Das grüne Risiko steuern
Wir leben seit langem deutlich über unsere Verhältnisse. Es dauert weniger als acht Monate, bis der Mensch das verbraucht hat, was die Natur in einem Jahr regenerieren kann. Wirtschaft, Verbraucher, Politik und Investoren müssen dringend handeln, damit die Natur wieder ins Gleichgewicht findet. Die bislang teils punktuellen Anstrengungen reichen bei weitem nicht aus. Auch der Hype um „grüne“ Investments führt allein nicht ans Ziel. Eine im doppelten Sinne „nachhaltige Entwicklung“ wird nur gelingen, wenn alle Unternehmen auf dem nachhaltigen Kurs mitgenommen werden. Das gilt insbesondere und vor allem für CO2-Schwergewichte mit hohem Transformationsdruck. Finanzinstitute spielen dabei eine wichtige Rolle, da sie dafür sorgen, dass Finanzströme in die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft geleitet werden.
In der Physik ist bei der Dehnung einer Feder die Gegenkraft proportional zur Auslenkung der Feder. Anders als in der Physik verfügt unser Ökosystem über keine solche Rückstellkraft. Es gibt keinen Gegenmechanismus, durch den etwa die Treibhausgasemissionen erschwert werden. Es liegt deshalb an den Menschen, so ein Korrektiv zu implementieren. Das wirksamste Mittel wäre – dem Beispiel der Feder folgend – die Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen. (Je stärker die Emissionen begrenzt werden müssen, desto stärker sollte die Rückstellkraft über den Preis sein).
Ein CO2-Preis belastet Energieträger wie Heizöl, Erdgas, Diesel und Benzin entsprechend ihrem CO2-Gehalt. Gleichzeitig können die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung genutzt werden, um das System an Steuern, Abgaben und Umlagen zu reformieren. Ein hinreichend hoher CO2-Preis würde direkt in die Spreadsheets der Controller von Unternehmen einfließen und die Investitionsentscheidungen direkt beeinflussen. Allerdings haben aktuell nur wenige Staaten überhaupt einen CO2-Preis eingeführt und diese weichen teils erheblich voneinander ab. Die EU schreitet derweil mit der Idee eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus, dem Carbon Border Adjustment Mechanism, voran, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen in Regionen mit weniger strengen Vorschriften zu verhindern (Carbon Leakage).
Der Vorteil einer globalen, angeglichenen Bepreisung wäre, dass die Kosten für CO2-Emissionen weltweit in jegliche Produktionskosten einfließen und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen sowie Arbitrage vermeiden. Ein einheitlicher CO2-Preis würde es auch für Banken einfacher machen, ihre Kundenportfolios in Richtung Nachhaltigkeit zu steuern. Ein CO2-Preis mit signifikantem Einfluss auf die Produktionskosten könnte sich in allen Planungsszenarien und damit in den Ratings der Unternehmen niederschlagen und somit automatisch in der normalen Portfoliosteuerung und Kapitalallokation der Banken.
Zusätzlich übertragen Politik und Regulierer den Banken die Aufgabe, über nachhaltige Finanzierung die Transformation der Industrie zu stützen und so als zentraler Mittler zu fungieren. Der „Sustainable Finance“ genannte Beitrag der Finanzindustrie umfasst alle Facetten der Unternehmensfinanzierung, die zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der „Sustainable Development Goals“ der UNO beitragen und eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ermöglichen. Ob diese indirekte Steuerung dieselbe Wirkung entfalten wird wie ein globaler CO2-Preis, bleibt abzuwarten.
Die Steuerung des Klimarisikos in den Portfolios der Banken hat zwei Dimensionen: über das Risikomanagement die „Sicherheit der Bank“ („Save the Bank“) zu gewährleisten und die gesetzten Nachhaltigkeitsziele nicht zu gefährden („Save the World“). Mit Blick auf die Risiko-Dimension ist unstrittig, dass Klimarisiken die Kunden der Banken in jedem Fall treffen und sich insbesondere im Kreditrisiko materialisieren werden.
