"Das ist ein sehr breites Instrumentarium"
Die überarbeitete Finanzmarktrichtlinie Mifid II wird das Geschäft der Gruppe Deutsche Börse an vielen Stellen stark verändern. Bernd Mack, Executive Vice President bei der Eurex, und Torsten Schaper, Head of Unit Political Analysis, sprechen im Interview über die Folgen, die jetzt schon absehbar sind.- Herr Schaper, Mifid II dreht einige Inhalte der Mifid I wieder zurück. Ist das ein Zeichen dafür, dass Mifid I ein Fehler war?Schaper: Bei der Mifid II befinden wir uns derzeit im Konsultationsprozess zu den sogenannten technischen Standards des Level II, der die Details des Gesetzes festlegt. Es ist daher sehr schwer, die Auswirkungen jetzt schon zu beurteilen. Aus unserer Sicht kann man aber sagen, dass Mifid II die Vorgängerrichtlinie ergänzt. Das wichtigste Element ist, dass die Transparenzanforderungen der Mifid I auf alle Finanzinstrumente ausgeweitet werden. Mifid I enthielt unserer Ansicht nach viele Schlupflöcher, die jetzt gestopft werden. Ich würde daher nicht sagen, dass sie zurückgedreht werden. Vielmehr handelt es sich um eine Erweiterung.Mack: In der Mifid I war bereits ein gewisser Zielkonflikt angelegt, der auch in der Mifid II zu erkennen ist. Auf der einen Seite soll Wettbewerb, auf der anderen Seite ein kohärentes und einheitliches Regelwerk geschaffen werden.- Wo zeigt sich der Zielkonflikt?Mack: Er wird zum Beispiel beim Thema Dark-Pool-Handel offensichtlich. Grundsätzlich lässt Mifid II den Handel im Verborgenen weiter zu. Über Mindestordergrößen werden Transparenzausnahmen festgelegt, um es großen institutionellen Investoren weiterhin zu ermöglichen, große Orders in Dark Pools auszuführen. Gleichzeitig will der Gesetzgeber aber generelle Volumenobergrenzen, die sogenannten Volume Caps, einführen, um die Nutzung von Dark Pools einzuschränken.- Es heißt, diese Caps könnten das Geschäft der institutionellen Investoren empfindlich beschneiden. Denn sobald das Volumen “aufgebraucht” ist, müssten sie sich ins offene Orderbuch stellen und einen Markteinfluss in Kauf nehmen.Schaper: Man kann unter der Mifid II sowohl bilateral als auch multilateral handeln. Wenn man sich als institutioneller Investor entscheidet, eine multilaterale Plattform zu nutzen, kann man bestimmte Ausnahmen von den Transparenzpflichten in Anspruch nehmen. Die Grundidee lautet: Große Orders werden über sogenannte Large-in-Scale-Waivers von der Vorhandelstransparenz ausgenommen. Ich kann von den Transparenzanforderungen ausgenommen werden, wenn es eine Notwendigkeit dafür gibt.- Was halten Sie davon?Schaper: Wir sind die Letzten, die sagen, dass sich Akteure mit großen Orders ins offene Orderbuch stellen sollen. Das macht aufgrund des Market Impact keinen Sinn. Aber die Ausnahmen sollten nach klaren Regeln erteilt werden und von der Aufsicht überprüfbar sein. Die Volume Caps beziehen sich nicht auf Large-in-Scale-Transaktionen. Das sind vielmehr weitere Transparenzausnahmen, die jetzt aber zum Glück gedeckelt werden. Sie können aber immer noch erhebliche Marktanteile ausnehmen.- Welche Geschäftschancen birgt die Mifid II für die Gruppe Deutsche Börse?Mack: Wir und andere Börsen sind in Sachen Transparenz und Marktmodelle schon der Referenzpunkt. Die Deutsche Börse hat erheblich in Infrastruktur und Technologie investiert und kann auf Mifid II gut reagieren. Das Zusammenspiel von Mifid II und der Derivateverordnung Emir öffnet uns etliche neue Geschäftschancen. Wir haben die Clearingpflicht für bestimmte Derivate unter Emir und eine Handelspflicht unter Mifid II. Wir sehen schon jetzt, dass mehr Geschäft elektronisch gehandelt wird, und erwarten sowohl auf der OTC- als auch auf der Börsenseite Zuwächse. Grundsätzlich besteht die Chance, über unser bisheriges Kerngeschäft hinauszugehen und uns im OTC-Markt zu etablieren.