Finanzsektor

Daten­dienstleistung schlägt Risiko­transformation

Oliver Wyman diagnostiziert eine „tektonische Verschiebung“ der Bewertungen zwischen dem klassischen Bankensektor und neuen Wettbewerbern. In einem Umfeld, in dem Anleger Datendienste eher honorieren als Risikotransformation, sollten Banken ihre Strukturen überdenken, heißt es.

Daten­dienstleistung schlägt Risiko­transformation

bn Frankfurt – Für traditionelle Kreditinstitute ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sie durch exorbitante Wertzuwächse außerhalb des regulierten Bankensektors strategisch in die Enge getrieben werden. Befeuert wird dieser Trend nicht zuletzt dadurch, dass Risikotransformation für Investoren grundsätzlich an Attraktivität verliert, während Dienstleistungen rund um Daten und Technologie deutlich höher im Kurs stehen. Dies ist die Essenz des Berichts „The Tectonic Shift between Risk, Data and Technology“, den Oliver Wyman dieser Tage bundesweit veröffentlichen will.

Die Bedrohung durch die neuen Wettbewerber schlägt sich schon seit längerem in der Bewertung durch den Markt nieder. Schon im vorvergangenen Jahr fanden sich unter den drei Finanzdienstleistern mit der weltweit höchsten Marktkapitalisierung die beiden Kartengesellschaften Visa und Mastercard und mit J.P. Morgan nur ein Finanzinstitut – 2010 hatten es mit ICBC, HSBC sowie China Construction Bank noch ausnahmslos Banken aufs Treppchen geschafft. Inzwischen stellen Finanzinfrastruktur-, Daten- und Technologiefirmen fast ein Drittel der 50 größten Finanzinstitute der Welt, rechnet Oliver Wyman vor; vor zehn Jahren waren es nur zwei gewesen. Und was das Tempo angeht, in dem Finanzdienstleister außerhalb des streng regulierten Sektors Marktwert und Gewinne steigern, können ihnen alteingesessene Institute ohnehin nicht das Wasser reichen, selbst dann nicht, wenn der Betrachtungszeitraum den jüngsten Ausverkauf im Tech-Sektor einbezieht (siehe Grafik).

Inzwischen verursacht diese Entwicklung bei Verantwortlichen im klassischen Finanzsektor durchaus Unbehagen. „Wir erhalten derzeit vermehrt Anfragen von Banken, die sich fragen, wo die Reise für sie hingeht und wie sie überhaupt noch profitabel arbeiten können“, berichtet Thomas Schnarr, Partner und Leiter der Financial Services Practice von Oliver Wyman in Deutschland und Österreich. Als Nachteil der alteingesessenen Banken im Wettbewerb mit der neuen Konkurrenz sieht er, neben einer strikteren Regulierung, die im Falle der Banken seit Jahren steigende Anforderungen ans Eigenkapital mit sich bringt, auch die Art der Organisation an. So seien Banken in der Regel noch immer nach ihren jeweiligen Produktgruppen organisiert. Bei Big Tech etwa gruppierten sich die Teams dagegen anhand der Kundensegmente.

Schwerer freilich wiegt, dass sich die Übernahme und Transformation von Risiken als ureigenste Aufgabe von Banken nicht mehr zu lohnen scheint. Folglich sieht Schnarr das Kreditgeschäft denn auch als den letzten jener Bereiche an, in welchem neue Wettbewerber den Banken Geschäft streitig machen würden. Wie stark die Bewertungen gerade zwischen dem klassischen Kreditgeschäft und dem Technologie-Sektor mitunter auseinanderklaffen, illustriert das Beispiel der Aareal-Bank-Tochter Aareon. Dem Anbieter von Immobilien-Software, der im Startquartal mit 3 Mill. ein Zehntel zum Betriebsergebnis des Konzerns beisteuerte, hatten Aktionärsaktivisten im Zuge eines Streits um einen Spin-off eine Bewertung von bis zu 2 Mrd. Euro zugeschrieben. Dies entspricht dem Wert, zu dem die Aktivisten im Verein mit Finanzinvestoren nun gleich den gesamten Konzern von der Börse nehmen.