Im Fokus steht die Analyse der künftigen Betroffenheit des Kreditportfolios von physischen und transitorischen Risiken. Wissenschaftliche Klimaszenarien und mögliche Gegenmaßnahmen müssen dabei in Bilanzkennzahlen übersetzt werden. Bei den Übergangsrisiken werden u.a. geänderte Regulierung, Preisveränderungen oder Einflüsse aus technologischen Veränderungen betrachtet. Bei physischen Risiken werden Effekte aus Stürmen, Dürren oder Anstieg des Meeresspiegels berücksichtigt. Die Übersetzung von Klimarisiken in Bilanzkennzahlen ist um einiges komplizierter, als den Einfluss des Zinsumfelds zu schätzen, zumal man Zeiträume bis mindestens 2050 betrachten muss.
Die spezifische Betroffenheit der Portfolios und Einzelengagements durch Klimarisiken muss schrittweise in die Kreditprozesse integriert werden, zum Beispiel durch einen Score, der die Klimarisiken des Kunden und die Transformationsfähigkeit beurteilt. Sukzessiv werden Klimarisiken über die Risikoinventur in den ICCAP-Prozess einfließen. Der Klimarisikostresstest, den die EZB 2022 für Banken anwendet, wird hier weitere Erkenntnisse bringen. Im Sinne des „Save the Bank“ integrieren die Banken so die Klimarisiken schrittweise in ihre Risikoprozesse.
Allerdings haben sich die Banken weltweit auch zu Portfoliozielen verpflichtet. Im Sinne „Save the World“ soll sich der CO2-Footprint der finanzierten Unternehmen/Kunden verbessern. Die Commerzbank hat sich beispielsweise verpflichtet, bis 2050 die CO2-Emission des gesamten Kredit- und Investmentportfolios auf netto null zu reduzieren, und arbeitet aktuell intensiv daran, die sogenannten „finanzierten Emissionen“ zu messen. Diese werden mit zunehmender Durchdringung von Daten und Methodik immer „greifbarer“. Zur verlässlichen Messung des Reduktionsfortschritts setzen wir auf wissenschaftsbasierte CO2-Reduktionsziele der Science-based Targets Initiative (SBTI), nach denen wir unsere Portfolien ab spätestens 2025 im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen steuern werden.
Datenbasis verbessert
Die Datenbasis für die Ermittlung wird laufend verbessert. Für zwei Portfolios haben wir bereits Testrechnungen durchgeführt.
1. Das Energieportfolio beispielsweise hat eine geringere CO2-Intensität als der Durchschnitt des Sektors unter anderem aufgrund unserer umfangreichen Finanzierung von Windkraft. Trotzdem zeigt die Beispielrechnung auch, dass das Energieportfolio die CO2-Intensität bis 2030 um deutlich mehr als die Hälfte reduzieren muss, um die vorläufigen Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Für Net Zero wird eine noch höhere Reduktion zwingend sein. Das unterstreicht die Herausforderungen, vor denen Unternehmen stehen.
2. Die zweite Testmessung für unser Portfolio privater Baufinanzierungen hat bei der CO2-Intensität leicht über dem Durchschnitt gelegen. Grund ist u.a. der hohe Anteil an Einfamilienhäusern. Auf Basis der Testrechnung wäre hier eine Reduktion von etwa 60% bis 2030 erforderlich. Hierzu müssten die Energieversorger ihre Effizienzziele erreichen und alle finanzierten Gebäude auf den Energiestandard „A“ gebracht werden. Auch dieses Beispiel zeigt den Druck, eine Transformation zu finanzieren. Bis zum dritten Quartal 2022 werden wir gemäß SBTi konkrete CO2-Abbauziele für 2030 und 2050 definieren, auch für unser Portfolio privater Baufinanzierungen.
