gemeinsame Haltung wahrgenommen werden. Ich denke, dass uns die in der Selbstverpflichtung ausgedrückte gemeinsame Haltung bei einer besseren Wahrnehmung hilft und uns zugleich herausfordert. Beides wollen wir. Ist die Dezentralität des Verbunds da ein Problem? Wenn bei der Deutschen Bank Vorstandschef Christian Sewing den Vorsitz des hauseigenen Nachhaltigkeitsrates einnimmt, weiß jeder im Konzern, wo der Hammer hängt. In Ihrem Verbund ist das komplexer.Na ja, ich beneide Konzerne nicht. Zwar mag da einer das Sagen haben, ob das dann alle wirklich aus eigener Überzeugung machen, muss man ja auch noch einmal hinterfragen. Da ist mir ein komplexer, demokratisch fundierter Diskussionsprozess lieber. Denn wenn Sie das durchgestanden haben, vertreten es die Entscheidungsträger vor Ort aus eigener Überzeugung. Auch das ist eine Dimension von Nachhaltigkeit – das sollte man nicht unterschätzen. Und es ist ja auch schön, wenn eine Bank selbst nachhaltig investiert. Noch wirkmächtiger ist es, wenn schrittweise Millionen Kunden von nachhaltigen Investments überzeugt werden. Oder wenn wir als Geschäftspartner der meisten deutschen Unternehmen entsprechende Finanzierungen auf die Beine stellen. Echte ökologische Erneuerung in ganz Deutschland geht nur mit den Sparkassen. Denn die Bank, die Deutschland repräsentiert, ist gar keine Bank, sondern die Sparkasse. Die Selbstverpflichtung formuliert den Anspruch, das andere ist oft die Umsetzung. Wo drückt denn da der Schuh? Wie wollen die Sparkassen nun etwa mit Blick auf ihre Umweltbilanz und ihr Risikomanagement Daten von Kunden erheben, die diese vielfach gar nicht haben, geschweige denn preisgeben?Ja, das ist sehr wichtig. Auch ich bin Anhänger von “Miss es oder vergiss es”. Aber es muss immer klar sein: Der Ehrgeiz darf sich nicht in erster Linie auf Regulierungen, Reporting und Berichte richten. Wenn Datensammeln Selbstzweck wird, ist damit bestenfalls dem eigenen Gewissen gedient, aber nicht der Umwelt. Wir wollen unseren Kunden den Weg in eine ökologische Erneuerung, in die Dekarbonisierung ebnen. Wir wollen aber nicht von der Politik als Umweltpolizei eingesetzt werden. Man muss Verbraucher und Unternehmen überzeugen, nicht reglementieren. Angesichts des regulatorischen und aufsichtlichen Trends ist es nur eine Frage der Zeit, wann Kreditinstitute schon mit Blick auf ihr Risikomanagement verpflichtet werden, den ökologischen Fußabdruck ihres Kreditbuches zu ermitteln. Wie werden die Sparkassen dies handhaben?Ich halte es nicht für effizient, wenn Kreditinstitute die Investitionen ihrer Kunden ökologisch beurteilen sollen. Das können sie nicht, das sollten sie nicht – und dafür fehlen ihnen meist auch die erforderlichen Daten. Der bessere Weg ist, die ökologischen Kosten in das ökonomische System zu internalisieren, wie dies etwa mit der CO2-Bepreisung erfolgt ist. Wenn Umweltverbrauch den richtigen Preis hat, braucht niemand den anderen ständig kontrollieren. Was den Umgang mit sogenannten braunen Aktivitäten – etwa mit Blick auf Kohle – angeht, haben die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen vermutlich eine ganz andere Meinung als in Bayern.Ja, und nicht nur die. Und sie haben auch recht. Wir müssen ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsverständnis entwickeln. Wenn ökologische Nachhaltigkeit bedeuten würde, ganzen Regionen und Bevölkerungsschichten