FINANZEN UND TECHNIK

Das vernetzte Auto steht vor der Tür

Connected Cars als Innovationstreiber - Strategische Herausforderungen für Autohersteller

Das vernetzte Auto steht vor der Tür

Das Auto gilt als eine der letzten Bastionen, die noch nicht permanent online sind. Doch die Vernetzung von Autos wird zunehmend zu einem bestimmenden Geschäftsfaktor. Insbesondere die Premiumhersteller intensivieren ihre Aktivitäten bei der Entwicklung von vernetzten, intelligenten Serviceangeboten. Mit diesem Bereich, der für die Zukunft mannigfaltige und vielversprechende Möglichkeiten bietet, sind aber auch enorme technologische und strategische Herausforderungen verbunden.Von Franz Công Bùi, FrankfurtDigital Life, Comand Online, Urban Intelligent Assist oder ConnectedDrive: Auf den Autofahrer wartet eine verheißungsvolle Zukunft. Der Einsatz vernetzter, intelligenter Technologien zur Verbesserung von Komfort, Service und Sicherheit macht das Kraftfahrzeug derzeit zu einem der spannendsten Innovationsfelder des Internets, das damit wiederum umgekehrt zu einem wichtigen Innovationstreiber für die Automobilindustrie wird. Bis 2016 sollen mehr als 80 % aller Neuwagen “connected” sein, wodurch die Anzahl vernetzter Fahrzeuge weltweit auf 210 Millionen steigen soll.Dabei folgen die Autohersteller nicht nur Anforderungen durch EU-Regularien wie zum Beispiel der Vorschrift, nach der von 2015 an alle neu zugelassenen Fahrzeuge über eine Emergency-Call-Möglichkeit verfügen müssen. Es geht daneben auch um das Image des Technologieführers in diesem Kompetenzfeld und um strategische Vorteile im heißumkämpften Wettbewerb sowie um neue Geschäftsmodelle. Der Überbegriff Connected Cars umspannt dabei ein weites Feld, denn es geht um das intelligente Zusammenspiel von Fahrerassistenzsystemen, Online-Diensten, Call Center Services und Integrationslösungen für Mobilgeräte im Auto.In der öffentlichen Wahrnehmung sind derzeit Themen wie die Einbindung von multimedialen Infotainmentsystemen, Informationen und Diensten zum aktuellen Standort, Telematik oder gestreamte Musik und ähnliches bestimmend, also der “Zugriff auf Informationen beispielsweise aus Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter, weil das digitale Leben im Auto nicht aufhören soll, wie ein Sprecher der Daimler AG erläutert. Doch das ist erst der Anfang. Der nächste Schritt besteht darin, die Autos durch Vernetzung mit der Außenwelt “intelligent” zu machen, wie ein BMW-Sprecher erklärt: “Das Auto wird zu einem selbstverständlichen Teil der vernetzten Welt werden. Connectivity ist ein Megatrend. Die Innovationen unter dem Dach unseres Systems ConnectedDrive sind strategisch für uns sehr bedeutsam.” Geschäftsmodelle offenDie Automobilindustrie hofft, dass sich damit neue Geschäftsfelder und Umsatzbringer ergeben. Doch laut Markus Winkler, als Vice President bei Capgemini Consulting für den Automotive-Bereich zuständig, werden Connected Cars als Geschäftsfeld nicht automatisch in naher Zukunft zu einem neuen Umsatzbringer der Autoindustrie werden: “In der gesamten Mobilitätsbetrachtung wird das Thema Connected Cars zu einer entscheidenden Technologie werden. Es gibt durchaus Business Cases mit zweistelligen Millionenbeträgen an Umsatzzuwächsen. Das wird alles zur Zeit berechnet, aber es ist noch nichts entschieden. Es hängt noch von vielen Faktoren ab.”Aber angesichts einiger Beschleuniger wie E-Mobilität zum Beispiel, könnten sich ganz andere, neue