Das Russland-Netzwerk des Jan Marsalek

Flüchtiger Wirecard-Vorstand war sehr umtriebig, um mit Finanzdienstleistern ins Geschäft zu kommen - Eine Spurensuche

Das Russland-Netzwerk des Jan Marsalek

Der ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek soll mit dem russischen Geheimdienst kooperiert haben. So das stimmt, war es nur ein Teil seiner Aktivitäten. Mit wem sich er und Wirecard dort sonst so eingelassen haben – und mit welch dubioser Aktion das am 9. April geendet hat, zeigt diese Spurensuche. Von Eduard Steiner, MoskauAm Ende will ihn fast keiner gekannt haben. Selbst in Russland, wo Kontakte mit zweifelhaften Personen allein aufgrund der wilden postsowjetischen Geschichte nicht per se peinlich sein müssen, ziehen es die meisten jetzt vor, mit dem mutmaßlichen Schwerbetrüger und flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nichts zu tun gehabt zu haben. Aus dem Kreml und der Regierung heißt es ohnehin, man wüsste nichts über ihn und auch nicht, wo er ist.Dabei soll sich Marsalek, der meistgesuchte Manager der Welt, ja laut “Handelsblatt” unter Aufsicht eines russischen Geheimdienstes, mit dem er kooperiert haben soll, nahe Moskau aufhalten. In Russland war er jedenfalls häufig, wie die Investigativplattform “Bellingcat” anhand ihrer Immigrationshistorie eruiert hat. Demnach hat Marsalek das Land seit 2010, nachdem er Vorstand von Wirecard geworden war, regelmäßig und insgesamt über 60-Mal besucht.Was das über Marsaleks Geheimdienst-Connection, die nicht bestätigt ist, aussagt, bleibt freilich genauso offen wie der Hintergrund seiner dubiosen Aktivitäten bei der Österreich-Russischen Freundschaftsgesellschaft. Generell sind über 60 Flüge nicht übermäßig viel für jemanden, der in einem großen Land ins Geschäft kommen will. Und ins Geschäft kommen wollte Marsalek offenbar eifrig, wie eine Spurensuche der Börsen-Zeitung in der russischen Finanzbranche ergab.Marsalek habe dort offenbar Bank um Bank und Zahlungsdienstleister um Zahlungsdienstleister abgeklappert, erzählt ein Insider aus der Branche, der anonym bleiben möchte, im Gespräch. “Auch wir wollten schon 2010 mit Wirecard ins Geschäft kommen und haben uns mit Marsalek in Moskau getroffen”, sagt der Insider, der damals bei der Bank Russkij Standard gearbeitet hat: “Schließlich war Wirecard technisch vorn.” Wie er Marsalek erlebt hat? “Extrem zielstrebig, sehr intelligent, umtriebig und ein Freund der Frauen.”Marsalek verhandelte also nicht nur mit kleinen Unternehmen, denn Russkij Standard ist das landesweit viertgrößte Geldinstitut im Bereich Card Acquiring. Zustande gekommen ist das Geschäft in diesem Fall nicht. Auch bei kleineren Banken wie der Russlavbank, die 2015 geschlossen wurde, hat Marsaleks Geschäftsanbahnung nicht gefruchtet, wie ein ehemaliger Mitarbeiter erzählt. Eine Bank zur GeldwäscheLässt man eine mögliche Intensivierung der Geheimdienstkontakte außer Acht, bleibt die Frage, weshalb sich Marsaleks Aktivitäten in Russland gerade nach 2014 intensiviert haben, wie “Bellingcat” feststellte. Gewiss, wie Recherchen des russischen Online-Portals “The Bell” zeigen, haben gerade russische Buchmacher und Online-Casinos zunehmend die Dienste von Wirecard in Anspruch genommen, weil jeder auf dem Markt gewusst habe, dass es sich hier um eine “Bank zur Geldwäsche” handele. Aber “auffällig und seltsam ist, dass der in offenen Quellen dokumentierte, also sichtbare Erfolg von Marsalek und Wirecard in Russland dennoch überschaubar scheint”, wie