Das entscheidende Jahr für die Nachhaltigkeit
Von Silke Stoltenberg, Frankfurt
Die bald geltenden Offenlegungspflichten für die Finanzbranche bezüglich ihrer Nachhaltigkeit sind ein großer Schritt nach vorn. Dieser Ansicht ist Carlo Funk, der europäische Investoren von State Street zu nachhaltigen Investments berät. Für ihn ist das Jahr 2021 eine Trendwende beim Kampf gegen die globale Erderwärmung – nicht nur wegen der Offenlegungspflichten, sondern auch wegen weiterer globaler Entwicklungen.
Die Offenlegungspflichten (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) gelten grundsätzlich ab dem 10. März, auch wenn die technischen Details dazu erst voraussichtlich Anfang 2022 in Kraft treten. Zuvor muss die grundlegende EU-Taxonomie, die nachhaltige Investments und Wirtschaftsaktivitäten klassifizieren will, veröffentlicht werden. Dennoch gilt der Grundsatz, dass von März an Anbieter von Finanzprodukten ihr Angebot in nachhaltige, besonders nachhaltige oder nicht nachhaltige Kategorien einteilen sowie die nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeit in ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen müssen.
Auf Website veröffentlichen
Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater müssen somit ab 10. März Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungsprozessen und Anlageberatungstätigkeiten auf Unternehmensebene auf ihrer Website veröffentlichen. Sie müssen sich ebenso äußern, wenn sie die Nachhaltigkeitsrisiken nicht berücksichtigen, und die Gründe dafür angeben. In den Verkaufsunterlagen zu Produkten muss dargelegt werden, wie Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt und welche Auswirkungen auf die Rendite des Finanzproduktes erwartet werden. Spätestens ab Ende 2022 müssen diese Angaben auch in den Unterlagen zum Finanzprodukt enthalten sein, also beim Fonds im Prospekt und in den regelmäßigen Berichten.
„Auch wenn die Offenlegungspflichten wegen der fehlenden Taxonomie noch von vagen Mindestkriterien geprägt sind, sind sie ein sehr positiver Schritt nach vorn und erhöhen die Transparenz. Das versetzt Investoren in die Lage, ihre Investments noch besser unter ESG-Gesichtspunkten steuern zu können, also nach Fragen des Umweltschutzes, sozialen Kriterien und Aspekten guter Unternehmensführung“, so Funk, der bei der Tochter Global Advisors von Indexfonds seit 2018 EMEA Head of ESG Investment Strategy mit Sitz in London ist. ESG ist die Abkürzung für die drei Nachhaltigkeitsschlagworte Environmental, Social und Governance. EMEA steht für die Region Europa, Naher Osten und Afrika. State Street zählt mit zuletzt 38,8 Bill. Dollar Assets under Custody zu den weltweit größten Verwahrern und gehört mit einem verwalteten Vermögen von 3,5 Bill. Dollar zu den führenden Anbietern von Indexfonds.
Schwammige Informationen
Bislang hätten die Berichte und Prospekte über nachhaltige Produkte eher schwammige Informationen oder Marketingmaterialien beinhaltet, meint Funk. Künftig müssen aber die wesentlichen Anlegerinformationen aufzeigen, wie ESG-Ziele in dem Produkt erreicht werden sollen. Dabei unterscheidet die Offenlegungsverordnung zwei verschiedene Kategorien von nachhaltigen Investments. Nach Artikel 8 gibt es Light-Green-Produkte, die ökologische oder soziale Merkmale in der Investitionsentscheidung berücksichtigen. Die Dark-Green-Produkte nach Artikel 9 dagegen besitzen ein angestrebtes Nachhaltigkeitsziel wie etwa die Reduktion von CO2-Emissionen. „Durch diese neuen Vorgaben wird das Greenwashing bei Investments, also das scheinbare Verfolgen von nachhaltigen Zielen, nur noch schwer möglich sein“, ist Funk überzeugt, der vor State Street für BlackRock und J.P. Morgan gearbeitet hat.
Unternehmensdaten fehlen
Damit Banken, Versicherer oder Fondsanbieter für die Zusammensetzung ihrer nachhaltigen Produkte überhaupt wissen, wie nachhaltig die Unternehmen sind, in die investiert werden soll, fehlt es derzeit indes an den entsprechenden Daten der Unternehmen hierzu. Die derzeit existierenden nichtfinanziellen Berichte zur Nachhaltigkeit, die es in der Europäischen Union bei großen Unternehmen gibt, sind zu allgemeingültig gehalten.
