FINANZBRANCHE KÄMPFT UMS ÜBERLEBEN

Das Mantra der Plattform-Ökonomie

Banken müssen sich Konkurrenz branchenfremder digitaler Ökosysteme stellen und selbst Marktplatz sein

Das Mantra der Plattform-Ökonomie

Von Björn Godenrath, FrankfurtEs ist eine Bestandsaufnahme, die Sorgenfalten verursacht: Nur 40 % der deutschen Top-Manager gaben bei einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom im Frühjahr an, dass sie wissen, was die Begriffe Plattform-Ökonomie bzw. digitale Plattformen bedeuten. Dabei kriegen viele Industrien die Auswirkungen solcher Plattformen wie Amazon und Airbnb schon direkt zu spüren, da sie auf ihren Marktplätzen Nachfrage bündeln und bislang gültige Wettbewerbsregeln aushebeln können. Es kommt in der härtesten Ausprägung zur Disruption, sprich die Wertschöpfungskette wird aufgebrochen und Erträge landen zuvorderst bei den Betreibern der Plattformen, die den Zugang kontrollieren und gemütlich Provisionen kassieren von den Zulieferern der Produkte, die über die Marktplätze der Plattformen vertrieben werden. Finanzvertrieb als BeiwerkDas ist eine Entwicklung, die nun auch im Bewusstsein der Finanzbranche angekommen ist. Auf den Herbst-Bankenkonferenzen in Frankfurt kam kaum ein Podium ohne Würdigung des Themas aus. Die Banken bekunden jedenfalls, sich des Themas anzunehmen, betrachten sie es im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategien doch als reale Gefahr, eines Tages von Plattformen wie Baidu, Alibaba, Facebook, Wechat und Tencent attackiert zu werden. Diese haben den Weg beschritten, erst Kundenmasse und Loyalität aufzubauen, und erweitern nun ihre Funktionalitäten um Finanzdienste. Baidu bietet 500 Millionen Nutzern neben Werkzeugen der täglichen Kommunikation auch per Suchmaschine zugängliche Investment-Produkte, wozu auch hauseigene Fonds gehören. Analog werden bei Wechat neben Apps für den täglichen Bedarf des Lebens auch Finanzprodukte angeboten.Nun könnte man natürlich argumentieren, dass Asien weit weg ist und selbst Facebook nur zaghaft Anstalten macht, ihre irische Banklizenz voll einzusetzen. Eine solche Haltung wäre aber trügerisch, können strategische Initiativen der großen Plattformen dank ihres rein digitalen Charakters doch eine solche Wucht entfalten und mit ungeheurem Tempo Wertschöpfung an sich ziehen, dass die Konkurrenz aus der alten Welt wehrlos zuschauen darf, wie ihr Geschäft zu den Plattformen abfließt.Für die Banken schlägt nun die Stunde der Wahrheit – und an der Uhr gedreht haben neben dem sich entfaltenden technologischen Fortschritt die Regulatoren, die vor Jahren mit Gesetzesinitiativen wie der Payment Service Directive (PSD) einen Paradigmenwechsel einleiteten, der 2018 mit Umsetzung der fortentwickelten PSD2 eine Zuspitzung erfährt. Denn hier hatte sich der Gesetzgeber entschieden, eine Innovation vor das Konto zu schalten, welche es den Fintechs, aber auch den großen Plattformen erlaubt, per Schnittstelle mit Zugriff auf Bankdaten Konten-, Payment-, und Infodienste anzubieten – man kann dann auch direkt vom Facebook-Login den Kontostand checken, Barclays ermöglicht das in UK schon.Auf dem Spiel stehen für Banken dabei einerseits die direkten Kundenbeziehungen und andererseits die dabei flöten gehenden Erträge aus Zusatzdiensten, die dann eben von der neuen digitalen Konkurrenz vereinnahmt werden. Dem Mantra der Plattform-Ökonomie können die Banken nicht entkommen, wehrlos sind sie aber nicht, sofern sie schnell handeln, den Plattform-Gedanken adaptieren und die entstehenden Möglichkeiten des Banking per Anwendungsprogrammierschnittstelle (API) nutzen, um ihrerseits Dienste per Schnittstelle aufzuschalten. Denn als “Data Warehouse” im modernsten Sinne sind die Banken gar nicht schlecht gerüstet für eine Rolle als zentrale Anlaufstelle und Navigator des Kunden durch den digitalen Dschungel mit all seinen Verästelungen und Fallstricken, die seine Datenintegrität bedrohen. Maschinelle AuswertungUnd dafür wird fleißig investiert. Beim Aufrüsten ihrer datenanalytischen Werkzeuge schrauben die Banken längst an ihrer Middleware und integrieren eine erste Schicht künstliche Intelligenz, Artificial Intelligence (AI), das ist Notwendigkeit und Königsdisziplin zugleich für die Automatisierung von Prozessen. Die laufen zwar zunächst im Hintergrund, drängen aber als Algorithmus maschineller Auswertung von Information selbst in die Kundenberatung. Die bekannteste Maschine ist die von IBM und heißt “Watson”. Ihr Einsatz verspricht die Veredelung von Stammdaten, die in Verbindung mit Verhaltensdaten gebracht werden. Das alles soll in großer Datensynthese auf den Bankenmarktplätzen zusammengebracht werden.Hilfreich dabei ist auch das eine oder andere Fintech. Die Banken greifen gerne auf deren Kompetenzen zurück, sofern sie damit eigenen Entwicklungsaufwand sparen und zudem eine beschleunigte Markzutrittsgeschwindigkeit besitzen. Wer jetzt erst anfängt, einen Multibankenaggregator zu entwickeln, braucht in ein paar Jahren gar nicht erst damit antreten, haben Kunden bis dahin doch längst eine digitale Heimat für ihr gebündeltes digitales Banking gefunden. Wer zu spät kommt, den bestrafen die Gesetze der digitalen Plattform-Ökonomie.Ob die Banken in der Lage sind, sich schnell genug diese digitale Denkweise anzueignen? Dem steht die starre Fehlerkultur entgegen sowie ein regulatorisches Korsett, das Produkte mit minimalen Anforderungen und Eigenschaften (Minimum Viable Products) verhindert. Sind es am Ende die Banken selbst, die regulatorischen Freiraum brauchen, um mit den in ihr Territorium drängenden branchenfremden Ökosystemen konkurrieren zu können? Eine solche Abwägung erscheint nicht weltfremd, doch noch haben sich Wettbewerbshüter und Gesetzgeber auf internationalem Parkett zuvorderst einer Fintechs begünstigenden Innovationsförderung verschrieben, was im Verbund mit dem Niedrigzinsumfeld in ein schrittweises Abwracken der Bankindustrie mündet.Die Chance der Banken liegt darin, selbst Innovator zu sein und sich an die Spitze des Fortschritts zu stellen. Einen solchen Paradigmenwechsel hätte man besser schon in den guten Zeiten mit einer dezidierten Einheit “Forschung und Entwicklung” eingeleitet, als es die natürlichen Erträge aus dem Treasury noch ermöglichten, Kontendienste für Kunden querzusubventionieren. Heute gibt es digitale Kontowechseldienste, da ist der Kunde ein paar Klicks später schon bei einer anderen Bank – oder eben bei einer Plattform, die Bankgeschäft nur so nebenbei betreibt.