Ilja Schumanow, Vizechef der russischen Niederlassung von Transparency International (TI), im Gespräch erklärt. Einzig beim großen Online-Händler Wildberries kam Wirecard – wohlgemerkt erst Anfang 2020 – als offizieller Zahlungsabwickler sichtbar zum Zug.Man hätte mehr erwartet. Ab 2018 ist Wirecard nämlich insofern etwas mehr in Erscheinung getreten, als es eine eigene Niederlassung in Moskau eröffnet hat. Ihr Geschäftsbericht aber weist derart minimale Beträge auf, dass Schumanow darin eher ein Ablenkungsmanöver von weniger sichtbaren Transaktionen über andere Kanäle vermutet.Mit dem Aufbau einer eigenen Wirecard-Bank im Land hat es jedenfalls nicht geklappt, wie die Recherchen zeigen. Umso enger scheint dafür eine andere Geschäftsbeziehung zu sein, die Marsalek aufgebaut hat. Und zwar die zum russischen Zahlungsdienstleister Moneta.ru, der seine Basis 750 Kilometer östlich von Moskau im Gebiet Marij El hat. Wunschpartner Moneta.ruMoneta.ru, in dessen Aufsichtsrat der Sohn des Gebietsgouverneurs sitzt und das laut Schumanow als einer der Hauptfinanzdienstleister im russischen Gambling-Sektor gilt, ist nach wie vor im Wirecard-System integriert, wie aus der Homepage des deutschen Konzerns hervorgeht. Allem Anschein nach sollte Moneta.ru die Plattform sein, auf der Wirecard seine gesamten Dienstleistungen in Russland habe anbieten wollen, denn dort sei auch die Domain Wirecard.ru seit mindestens 2017 registriert, wie Schumanow eruierte.Noch auffälliger ist Schumanows Recherchen zufolge freilich etwas anderes: Die mit Moneta.ru verbundene Gesellschaft Runtime sei am 9. April 2020 – also 19 Tage vor Auffliegen des Wirecard-Skandals und der kurz darauf erfolgten Flucht Marsaleks nach Russland – als Besicherung bei der deutschen Wirecard-Tochter Wirecard Acquiring & Issuing GmbH hinterlegt worden.Wozu dieser Schritt? Wohl eine Verschleierungstaktik, damit Moneta.ru nicht als Konzerntochter von Wirecard ausgewiesen wird. “Es sieht danach aus, dass hier das Hauptgeschäft von Wirecard und Marsalek stattgefunden hat”, meint Schumanow gegenüber der Börsen-Zeitung.Eine Anfrage bei Wirecard ergab keine Aufklärung zu diesen Vorgängen: “Die Wirecard AG gibt derzeit keine weiteren Stellungnahmen ab”, so eine Sprecherin in der schriftlichen Antwort. Diese Antwort gab es übrigens auch auf die Frage, ob die Ernennung von Anastassia Lauterbach 2018 zur Aufsichtsrätin von Wirecard auch mit den damals intensivierten Russland-Aktivitäten des Dax-Konzerns zu tun habe. Engagiert wurde sie, um die Prozesse und die Compliance-Abteilung zu optimieren, nachdem bei Wirecard die ersten Skandale ruchbar wurden. Gut vernetzte Cyberexpertin Die 1972 geborene ausgewiesene Expertin für Cybersicherheit und künstliche Intelligenz, ist gebürtige Russin, die eine beachtliche Karriere in internationalen Konzernen vorweisen kann. Aber auch gute Russland-Kontakte, saß sie doch laut offizieller Biografie von 2013 bis 2014 im Beratergremium des russischen Kaspersky Lab. Das Unternehmen gilt als einer der weltweit führenden Hersteller von Sicherheits- und Antivirensoftware, bekam allerdings im Laufe der Jahre Imageprobleme, weil Gründer Jewgeni Kaspersky eigenen Worten zufolge gute Verbindungen zum Geheimdienst FSB unterhält.Das Russland-Netzwerk von Wirecard und Marsalek ist jedenfalls vielfältig – unabhängig von der Nähe zum Geheimdienst, die Marsalek bislang ohne Beweise zugeschrieben wird. Gekannt haben will den flüchtigen Manager heute indes kaum jemand.