Datenströme werden mit Proptech erschlossen
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Die Anfänge der Digitalisierung in der Immobilienbranche fanden mit dem Klassiker unter den Inseraten statt: „2 Zimmer Küche Bad“ ließ sich schon Ende der 90er wunderbar in ein Format überführen, das rasend schnell Verbreitung fand in der über Browser, Suchmaschinen und Webportalen zugänglichen Welt des Internets. Diese auf das Frontend fokussierte Disruption betraf vor allem die Local Heroes der Makler und der Verlage, die es dann versäumten, die Investitionen für den Übergang ins Zeitalter des digitalen Vertriebs von Inhalten und Dienstleistungen zu tätigen. An die Stelle der lokal abgeschotteten Märkte traten digitale Plattformen wie Immobilienscout und später McMakler, die das B2C-Geschäft heute dominieren.
Doch während die Grundlage dieses Umbruchs im Retail-Wohnungsmarkt noch übersichtliche Datensätze waren, die einfach einer digitalen Abruf- und Vergleichbarkeit für das Vermittlungs- und Provisionsgeschäft zugeführt werden mussten, so hat eine umfassende Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette in den verschiedenen Facetten von Real Estate erst in den vergangenen fünf Jahren begonnen. Das heißt, mit Hilfe der Fintech-Spezialdisziplin Proptech wird nun Stück für Stück die gesamte Prozesswirtschaft für einen möglichst automatisierten Flow digitalisiert – und das in einer Branche, die gemeinhin als „Slow moving Asset Class“ gilt, wie es Fabian Braesemann und Andrew Baum in ihrem Paper zu „PropTech: Turning real estate into a data-driven market?“ ausführen. Grundlegende These dieser Arbeit ist, dass es unweigerlich zu einem globalen digitalisierten Real-Estate-Markt kommen wird – und das mit allen bekannten Nebenwirkungen: Denn datengetriebene Märkte sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass sich ein Winner-takes-all-Wettbewerb der dominanten Plattformen bildet, die von den Nutzern mit immer mehr Daten entlohnt werden.
Das zentrale Ergebnis der Untersuchung von 7000 Proptechs: Es findet tatsächlich der Umbruch hin zum datengetriebenen Markt statt, und Data Analytics sind der Kern eines zunehmend globalen Netzwerks von Proptechs. Die Autoren empfehlen den Marktteilnehmern, dass sie sich des Geschäftswertes ihrer Daten bewusst werden, die sie in verschiedenen Formen des Real Estate Management generieren – was dann wohl so viel heißt, dass man seine Haut möglichst teuer verkaufen sollte bzw. sich selbst möglichst weit oben in der Plattform-Wertschöpfungskette platziert, wenn man schon nicht selbst die Spinne im Netz ist, also der Plattformbetreiber.
Wobei der große Wert der Plattformen ja in der Standardisierung von Daten und Datenformaten liegt, eine Grundlage für Big-Data-Effizienz, die sich von Excel Sheets löst. Real-Estate-Daten werden so eine handelbare „commodity“ und zentrale Ressource in einem digitalisierten Immobilienmarkt, der sich vom real existierenden Betongold abkoppelt, sagen Braesemann und Baum sinnbildlich.
Dabei ist die Plattformisierung in Real Estate aber noch nicht sonderlich weit vorangeschritten, gilt doch bislang einzig das US-Proptech Costar als Multimilliarden-Start-up – wobei mit Google und Amazon zwei der üblichen Verdächtigen schon ihre Fühler nach Digital Real Estate ausgestreckt haben sollen. Außerdem bemerkenswert: Den Daten der Wissenschaftler zufolge haben auf Big-Data-Modellen basierende Proptechs besseren Zugang zu Venture Capital (VC) als weniger datengetriebene Start-ups. Das ist ein Trend, der auch in Deutschland frühzeitig aufgegriffen wurde, und zwar vom Berliner VC-Fonds Proptech1 Ventures. Das von den Managing Partnern Anja Rath und Nikolas Samios angeschobene Vehikel ist der Überzeugung, dass die digitale Transformation enorme Optimierungspotenziale für die größte Assetklasse der Welt birgt. Dabei ist das VC-Management so aufgestellt, dass man in die verschiedenen Verticals der Branche eintauchen kann, um Verbindungen zwischen den Unterdisziplinen der Immobilienwirtschaft herzustellen – was ein wertvolles Asset sein kann, um die Portfoliofirmen weiterzuentwickeln. Zu den Investments zählen mit Architrave und Archilyse auch zwei ausgewiesene Data-Spezialisten. Dabei gestaltet Architrave insbesondere für Assetmanager papierlose Prozesse für ein erleichtertes Dokumentenmanagement. Und angesichts des für alle spürbaren exponentiellen Wachstums des Datenvolumens treffen Proptechs wie Architrave natürlich auf offene Ohren in der Branche. Bereits 2019 hatte das Berliner Fintech über seinen Datenraum Gewerbeimmobilientransaktionen im Wert von 14 Mrd. Euro begleitet, gut 100 Mrd. Euro an Assets befanden sich da schon auf der Architrave-Plattform. Archilyse betreibt digitalisierte Objektanalyse, erstellt also Leistungsindikatoren von Gebäuden. Das erleichtert dann Bewertung und Bewirtschaftung von Immobilien per API, wobei die Daten von Kunden über die Cloud bezogen werden.
Sammeln, speichern und dann auswerten – in der Reihenfolge funktionieren Big Data Analytics, wobei das Schwungrad des Systems gerade erst Geschwindigkeit aufnimmt. Der erste Schritt waren in den Nullerjahren sogenannte Business-Intelligence-Systeme, heute geht es über Cloud-basierte APIs, die mit fortgeschrittenen Algorithmen (als Vorstufe echter künstlicher Intelligenz) die Datenanalyse vornehmen und dann als Software-as-a-Service (SaaS) beim Kunden ankommen. Und wenn man die Signale richtig deutet, dann ist die Botschaft des digitalen Wandels auch grundsätzlich in der Immobilienwirtschaft angekommen – fraglich ist dann immer nur, ob der Handlungsdruck bei den Eigentümern und den Gremien der Gesellschaften groß genug ist, sodass auch Budgets zugeteilt werden.
Zuletzt erschienen:
Wenn der Traum zur Illusion wird (14. August)
Profis treiben Immobilienfonds an (13. August)