Was tun? In ihrem Bericht zeigt die Beratungsgesellschaft verschiedene Optionen auf: So könnten Banken ihre Produkte künftig in teils spartenübergreifenden Service-Angeboten, etwa für Zahlungen und damit verbundene Datendienste, dem Markt präsentieren, ohne dass sich damit die Verantwortung für die Ergebnisrechnung verändere, wird vorgeschlagen.

Ein Zaun ums Banking

In einem radikaleren Modell würden die regulierten Finanzaktivitäten Teil eines größeren Plattform-Konglomerats. „Dies kann es einem Finanzdienstleister ermöglichen, neue Investoren wie Private Capital oder strategische Partner zu beteiligen“, sagt Schnarr. Diese Variante möge zwar radikal erscheinen. Allerdings deute das Ringfencing, mit dem der Regulator in Großbritannien die Retail-Aktivitäten der Großbanken von deren Investment Banking abgetrennt habe, in dieselbe Richtung.  

Ganz neu ist die Idee, sich abseits tradierter Strukturen und des herkömmlichen Geschäfts neu zu erfinden, ohnehin nicht. Unter dem Banner des „Beyond Banking“ versuchen Kreditinstitute schon seit längerem, sich neue Erlösquellen zu erschließen. Die Genossenschaftsbanken etwa denken über einen Online-Marktplatz zum Thema „Bauen und Wohnen“ nach, der neben Finanzierungen Angebote von Dienstleistungen bei Kauf, Renovierung, Begutachtung oder Besichtigung von Immobilien umfasst.

Bislang haben solche Initiativen aber nicht mit durchschlagenden Ertragsschüben von sich reden gemacht. So gestaltet sich ein entsprechender Vorstoß im Lager der Sparda-Banken mit Hilfe des Fintechs Comeco bisher zäh. Dies mag daran liegen, dass die neuen Aktivitäten einen noch geringen Umfang haben, der kaum ins Gewicht fällt. „Aktuell deutet wenig darauf hin, dass die neuen Angebote das bestehende Kerngeschäft der Banken ablösen können, denn die Zusatzerträge werden voraussichtlich keine ausreichende Relevanz erlangen“, schrieben Robert Bischof, Partner PwC Strategy, und Felix Becht, Director PwC Strategy, 2020 in der Börsen-Zeitung. Oliver-Wyman-Partner Schnarr erklärt dies aber auch damit, dass die Qualitäten der Beschäftigten im klassischen Bankensektor „andere sind als jene, die Start-up-Ideen umgehend zum Erfolg führen“. Als eher Erfolg versprechend ordnet er daher Vorstöße ein, bei denen Banken sich nicht allzu weit von ihrem Stammgeschäft fortbewegen und neue Unternehmungen dennoch außerhalb des angestammten Regulierungskreises platzieren. Ein Beispiel für ein solches Manöver ist Santander, die im vergangenen Jahr ihre brasilianische Payment-Tochter Getnet an die Börse brachte. Vor wenigen Wochen hat die Bank allerdings angekündigt, Getnet wieder von der Börse zu nehmen, nachdem sich Hoffnungen auf eine höhere Bewertung zerschlagen haben.

Oliver Wyman prognostiziert, dass sich die Verschiebung der Wertschöpfung fortsetzen wird. Den meisten klassischen Anbietern falle es schwer, sich darauf einzustellen und gezielt in die künftig wichtigeren Daten- und Technologiedienstleistungen zu investieren. Das aktuelle Markt- und Wirtschaftsumfeld aber könnte auch klassischen Anbietern Chancen eröffnen, Marktanteile zurückzuerobern, da steigende Zinsen Banken und Versicherern wieder Gewinne bescheren werden und Anleger die Geschäftsmodelle bestimmter Big Techs sowie Daten- und Technologieunternehmen inzwischen kritischer betrachteten, wird zugleich konzediert.

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