Bei der Steuerung der Portfolien müssen sowohl „Save the Bank“ als auch „Save the World“ in Einklang gebracht werden. Unser Ziel ist es, Deutschlands Firmen bei der Transformation zu begleiten und zugleich die Transitionsrisiken für die Bank zu managen. Dazu müssen wir uns eng mit den Unternehmen austauschen und folgende Fragen zusammen beantworten:
Welchen Risiken ist ein Unternehmen durch den Klimawandel ausgesetzt, insbesondere auf dem Transitionsweg zur Klimaneutralität? Diese Risiken sind von Branche zu Branche und von Kunde zu Kunde sehr spezifisch und müssen verstanden werden. Sie können z.B. aus steigenden CO2– oder Energiepreisen resultieren, aber auch aus geändertem Nachfrageverhalten oder verschlechterten Refinanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt.
Wenn Risiken mitigiert werden können, ist ein Unternehmen bereits auf dem Weg der Transformation und kann sich selber auf einem SBTi oder Net-Zero-Pfad entwickeln. Dann sind Fragen zu beantworten, welche technischen Innovationen dafür nötig sind und welcher Investitionsbedarf dadurch entsteht und wie er finanziert werden kann.
Darüber hinaus erscheint es uns aber zielführender im Sinne des Klimas zu sein, eben auch die Unternehmen zu finanzieren, die heute nicht als perfekt „grün“ gelten. Wir lösen das Problem nicht, wenn alles Geld nur in „Grünes“ fließt. Es ist wichtig, in Unternehmen zu investieren, die sich glaubwürdig transformieren.
Um ein verlässliches Management von ESG-Risiken zu etablieren, braucht es aber auch einen verlässlichen Rahmen. Unter dem Stichwort Taxonomie arbeitet die EU gerade an einem großen Regelwerk, das auch Vorgaben für das Risikomanagement enthält. Auch EBA, EZB und BaFin erheben diverse regulatorische Anforderungen an ESG-Faktoren.
Wir sehen die Gefahr, dass dieses Rahmenwerk überzeichnet wird. Denn viele sehr verschiedene Interessen sollen in der Taxonomie vereint werden. Das aber käme der Quadratur des Kreises gleich. Problematisch ist vor allem, wenn nachhaltiges Investieren beispielsweise auf bestimmte Technologien verengt wird. Wenn Banken bei der Finanzierung beispielsweise verstärkt auf Trends wie Wasserstoff setzen, kann sich daraus ein technisches Konzentrationsrisiko bilden. Der Einsatz von Wasserstoff befindet sich noch im Anfangsstadium der Entwicklung.
Vieles ist noch unklar und birgt somit auch ein hohes Rückschlagpotenzial. Deshalb ist es gerade jetzt notwendig, alle möglichen Optionen und Technologien auszuprobieren. Die Steuerungsansätze SBTi oder Net Zero geben interessanterweise dazu wesentlich mehr Freiheitsgrade für Innovation als eine zu enge Taxonomie. Sie stellen nach einem globalen CO2-Preis die nächst beste halbwegs direkteste Rückstellkraft dar.
Die Natur hat keinen Gegenmechanismus wie eine Feder. Allenfalls kommt sie ins Gleichgewicht, wenn es für den Menschen zu spät ist. Die Banken haben die Aufgabe übertragen bekommen, über die Portfoliosteuerung so eine Rückstellkraft zu entwickeln, gerade weil es Hand in Hand mit der Risikosteuerung in den Banken läuft. Am Ende wird die Menschheit mehrere solche Rückstellkräfte benötigen, deshalb sollten wir diese Aufgabe annehmen.
Zuletzt erschienen:
Offenlegungsverordnung: Fluch oder Segen für Private Equity? (27. Januar)
„Ein weiteres entscheidendes Jahr“ (26. Januar)