die ökonomischen Lebensgrundlagen zu entziehen, wird das nicht gelingen. Deshalb muss man ehrlich sagen: Natürlich muss man für eine gewisse Zeit auch sogenannte braune Industrien finanzieren, um ihnen die Transformation zu ermöglich. RWE ruft heute Kritik wegen seiner Kohleaktivitäten hervor, ist aber zugleich einer der größten Anbieter nachhaltiger Energien. Ähnliches erleben wir gerade in der Automobilindustrie. Die reale Welt ist weder schwarz-weiß noch braun-grün. In der Selbstverpflichtung finden sich Punkte, die nicht allzu revolutionär daherkommen. Das Vorhaben etwa, Kunden auf deren Interesse an nachhaltigen Anlagen anzusprechen, wird ohnehin bald Pflicht, wenn es nach der EU-Kommission geht.Das sehe ich anders. Es soll eine gesetzliche Regelung kommen – irgendwann. Wir machen das schon jetzt. Seit Frühjahr dieses Jahrs ist die Ansprache der Kunden auf nachhaltige Geldanlagen technisch fest in unsere Beratungsprozesse integriert, über 100 Sparkassen haben das bereits umgesetzt. Alle anderen werden das bis Mai nächsten Jahres tun. In dieser Breite hat das sonst niemand. Gibt es denn Sanktionen für Institute, die der Selbstverpflichtung beitreten, den Worten aber keine Taten folgen lassen?Ich denke, jeder mit wachem Blick auf die Welt erkennt die Notwendigkeit von besserem Klimaschutz. Wenn wir nicht tun, was erforderlich ist und was wir versprechen, dann werden uns die Kunden bestrafen. Das ist wirkmächtiger als das Wort des DSGV-Präsidenten. Entscheidend ist aber Ehrlichkeit. Welche Versprechen kann man wirklich einhalten? Ich halte es deshalb für sehr richtig, dass sich Vorstände das ganz genau überlegen und nicht vorschnell losreden. Zurückhaltung muss man heute allerdings sehr, sehr gut begründen können. In dem Papier ist unter anderem die Rede von den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, zu denen auch die Gleichstellung der Geschlechter zählt. Wenn man in die Vorstände der Sparkassen schaut, bekommt man aber eine Monokultur zu sehen.Ja, das stimmt, 58 Vorständinnen in Sparkassen sind viel zu wenig. Wir brauchen mehr Diversität – da sind wir uns einig. Das zu schaffen ist enorm schwierig. Ich sehe ja, dass sich bei Ausschreibungen von Vorstandspositionen die Verwaltungsräte sehr um die Besetzung mit Frauen bemühen. Wenn man wirklich etwas ändern will, muss man genau hinsehen. Wir sind in einem hoch regulierten Sektor. Um die Lizenz zur Führung eines Kreditinstituts zu erhalten, ist langjährige Verantwortung im Kreditgeschäft erforderlich. Und da sind Frauen – anders als in anderen Bankbereichen – bisher unterrepräsentiert. Wahrscheinlich haben wir das zu spät bemerkt. Daran müssen wir mit Nachdruck arbeiten. Dann wird es auch genug Bewerbungen von Frauen für Vorstandspositionen geben. Wie Ende Oktober eine Erhebung der Börsen-Zeitung unter 55 ausgewählten Kreditinstituten ergab, haben vor allem Auslands- und Förderbanken bereits einen etwas höheren Frauenanteil in den obersten Führungsetagen. Großbanken und Genossen liegen im Mittelfeld. Sparkassen und Privatbanken hingegen werden besonders selten von Managerinnen geführt.Frauen sind in den Sparkassen deutlich in der Mehrheit – bei den Kundinnen und bei den Mitarbeiterinnen. Bei Letzteren liegt der Frauenanteil bei rund 68 Prozent. Es liegt also nicht daran, dass Sparkassen für Frauen nicht attraktiv wären. Ich halte es deshalb für absolut