- Ein heiß diskutiertes Thema ist der offene Zugang zum Clearing.Mack: Wenn man sich die Historie anschaut, sieht man, dass die erfolgreichen Derivatebörsen alle ein integriertes Modell verfolgen. Diese Struktur hat zwei Vorteile: Es gibt Sicherheitsmechanismen, die sowohl handels- als auch clearingseitig greifen – und zwar technisch, funktional und legal. Zudem sind Innovationen leichter darzustellen, weil Handel und Verrechnung in einer Hand liegen. Die beiden Regelwerke Mifir und Emir regeln nun den Zugang zu Trading-Plattformen und Clearinghäusern. Auf der OTC-Seite versuchen wir ohnehin schon, uns an andere Plattformen anzubinden, weil wir diese Konnektivität für unser OTC-Clearinggeschäft brauchen. Wir sind mit Handelsplätzen im Gespräch, die neue, innovative Produkte haben.- Was können Sie denen anbieten?Mack: Wir sind im Bereich Risikomanagement und Portfolio-Margining führend. Das heißt, dass über verschiedene Produktgruppen hinweg das Gesamtportfolio in die Risikoberechnung und Besicherung einbezogen wird.- Birgt der offene Zugang zum Clearing auch Risiken?Mack: Die Risiken bestehen mehr in der Umsetzung. Natürlich ist der offene Zugang zu Clearinghäusern positiv. Wir müssen aber stark opportunistisches Verhalten vermeiden, dass zum Beispiel Access Requests gestellt werden, die ökonomisch nicht tragfähig sind. Zudem müssen wir sehen, dass das Clearinghaus in der Rolle als zentrale Gegenpartei eine wichtige Rolle für die Stabilität und Integrität der Märkte spielt. Daher muss beachtet werden, dass keine zusätzlichen systemischen Risiken und adverse Effekte entstehen. Und das berücksichtigt der Level-II-Text meiner Ansicht nach noch nicht ausreichend.- Was fehlt?Mack: Wir haben Vorgaben dafür bekommen, einen Access Request ablehnen zu können. Die halten wir zwar grundsätzlich für fair. Die Beweislast bei einer Ablehnung liegt aber beim angefragten Clearinghaus. Wir würden uns wünschen, dass wir als zentrale Gegenpartei pragmatischere Regelungen bekommen. Zudem schränkt der Level-II-Text die Möglichkeiten der nationalen Aufseher, einen Access Request zu untersagen, sehr stark ein.- Wer hat stattdessen das Sagen?Die Entscheidungen sollen in strittigen Fällen zur Prüfung auf das sogenannte CCP College auf europäischer Ebene übertragen werden, in dem Vertreter der verschiedenen nationalen Aufseher sitzen. Das finden wir unglücklich. Wir denken, dass die nationalen Aufsichtsbehörden die erste Instanz sein sollten. Sie sind unsere ersten Ansprechpartner, und sie verfügen über das Wissen um unsere Strukturen und Prozesse.- Wie stufen Sie die Regeln zum Hochfrequenzhandel ein?Schaper: In Deutschland haben wir ja schon ein Hochfrequenzhandelsgesetz, das weitestgehend die Inhalte der Mifid II vorweggenommen hat. Das deutsche Gesetz hat allerdings einen anderen Fokus, als der Name suggeriert. Es ist eher ein Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Verschiedene Elemente stellen sicher, dass es zu keinen Problemen bei der Verwendung von Technologie kommt. Für uns ist ein Hochfrequenzhändler ein Marktteilnehmer wie jeder andere auch. Er braucht gewisse Vorkenntnisse wie die Händlerprüfung, eine gewisse Infrastruktur und muss sich an Regeln halten.- Nun hat aber auch die Aufsicht ein Auge auf ihn.Schaper: Das Gesetz wie später auch die Mifid II legt gewisse Dinge fest, die der Marktplatzbetreiber einführen muss. Zum Beispiel eine Volatilitätsunterbrechung. Alle Marktteilnehmer müssen bestimmte Aufzeichnungspflichten erfüllen und ihre Systeme testen. Zudem gibt es Gebühren für eine exzessive Systemnutzung, und die Marktplatzbetreiber können über Order-Transaktions-Verhältnisse auch Obergrenzen einziehen. Marktteilnehmer, die sehr viele Orders einstellen und so gut wie keine ausführen, können von bestimmten Schwellenwerten an zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist ein sehr breites Instrumentarium, die Zulassung als Hochfrequenzhändler bei der Aufsicht ist das i-Tüpfelchen. Uns war es wichtig, dass es zu keinem Verbot des Hochfrequenzhandels kommt und dass die Markttiefe nicht gefährdet wird.