Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile

Erweiterter Kundenzugang, Unterbeteiligungen, zusätzliche Refinanzierungswege und gemeinsame EDV zahlen sich aus

Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile

Der Begriff “Verbundnutzen” wird in der genossenschaftlichen Finanzgruppe in den letzten Jahren immer häufiger bemüht, um den strukturellen Vorteil der Gruppenorganisation zu umschreiben. Allerdings fehlt ihm – damit teilt er das Schicksal vieler Modeworte – eine eindeutige Definition. In manchen Jahresabschlüssen wird er als Summe der an die Primärinstitute ausgezahlten Provisionen und der ausgeschütteten Dividenden angegeben. Doch erschöpft sich in dieser quantifizierbaren Größe bereits der komplette Bedeutungsgehalt des Begriffs? Keine EigenerfindungDas Stichwort “Verbundnutzen” ist keine genossenschaftliche Eigenerfindung. In der Organisationstheorie liegt ein Verbundnutzen dann vor, wenn der Gesamtnutzen einer Vielzahl von Elementen, die in einem System miteinander verbunden sind, höher ist als der additive Nutzen der einzelnen Elemente in einer isolierten Betrachtung.Dieser Verbundnutzen kann sich in einem Nutzenzuwachs für das einzelne Element ausdrücken, den es daraus zieht, dass es Teil des übergreifenden Ganzen ist. Er kann aber auch im Nutzenzuwachs des Ganzen erkennbar werden, der aus der Kompetenzverknüpfung der einzelnen Elemente entsteht. Zulässige SichtweisenBeide Sichtweisen sind zulässig und beschreiben im Prinzip das, was der Volksmund mit “Das Ganze ist mehr als die Summe aller einzelnen Teile” bezeichnet – ein im Übrigen zutiefst genossenschaftlicher Gedanke.Übertragen auf die genossenschaftliche Finanzgruppe bedeutet das: Der Verbundnutzen beschreibt zum einen den Nutzen, der den einzelnen Mitgliedern der Gruppe daraus erwächst, dass sie ein Teil von ihr sind, und zum anderen den Vorteil, den die Gruppe als Ganzes durch die Verzahnung vieler Einzelner erlangt. Ein genossenschaftlicher Verbundnutzen entsteht also zum Beispiel dann, wenn ein Verbundunternehmen den Ortsbanken ein Produktangebot ermöglicht, das sie selbst in dieser Form nicht realisieren könnten. Ebenso ist es ein Verbundnutzen, dass die genossenschaftliche Finanzgruppe durch ihren einheitlichen Auftritt auf eine hohe Wahrnehmung und Wiedererkennbarkeit beim Kunden setzen kann.Vereinfacht formuliert: Der Verbundnutzen meint das, was das einzelne Mitglied aus seiner Mitgliedschaft zieht, aber auch das, was es selbst für alle anderen stiftet.An dieser Stelle soll es speziell um den Verbundnutzen gehen, den die sogenannten Verbundunternehmen für die gesamte genossenschaftliche Finanzgruppe generieren. Ohnehin wird der Begriff häufig auf diese Interpretation verkürzt. Das hat insofern seine Berechtigung, weil die Verbundunternehmen sich ganz ausdrücklich als subsidiäre Dienstleister ihrer Eigentümer, der Volksbanken und Raiffeisenbanken, verstehen. Sie haben den Auftrag, die Primärbanken vor Ort bei der Bewältigung solcher Aufgaben zu unterstützen, die die Kompetenzen des einzelnen Instituts aufgrund beschränkter Ressourcen, regulatorischer Einschränkungen oder per definitionem übersteigen. Auf diese Weise kann in der genossenschaftlichen Finanzgruppe jede Volksbank beziehungsweise Raiffeisenbank auf Produkte und Know-how der Verbundpartner zurückgreifen und ihren Kunden die gesamte Angebotspalette einer Allfinanz-Bank bereitstellen.Am Beispiel der genossenschaftlichen Hypothekenbanken soll die Vielfalt des Verbundnutzens aufgefächert werden, den Verbundunternehmen stiften können. Natürlich zählen die eingangs erwähnten Provisionen für vermitteltes Geschäft innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe dazu – gerade die Immobilienfinanzierer zahlen hier einen seit Jahren steigenden Betrag (Beispiel WL Bank: 2013: 21,7 Mill. Euro, 2014: 25,3 Mill. Euro, 2015: 39,3 Mill. Euro). Vielzahl weiterer EffekteDoch gibt es darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Effekte aus der Kooperation von Verbundunternehmen und Ortsbanken, die einen Verbundnutzen darstellen. So macht die Kompetenzcenter-Funktion einzelner Verbundunternehmen Erfahrungen und Fähigkeiten auf einem Spezialgebiet für die Primärinstitute nutzbar. Das gilt für das Immobilienfinanzierungsgeschäft, in dem alle drei genossenschaftlichen Pfandbriefbanken aktiv sind. Hier generieren die Verbundunternehmen seit Jahren steigende Geschäftsvolumina mit ihren Partnerbanken. Besonders die Baufinanzierung durch private Investoren wird neuerdings stärker über vertriebsstützende Instrumente (etwa das “Investorenbarometer” der WL Bank) angetrieben.Dies gilt aber ebenso für die Kommunalfinanzierung, die derzeit in der genossenschaftlichen Finanzgruppe vor allem durch die WL Bank betrieben wird. Dieses Geschäftsfeld wird für die Volksbanken und Raiffeisenbanken in jüngster Zeit immer attraktiver, so dass die hohe Bekanntheit und die bundesweite Marktdurchdringung der WL Bank hier einen signifikanten Beitrag zur Kompetenzstärkung der Primärbanken leisten können. Gemeinsam bilden Volksbanken, Raiffeisenbanken und Verbundunternehmen ein breites Produktspektrum für den öffentlichen Kunden und zugleich die vom Kunden gewünschte regionale Nähe und Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten ab. Bei der WL Bank wurden 2015 rund drei Viertel des Neugeschäfts zusammen mit den Volksbanken Raiffeisenbanken bearbeitet. Diese profitieren von der Zusammenarbeit nicht nur beim Erstgeschäft, sondern auch bei Folgeabschlüssen.