nachvollziehbar und berechtigt, dass auch Frauen auch in den Vorständen breit repräsentiert sein müssen. Immerhin sind unter zwölf Sparkassenpräsidenten inzwischen drei Kolleginnen. Und bei der DekaBank sowie bei der Berliner Sparkasse, deren Aufsichtsrat ich vorsitze, haben wir auch jeweils eine Frau im Vorstand. Es gibt noch viel zu tun. War eine Selbstverpflichtung auf eine entsprechende Quote in den Beratungen ein Thema, das man verworfen hat, oder wurde dies gar nicht erst in Betracht gezogen?Ich sehe auch, dass in unserer Gesellschaft die Quote Anhänger gewinnt. Ich verstehe die darin zum Ausdruck kommende Ungeduld. Allerdings würde eine regulatorische Quote bei uns derzeit wenig ändern. Denn sie würde nicht dazu führen, dass plötzlich Frauen mit KWG-Lizenz vom Himmel fallen. Die Realität ist leider, dass es bei vielen Besetzungsverfahren fast keine Bewerbungen von Frauen gibt. Die Ursachen liegen also tiefer. Ich denke deshalb, dass gezielte Karrierepfade für Frauen erforderlich sind, die zwingend über das Kreditgeschäft führen. Nur so erreichen wir in der Ebene unterhalb des Vorstands eine ausreichende Breite, aus der heraus Frauen in Vorstände einziehen können. Da bin ich aber sehr hoffnungsvoll. Da tut sich etwas. Und da würde ich auch gerne jede heutige Führungskraft in die Verantwortung nehmen wollen. Der Megatrend Nachhaltigkeit entwickelt sich recht dynamisch. Womit man heute vorne liegt, kann morgen schon überholt sein. Wird die Selbstverpflichtung nach einer bestimmten Frist überprüft und gegebenenfalls nachgeschärft?Die ökologische Erneuerung unserer Wirtschaft ist einer der größten Wachstumstreiber – mit enormen Wachstumspotenzialen. Natürlich muss da eine Selbstverpflichtung immer wieder erweitert werden. Am liebsten wäre mir, wir müssten uns nicht mehr “verpflichten”, sondern würden uns um die Marktchancen reißen. Das ist die Bewusstseinsveränderung, die wir alle schaffen müssen. Wie geht es nun konkret weiter?Derzeit steht angesichts der Klimaerwärmung zu Recht die ökologische Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Ich verstehe Nachhaltigkeit aber als Anspruch, insgesamt die Erde seinen Kindern und Enkelkindern mindestens so gut zu übergeben, wie man sie selbst empfangen hat. Und da gibt es vor allem im sozialen Bereich zunehmend wichtige Themen, die uns beschäftigen müssen. Gerade die Corona-Pandemie vertieft derzeit global und auch in Deutschland die wirtschaftliche und damit die soziale Spaltung. Die soziale Nachhaltigkeit ist deshalb ein Thema, das sehr schnell eine ähnliche Wucht wie die ökologische Frage bekommen wird. Die EU greift das zu Recht mit einer sozialen Taxonomie auf. Was ist also in Sachen soziale Nachhaltigkeit von den Sparkassen zu erwarten?Unsere Gründungsidee ist die einer wirtschaftlichen und damit sozialen Teilhabe. Unsere Aufgabe wird deshalb zunehmend sein, jeden Einzelnen und ganze Regionen wirtschaftlich stark zu machen und damit sozial “im Spiel” zu halten. Die Herausforderung wird sein, das auch dort für Menschen und Regionen zu leisten, wo sich nicht viel verdienen lässt. Möglich wird dies nur sein, wenn dieses Anliegen auch gut Verdienenden wichtig ist. Deshalb wollen wir vermitteln: Wer mit uns Geschäfte macht, tut gleichzeitig etwas für den sozialen Zusammenhalt. Daran müssen alle ein hohes eigenes Interesse haben. Das Interview führte Bernd Neubacher.