Modelle ergeben und rechnen. Dieses Thema ist derzeit in sehr vielen Märkten präsent, beispielsweise in den USA, speziell Kalifornien, wo es eine nennenswerte E-Fahrzeug-Durchdringung gibt. Diese haben eine begrenzte Reichweite, benötigen also Ladesäulen und verhalten sich nicht wie normale Diesel- und Benzinfahrzeuge. Daher können Autobauer die Nutzung von E-Fahrzeugen attraktiver machen, indem sie Onlineservices anbieten, damit der Fahrer die Ladeinfrastruktur mit Hilfe von Apps besser nutzen kann. Fahrzeug-Apps bilden jedoch nicht nur wegen des Zeitgeists ein interessantes Feld. Beispielsweise ist seit kurzem der Mercedes-Benz App Shop online. Bei Daimler wird davon ausgegangen, dass ca. 70 % aller Mercedes-Käufer ein Fahrzeug mit dem System Comand online kaufen werden. In den USA würde den Angaben zufolge für diverse Apps oder Dienste eine jährliche Gebühr von ungefähr 70 Dollar berechnet. Laut Daimler-Sprecher liegt die Take Rate, also der Anteil der Kunden, die das Abonnement nach einem Jahr verlängern, bei über 90 %. Und vor wenigen Tagen wurde eine neue News-App in Zusammenarbeit mit einer Nachrichtenagentur angekündigt, die ab Mitte Juli allen neuen Mercedes-Benz Fahrzeugen mit Comand Online kostenlos zur Verfügung steht. Bestandskunden können die News-App für 10 Euro pro Jahr ins Fahrzeug holen. Daneben sind aber auch andere Modelle vorstellbar, zum Beispiel Anwendungen, die nur für einen bestimmten Zeitraum oder speziellen Zweck gebucht werden, so wie Reiseführer im Urlaub.Die Autobauer können hierbei über verschiedene Modelle mit dem Service Geld verdienen, etwa durch eine Flat Fee oder Nutzungsgebühr. Fraglich ist jedoch, ob angesichts des erheblichen Aufwands bei der Entwicklung die Margen im Geschäft mit den Apps eine relevante Größe erreichen werden. Zumal die Hersteller zunächst wohl nicht umhin kommen werden, durch kostenlose oder niedrigpreisige Angebote für eine kritische Masse zu sorgen. Direkter Zugang zum KundenDoch bei den vernetzten Serviceangeboten spielen andere strategische Erwägungen ohnehin eine größere Rolle. Zum Beispiel der direkten Zugang zum Kunden, wie Unternehmensberater Winkler darlegt: “Mit Connected Cars befinden sich die Autobauer zum ersten Mal in der komfortablen, aber auch herausfordernden Lage, direkt mit dem Fahrer kommunizieren zu können, wenn er ihre Produkte und Services nutzt. Darüber hinaus können sie nun auch über viel mehr Informationen und Daten zum Verhalten des Kunden verfügen.” Dieser im Vergleich zum Postweg oder zur E-Mail ergiebigere Kommunikationskanal ist auch bei anderen, zum Teil neuen, branchenfremden Playern im Markt wie etwa Facebook, Google und Apple begehrt, die mit ihren bereits jetzt in den Autos präsenten mobilen Diensten ebenfalls Zugriff auf Kundendaten suchen.Das bezieht sich jedoch im Wesentlichen auf Informationen im Zusammenhang mit den Infotainmentdiensten. Durch die Vernetzung erhalten die Autohersteller allerdings auch noch andere Daten zum Beispiel aus der Fahrzeug-Sensorik, die etwa die Diagnosequalität verbessern können. So können wichtige Fahrzeugdaten automatisch oder per Knopfdruck direkt an einen Service Partner übermitteln, was bei der Ferndiagnose oder der Bestimmung von Wartungsintervallen hilfreich wäre.