Um bessere Daten liefern zu können, arbeiten beispielsweise die Standardsetzer für die internationalen IFRS-Rechnungslegungsregeln nach Abschluss einer umfassenden öffentlichen Konsultation seit diesem Jahr an entsprechenden Vorgaben. „Wenn in den IFRS-Standards wie auch in den analogen deutschen HGB-Vorschriften neue Kennziffern in puncto Nachhaltigkeit eingeführt sind, gibt es für die Firmen nicht mehr so viele Gründe, das nicht zu rapportieren, zumal wenn dies immer mehr Unternehmen tun“, glaubt Funk an die Strahlkraft der Initiativen in der Rechnungslegung.
Ebenso glaubt der Investorenberater an die positive Ausstrahlung von Vorreitern wie der Allianz, die das Geld ihrer Versicherten bis 2050 klimaneutral anlegen will. „Die Reduktion von Treibhausgasen auf Portfolioebene ist derzeit der wichtigste Punkt in der Nachhaltigkeitsdebatte. Wenn nun große Akteure wie die Allianz sich diesem Ziel verpflichten, wird dieser Ansatz in immer mehr Kapitalpools Einzug halten.“
State Street selbst ist Unterstützer des Carbon Disclosure Project, wozu der eigene jährliche Ausweis der CO2-Emissionen gehört. Zudem veröffentlicht State Street jährlich Berichte darüber, inwieweit die eigene Stimmrechtsausübung der Verhinderung des Klimawandels dient. Das zuletzt nach Nachhaltigkeitskriterien verwaltete Vermögen beziffert Funk mit 374 Mrd. Dollar. Den noch geringen Umfang erklärt er damit, dass in Relation zur Gesamtnachfrage noch eher wenige Anleger nach nachhaltigen ETFs verlangten beziehungsweise dass die Angebotspalette der nachhaltigen Indizes auch noch sehr überschaubar sei. 2020 ist allerdings im Vergleich zu den Vorjahren die Nachfrage nach nachhaltigen Indexfonds im Neugeschäft sprunghaft gestiegen (siehe Grafik).
ESG ist bei den meisten Akteuren im Finanzwesen rein auf das Thema Klimawandel fokussiert. Damit ist aber noch nicht einmal das Spektrum an allen Umweltthemen abgedeckt. Soziale Komponenten wie beispielsweise faire Arbeitsbedingungen berücksichtigen hingegen nur ganz wenige Investoren.
Auch die EU-Taxonomie konzentriert sich nur auf den Klimawandel. Damit hat Brüssel allerdings schon alle Hände voll zu tun, da die Ansichten in den Ländern dazu stark auseinandergehen. Am auffälligsten ist zum Beispiel die unterschiedliche Sichtweise bei der Atomkraft: In Frankreich gilt sie als nachhaltig, in Deutschland ist das Gegenteil der Fall.
Aber eine Verständigung auf eine grundlegende Basis über Ländergrenzen hinaus zumindest bei der Herausforderung der Erderwärmung hält Funk für essenziell. Da die USA unter der neuen Regierung dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten, bestehe wieder die Chance auf eine bessere internationale Zusammenarbeit. Diese sei dringend nötig, auch mit Asien. „Es darf nicht darum gehen, wer die beste Idee hat, sondern wir brauchen beim Klimaschutz eine global gleiche Sprache, die Grundsätze müssen gleich sein bei allen regional unterschiedlichen Vorstellungen.“ Selbst in China und den asiatischen Ländern sei mittlerweile die Erkenntnis vorhanden, dass dringend etwas unternommen werden müsse. China habe sich bereits vorgenommen, bis 2060 klimaneutral zu sein. Hier warte die Weltöffentlichkeit nun auf die Beschlüsse über konkrete Maßnahmen auf dem Weg dorthin.
Gegen rigorosen Ausschluss
Funk lässt durchschimmern, dass er beim Streit um die „richtige“ Form des nachhaltigen Investierens den rigorosen Ausschluss von Unternehmen nicht für den richtigen Ansatz hält. „Die Energiekonzerne brauchen Kapital für den Wandel hin zu nachhaltigeren Energieträgern, da ist es nicht sinnvoll, das Kapital zu entziehen, besser ist die Einflussnahme über ein Engagement bei dem Unternehmen.“ Auch State Street bevorzuge diesen Ansatz und versuche entsprechend auf die Unternehmenslenker Einfluss zu nehmen.
Die Debatte zwischen den Anhängern der Ausschlüsse und des Engagements werde sich in diesem Jahr intensivieren, glaubt Funk. Und wenn dann im kommenden Jahr auch die Privatanleger während der Finanzberatung nach ihrer Bereitschaft befragt würden, ob sie nachhaltig investieren wollen, werde das Thema in der Gesellschaft immer breiteren Einzug halten, blickt er mit Hoffnung nach vorn.