IM BLICKFELD

Das Puzzle des Betrugsvorwurfs gegen die Deutsche Bank

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 12.5.2015 Fünf Angeklagte mit einem Tross von gut einem Dutzend Verteidigern, meist drei Vertreter der Staatsanwaltschaft, eine dicht besetzte Richterbank und zahlreiche Journalisten im Zuhörerraum: Der...

Das Puzzle des Betrugsvorwurfs gegen die Deutsche Bank

Von Michael Flämig, MünchenFünf Angeklagte mit einem Tross von gut einem Dutzend Verteidigern, meist drei Vertreter der Staatsanwaltschaft, eine dicht besetzte Richterbank und zahlreiche Journalisten im Zuhörerraum: Der Aufwand ist beträchtlich, wenn die fünfte Strafkammer des Landgerichts München I fast wöchentlich zum sogenannten Betrugsprozess gegen aktive und ehemalige Manager der Deutschen Bank ruft. Zwar fällt das Treffen am heutigen Dienstag aus, weil erst einmal die Lektüre neu eingebrachter Akten angesagt ist. Doch am 18. Mai geht es weiter. Nachdem an den zwei bisherigen Verhandlungstagen die Verlesung der Anklage und der Streit um Formalia die Diskussion dominierten, soll dann die Sache im Mittelpunkt stehen. Damit stellt sich die Frage: Um was geht es eigentlich in dem Verfahren?Die Antwort ist so einfach nicht. Dies zeigt sich schon, wenn man auf den sprichwörtlichen Stammtisch hört. Wie Uli Hoeneß Steuern sparte, das konnte vor Jahresfrist angesichts des Prozesses gegen die FC-Bayern-Ikone fast jedermann umschreiben. Doch im Fall Deutsche Bank runzelt die breite Öffentlichkeit die Stirn: Falschaussagen? Geht es um diesen Zins? Nein, nicht Libor? Die Aussagen stammen aus einem Kirch-Prozess? Kirch??? Ach so, versuchter Betrug. Ja klar, das machen Banken doch immer, hahaha.Nach der Finanzkrise steht das Urteil eben schnell fest. Nun ist der Stammtisch wahrlich nicht das Maß aller Dinge. Ebenso meinungsstark, wenngleich ungleich informierter, sind die Kollegen jener fünf Top-Banker, die in München vor dem Richter Peter Noll stehen. An den Haaren herbeigezogen, unsinnige Vorwürfe, ein Trauerspiel – so lauten dort meist die Kommentare. Der Kopf von Rolf BreuerEigentlich ist die Anklage klar: “Mittäterschaftlicher versuchter Betrug in einem besonders schweren Fall.” Der Ausgangspunkt aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist jenes vielzitierte Interview mit Bloomberg-TV vom 3. Februar 2002, in dem sich der damalige Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer kritisch über die finanzielle Situation der Kirch-Gruppe äußerte. Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) unter dem Richter Guido Kotschy in seiner ersten mündlichen Verhandlung am 25. Februar 2011 als möglich erachtete, damit habe Breuer ein Beratungsmandat zur Restrukturierung der Kirch-Gruppe erzwingen wollen, habe Breuer vor Gericht die Unwahrheit gesagt. Wie? Indem er ebenfalls am 25. Februar 2011 behauptete, in einer Vorstandssitzung am 29. Januar 2002 sei eben nicht vereinbart worden, Kirch aktiv die Beratung durch die Bank anzubieten. Hier liegt nach Ansicht der Staatsanwälte die Wurzel künftiger Falschaussagen.Wie es weiterging aus Sicht der Ankläger? Nachdem Breuer den “Tatplan” (so die Ermittler) gefasst und am 25. Februar begonnen habe, hätten die Angeschuldigten ihn fortgeführt. Ein in wesentlichen Teilen falscher Schriftsatz an das Gericht vom 9. Mai 2011 sei abgestimmt worden mit allen Angeklagten.Alles klar? Wohl kaum. Denn die Sache wird noch komplizierter. Das OLG hatte sein Urteil – es bestehe grundsätzlich Schadenersatzanspruch – am 14. Dezember 2012 auf den § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches gestützt. Anders