Ähnliches Potenzial bietet die Vernetzung auch bei der Betreuung von Flottenkunden, denn mit Hilfe vernetzter Technologien wie GPS lässt sich eine Fahrzeugflotte schon jetzt besser managen. Gleiches gilt für das Wachstumssegment Car Sharing. Nicht uninteressant wäre es zudem, Kfz-Versicherungen Fahrzeugsgebrauchsinformationen anzubieten, damit diese dann die Daten zum Nutzungs- und Risikoverhalten des Fahrers bei der Entwicklung ihrer Versicherungstarife nutzen könnten.Doch der Umgang mit dem zunehmenden Datenaufkommen, nicht nur aus der Internetwolke sondern auch von der Sensorik des Wagens bildet eine ganz eigene Herausforderung. Denn viel hängt von der Daten-Analyse ab. Das bezieht sich nicht nur auf die Informationen von außen, die für den Fahrer eines Wagens relevant sein könnten, sondern auch auf die Daten zum Kundenverhalten. Die Frage lautet dabei, wie diese Massen an Daten ausgewertet und genutzt werden können, um zu gewinnbringenden Einsichten zu kommen. Wichtig wird hierbei sein, was die Autobauer als Kerngeschäft definieren und was nach außen abgegeben werden kann. Auch die Premiumhersteller werden in solchen Bereichen absehbar eine vergleichbare Kompetenz wie zum Beispiel die Technologieprovider aus dem Internet nicht einfach aufbauen können.Solcherlei strategische Fragen sind jedoch nicht die einzigen Herausforderungen, vor denen die Autohersteller beim Thema Connected Car stehen. So ist oftmals auch die Erwartungshaltung der Kunden mit den tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Kunden erwarten zunehmend ähnliche Systeme im Auto wie sie es von ihren Unterhaltungselektronikgeräten her kennen, wie auch ein Daimler-Sprecher bestätigt: “Man kann einem Kunden nur schwer vermitteln, warum er mit seinen mobilen Geräten éalways on’ sein kann, aber diese Art der Technologie beispielsweise in seinem Mercedes nicht vorfindet.”Oft werde bei den Herstellern angefragt, warum sie nicht einfach eine iPad-Konsole im Auto einbauen, dann wäre ein schönes multifunktionales Display im Fahrzeug vorhanden. Doch was hierbei nicht bedacht wird, ist, dass Autodisplays auch bei extremer Hitze und Kälte oder direkter Sonneneinstrahlung funktionieren müssen. Die Qualitätsanforderungen, auch was Erschütterungen oder Langlebigkeit anbelangt, sind im Auto völlig andere als bei einem Tablet-PC. Gleiches gilt auch für Navigationssysteme. Eine vollkommen online basierte Fahrzeugnavigation hat ihre Grenzen: wenn kein oder kein ausreichender Empfang vorhanden ist oder aber der Akku eines Mobilgeräts leer ist. Von daher werden sich die Autobauer in absehbarer Zeit nicht auf eine rein Cloud-basierte Navigation im Fahrzeug verlassen, sondern zumindest als Notfall-Lösung ein fest im Auto verbautes System anbieten.Schwer wiegen auch die Unterschiede bei den Entwicklungs- und Produktionszyklen, wie ein Daimler-Sprecher erläutert: “In der Automobilbranche haben wir Entwicklungszyklen von ungefähr sieben Jahren, wohingegen diese bei der Consumer Electronics maximal ein Dreivierteljahr bis ein Jahr dauern. Rein theoretisch müsste man in der Autoindustrie also schon jetzt vorhersagen, was im Consumer-Bereich in sieben Jahren aktuell ist.” Die Computerindustrie, die davon geprägt ist, schnell auf dem Markt zu sein, um dann über Updates sukzessive die Qualität zu verbessern, kann es sich zudem leisten, ein Produkt im Betastatus auf den Markt zu bringen. Bei einem Fahrzeug muss aber höchste Qualität schon zum Auslieferungszeitpunkt vorhanden sein.Als Lösungsweg setzen die Autobauer auf die Nutzung modularer Systeme, ähnlich wie die Smartphone-Hersteller: Anstatt alle sechs Monate ein neues Smartphone