- Hat das deutsche Gesetz das Verhalten der Marktteilnehmer beeinflusst?Schaper: Man sieht, dass etwas Liquidität vom Markt verschwunden ist. Das bedauern wir, aber es ist politisch gewollt. Man hat bestimmte Aktivitäten aus dem Markt entfernt.Mack: Auf der Derivateseite haben sich US-Akteure über eine regulierte Einheit in London bei uns angebunden. Einige haben einen anderen Set-up gewählt. Es gibt aber auch Teilnehmer, die ihre Handelsaktivitäten umgestellt haben.- Ist das bei bestimmten Instrumenten besonders zu beobachten?Mack: Im Optionsbereich bekommen wir über den Hochfrequenzhandel sehr viel passive Liquidität, die Order-to-Trade-Ratios sind sehr hoch. Das geht auch nicht anders, weil die Preisfindung in diesem Marktsegment so funktioniert. Und wir sehen, dass sich die Marktteilnehmer sehr genau überlegen, in welchem Produkt sie dabei bleiben. Im Spread haben wir nichts gemerkt, aber in einigen Produkten bei der Markttiefe.- Wird die Handelspflicht für Derivate neue Eurex-Produkte zur Folge haben?Mack: Der Markt hat die neuen Mifid-II-Regeln schon antizipiert. Auch ohne Clearingverpflichtung aus Emir und Handelsverpflichtung aus Mifid II wird ein erheblicher Teil des Geschäfts bereits zentral gecleart und elektronisch gehandelt. Durch die Herausnahme des individuellen Kontrahentenrisikos durch eine zentrale Gegenpartei sind die Spreads im Vergleich zu bilateralen OTC-Geschäften gesunken. Darüber hinaus erlaubt eine zentrale Gegenpartei effizientere Marktmodelle auf der Handelsseite. Das sehen wir heute bereits auf verschiedenen elektronischen OTC-Plattformen. Insgesamt bringt diese Entwicklung eine Annäherung des OTC-Handels an börsliche Strukturen. Diese Chance wollen wir nutzen.- Welche Neuheiten gibt es?Mack: Wir haben verschiedene Börsenprodukte als Alternative oder Ergänzung zu klassischen OTC-Produkten eingeführt, zum Beispiel Swap-Futures und Produkte auf der Repo-Seite. Wir denken über Inflationsprodukte nach. Wir schauen, wie alle anderen Börsen auch, wie wir diese sich auftuenden neuen Nischen besetzen können. Und aus diesen Nischen heraus hoffen wir, einen größeren Marktanteil zu entwickeln. Schließlich überlegen sich derzeit insbesondere institutionelle Investoren, wie sie künftig ihren Marktzugang gestalten. Da werden wir viel Bewegung sehen.- Mifid I hat Sie auf der Ertragsseite getroffen, weil die Transaktionskosten gesunken sind. Kann Mifid II das wettmachen?Mack: Ertragschancen gibt es reichlich. Gleichzeitig erwarten wir neue Konkurrenten. Auf der Derivateseite sind wir durch das integrierte Modell sehr gut aufgestellt. Mifid II wird allein durch den breiten Anwendungsbereich viel weitreichendere Auswirkungen haben als die Vorgängerrichtlinie. Mifid I hatte mit Aktienmärkten noch einen relativ überschaubaren Regelungsbereich im Fokus. In der Breite bekommen wir nun eine wesentlich höhere Komplexität: Es gibt neue Regeln für alle Finanzinstrumente, vom Emissionshandel bis hin zu Derivaten. Die Marktinfrastruktur reicht von hocheffizienten Derivatebörsen bis hin zum fragmentierten OTC-Derivatemarkt. In der Tiefe geht Mifid II deutlich weiter als die Mifid I. Man will ein gemeinsames Regelwerk für Europa schaffen, das ganz tief ins Gerätehaus der Marktmikrostruktur eingreift.—-Das Interview führten Grit Beecken und Christopher Kalbhenn.