als etwa bei einer Gewährleistung reicht es nicht, dass beispielsweise Breuer tatsächlich Kirch schädigte. Vielmehr muss er vorsätzlich gehandelt haben. Doch wie soll dies nachgewiesen oder widerlegt werden? Schließlich spielt sich Derartiges im Kopf ab.Kein Wunder, dass selbst im Verhandlungssaal die Auffassungen auseinanderliegen, um was es geht. Auf der einen Seite versuchen die Verteidiger, dem OLG-Urteil den Boden zu entziehen. Der Klageanspruch der Kirch-Gruppe habe objektiv nicht bestanden, betonte Eberhard Kempf als Verteidiger von Ex-Bankchef Joe Ackermann zu Verhandlungsbeginn. Dies sei von der Strafkammer ohne Bindung an das OLG-Urteil festzustellen. “Auf das Urteil des OLG München kommt es in diesem Verfahren gar nicht an”, betonte dagegen Staatsanwalt Stephan Necknig. Vielmehr drehe der aktuelle Prozess sich um bewusst falsche Aussagen.Dass nur die Vorstellung des Täters wichtig ist, will dagegen Breuer-Anwalt Norbert Scharf nicht gelten lassen. “Auch bei der Konstruktion der Staatsanwaltschaft kommt es darauf an, ob man versucht, sich gegen einen begründeten oder einen unbegründeten Anspruch zur Wehr zu setzen”, erklärte er vor Gericht Darum müsse geklärt werden, ob der Kirch-Anspruch existierte: “Das ist die alles überlagernde Frage.” Der Vergleich über 925 Mill. Euro vom 20. Februar 2014 ist nach Ansicht von Scharf kein Indiz dafür. Diese unternehmerische Entscheidung sei auch auf unzulässigen Druck der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, die vor dem Vergleichsabschluss aufgezeigt habe, welche Korrekturen der Bank-Haltung sie erwarte – auch vor dem Hintergrund strafrechtlicher Ermittlungen. Scharf will dies mit einer Vorstandspräsentation vom 4. Februar 2014 belegen. These der KonditionalitätNochmals: Um was geht es eigentlich in dem Verfahren? Letztlich hat die Causa eine solche Komplexität erreicht, dass es noch mehr als in anderen Prozessen darauf ankommt, welche Beweismittel das Gericht aus den Wagenladungen von Dokumenten herausgreift. Die Kernfrage lautet damit: Um was also geht es Noll?Am zweiten Verhandlungstag hat er seinen Ärger über das Einbringen neuer Dokumente durch die Staatsanwaltschaft sehr deutlich gemacht. Stimmungsmäßig also ein Pluspunkt für die Verteidiger, die die führende Staatsanwältin Christiane Serini und Richter Kotschy als “bad guys” und die Noll-Strafkammer als “good guy” einzusortieren versuchen.Zugleich hat Noll den Fitschen-Anwalt Hanns Feigen abfahren lassen mit seiner zum Prozessauftakt öffentlichkeitswirksam platzierten Aussage, die Staatsanwaltschaft selbst habe per Aktenvermerk vom Februar 2015 festgestellt, der Vorstand habe am 29. Januar 2002 Folgendes beschlossen: “Dr. Breuer fragt Kirch, ob er Beratung wünscht, wobei klar war, dass die Bank ,lieber` potenzielle Großkunden” beraten hätte. Dies sei für die Anklage desaströs, so Feigen. Der Serini-Vermerk sei länger, entgegnete Noll. Außerdem stehe darin, warum das Vorgehen trotzdem strafbewehrt sein solle.Dagegen wird für die Strafkammer wohl eine Rolle spielen, ob in der Vorstandssitzung am 29. Januar beschlossen wurde, nur dann Kirch eine Beratung anzubieten, wenn ein Dritter mit der Frage nach Beratung an die Bank herantrete. Richter Noll sprach bereits von der “berühmten These der Konditionalität”.Das Fazit: Es geht um Details. Wie bei einem Puzzle wird die Kammer Wortprotokoll an Wortprotokoll legen. Vorerst hat sich Noll dafür Zeit gegeben bis Ende September, und auch die Verteidiger drücken auf die Tube. Doch: Bis ein Puzzle mit derart vielen Teilen ein Bild ergibt, geht gewöhnlich viel Zeit ins Land.