auf den Markt zu bringen, nutzen sie das bestehende Betriebssystem und erweitern lediglich Hardware und Software um neue Funktionalitäten. Daneben versuchen die Autobauer, die Entwicklungszyklen voneinander zu entkoppeln, indem sie die Integration von Unterhaltungselektronikgeräten ins Fahrzeug ermöglichen. So hat Mercedes Benz angekündigt, dass es im Zuge der Markteinführung der neuen A-Klasse im September möglich sein wird, ein iPhone 4S anzuschließen und damit auch Apples Sprachsteuerungssoftware Siri im Auto zu nutzen.Das macht zwar das Auto für eine attraktive Klientel interessant. Doch damit ist aber auch Apple mit an Bord. Hierbei wird deutlich, dass die Autohersteller für sich genau definieren müssen, wie weitreichend Kooperationen sein sollen, denn die Gefahr besteht, wenn alles über das Smartphone läuft und nicht über die On-Board-Devices der Hersteller, dass die Kontrolle über den Kontakt zu den Kunden an Apple oder eben andere Kooperationspartner geht. Ähnliches gilt bei der seit 2007 bestehenden Zusammenarbeit von Google mit BMW, die damals als weltweit erster Hersteller Google-Dienste zur Nutzung im Fahrzeug integrierte. Nun könnte beispielsweise die Integration des vor wenigen Tagen vorgestellten neuen Dienstes Google Now für den Kunden sehr attraktiv sein. Doch die meisten Informationen über das Nutzungsverhalten jenseits der Fahrzeugdaten dürften dann bei Google verbleiben.Derzeit führt indes kaum ein Weg an strategischen Kooperationen mit Technologieanbietern vorbei. Grundsätzlich gilt bei allen Autobauern jedoch, dass nur Daten-Content zugekauft wird, die Aufbereitung aber selbst gestaltet wird. Das hat auch mit Sicherheitsaspekten zu tun. Denn gerade bei der Integration von Mobilgeräten im Auto drohen die gleichen Gefahren wie beim Bring-Your-Own-Device-Prinzip in der Unternehmens-IT, nämlich, dass das Gerät von einem Virus befallen wird und dann das gesamte System verseucht. Um dem zu begegnen, ist es für die Autohersteller wichtig, die Schnittstellen klar zu definieren und dafür zu sorgen, dass etwa eine Handy-Integration ins Fahrzeug nie zu tief erfolgt und keine birelationale Kommunikation zwischen den Geräten stattfindet. SicherheitsaspekteZum Schutz vor Hackern läuft die Kommunikation mit dem Internet über einen dedizierten Backend-Server der Autohersteller in deren Cloud, der die Leitung zwischen Fahrzeug und Server sicherstellt und von dort aus ins Internet weiterleitet, so dass keine direkte Verbindung entsteht. Der firmeneigene Server fungiert als Firewall zwischen WWW und Fahrzeug. Das erhöht nicht nur die Sicherheit, sondern reduziert außerdem die Datenströme. Über den Firmenserver in der Cloud können zudem auch Bestandskunden nachträglich an neue Apps oder Updates kommen, ohne zum Händler oder in die Werkstatt zu müssen.Ein wichtiger Sicherheitsaspekt völlig anderer Art ist aber, bei allem Service darauf zu achten, dass der Autofahrer nicht zu sehr von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Fahren, abgelenkt wird und einen Unfall baut. Die diesbezüglichen gesetzlichen Rahmenbedingungen sind dementsprechend streng. Das wiederum erhöht jedoch den Aufwand bei den Autobauern. Denn der Spagat zwischen dem technisch Machbaren und dem wirklich Sinnvollen bildet eine der größten Herausforderungen, zumal die Zeit zur Entwicklung und zum Testen neuer Systeme wegen des Marktdrucks stetig abnimmt, während die vernetzten Systeme an Komplexität gewinnen.