Ökonomischen Nutzen generiert diese gemeinsame Marktbearbeitung vor allem dann, wenn schlanke Prozesse zu beiderseitigen Kosten- und Ablaufvorteilen genutzt werden können. Im Fall des Geschäfts mit den öffentlichen Kunden gewährleistet die WL Bank dies durch die Übernahme der kompletten Abwicklung von der Angebotsstellung bis zur Vertragsabwicklung.Auch die technische Integration in das gemeinsam genutzte Kernbankverfahren bietet unabhängig vom Geschäftsfeld enorme Potenziale für Verbundnutzen, weil sie Redundanzen und manuelle Nachbearbeitungen ebenso vermeiden hilft, wie sie Zeit und Aufwand spart. In der Immobilienfinanzierung entspricht die WL Bank durch die Vollintegration in bank21 und agree bereits heute den Zielvorstellungen des BVR für den einheitlichen Baufinanzierungsprozess in der genossenschaftlichen Finanzgruppe.Auch die Weiterentwicklung gemeinsam genutzter IT durch Verbundunternehmen zählt selbstverständlich zum Verbundnutzen. Langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit früher den, heute dem genossenschaftlichen Rechenzentrum erleichtert es, auf allen Ebenen wirkungsvolle Verbesserungen zu realisieren und erforderliche Nachjustierungen schnell umzusetzen. Dafür ist eine tiefe Integration des Verbundunternehmens selbst in das Verfahren mehr als sinnvoll. Aus diesem Grund bereitet die WL Bank diese Vollintegration auch für das künftige System agree21 mit Hochdruck vor. Nächster Schritt auf dem Weg dorthin ist die geplante eigene Migration auf das bestehende agree, die bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der bestehenden Kundenverbindungen über bank21 durchgeführt wird. BilanzstrukturmanagementZum Verbundnutzen gehört außerdem das Angebot der Verbundunternehmen zum Bilanzstrukturmanagement, beispielsweise mit Hilfe einer strukturierten Unterbeteiligung der Volksbanken Raiffeisenbanken an großvolumigen Finanzierungen. Damit wird den Partnern in der genossenschaftlichen Finanzgruppe eine Möglichkeit für zusätzliches Aktivgeschäft eröffnet, die ihnen ohne die Verbundunternehmen verschlossen bliebe. Anders als im Konsortialgeschäft ist die Unterbeteiligung ein optionales Angebot – wenn auch wegen der Niedrigstzinsen derzeit sehr attraktiv. Das heißt, die Finanzierung wird durch das Verbundunternehmen auch im Fall fehlender Beteiligungsbereitschaft gewährleistet und hängt nicht davon ab, ob sich Beteiligungspartner finden.Verbundweite Rahmenverträge erleichtern die Identifizierung potenzieller Beteiligter, über Workflow-Systeme wird das gesamte Processing so weit standardisiert, dass eine weitestgehende Automatisierung von der Geschäftsanbahnung bis zur -abwicklung erreicht wird. Manuelle Schnittstellen und Abstimmungen sollten möglichst reduziert sein, um einen zügigen und fehlerfreien Ablauf sicherzustellen.Über ihre Refinanzierungswege führen die drei genossenschaftlichen Hypothekenbanken der eigenen Finanzgruppe außerdem externe Liquidität zu. Die WL Bank hat als größter Pfandbriefemittent der Gruppe (25,4 Mrd. Euro) im Geschäftsjahr 2015 ein Refinanzierungsvolumen von 5,5 Mrd. Euro erreicht. Allein von den ersten Benchmark-Emissionen des Jahres 2016 wurden über vier Fünftel bei nichtgenossenschaftlichen Investoren platziert. Der Zugang zu Investoren außerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe stiftet somit einen weiteren Verbundnutzen.Nicht zu unterschätzen ist auch der Aspekt der strategischen Liquidität der Finanzgruppe: Der Pfandbriefmarkt hat in der Finanzkrise Stabilität bewiesen. Der Zugang der Primärinstitute verbreitert das Refinanzierungspotenzial im Verbund und stellt einen weiteren Beitrag zu dessen Krisenfestigkeit dar. Zukünftig soll den Volksbanken und Raiffeisenbanken mit Hilfe der WL Bank der Zugang zu Pfandbriefmitteln eröffnet werden, ohne selbst den Weg zum Pfandbriefinstitut gehen zu müssen. Zusammen expandierenTiefenintegration in die gemeinsame EDV, erweiterter Kundenzugang, Unterbeteiligungen der Volksbanken und Raiffeisenbanken, zusätzliche Refinanzierungswege – all dies macht aus unserer Sicht den Verbundnutzen durch die Verbundunternehmen aus. Er entsteht aus der historisch gewachsenen oder strategisch geplanten Verzahnung quantitativer und qualitativer Faktoren. Sie bilden eine wichtige Triebfeder für die genossenschaftliche Finanzgruppe, mit der wir auch in Zukunft gemeinsam wachsen wollen.—Frank M. Mühlbauer, Vorstandsvorsitzender der WL Bank