FIXED INCOME IM NIEDRIGZINSUMFELD - IM INTERVIEW: FRANCK DIXMIER, ALLIANZ GLOBAL INVESTORS

"Deflation um jeden Preis vermeiden"

Portfoliomanager: Nichts rechtfertigt eine massive Korrektur der Anleihemärkte

"Deflation um jeden Preis vermeiden"

Entgegen den Erwartungen von Experten hält die Bondhausse an. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Franck Dixmier von Allianz Global Investors, einer der renommiertesten Bondexperten Europas, die Gründe und sagt, wo institutionelle Investoren angesichts des Niedrigzinsumfelds derzeit die besten Renditen erzielen können.- Herr Dixmier, noch im vergangenen Jahr haben viele Experten das Ende der Bondhausse und einen anhaltenden Rückgang der Fixed-Income-Märkte vorausgesagt. Doch in den ersten Monaten 2014 ist genau das Gegenteil passiert. Wie kam es dazu?Wir haben nicht zu denen gehört, die in diese Falle getappt sind. Viele Investoren hatten seit Monaten eine Short-Position. Wir dagegen verwalten unser Portfolio auf neutrale Art mit fakultativen Sicherheiten. Allgemein wurde ein Anstieg der Zinsen erwartet. Der Fehler bestand darin, das Umfeld zu ignorieren, in dem sich die Eurozone entwickelt. Dies ist ein Umfeld der finanziellen Repression, eines moderaten Wachstums mit einer niedrigen Inflation und einer akkomodierenden Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Wir haben eine lange Periode niedriger Zinsen vorhergesehen. Nichts rechtfertigt eine massive Korrektur der Anleihemärkte.- Aber warum kam es dazu?Ich glaube, dass die Entwicklung mit den Bundesanleihen, deren Renditen nahe ihrem historischen Tief sind, die Enttäuschung über das schwache Wachstum in der Eurozone im ersten Quartal ausdrückt. Dazu kam eine technische Situation mit massiven Short-Positionen. Die bloße Rückkehr der Investoren zu neutralen Positionen hat diese Bewegung ausgelöst. Dazu kam die Enttäuschung über die geringen Spreads der Peripheriestaaten, die eine Flucht in Qualität ausgelöst hat. Das hat den Bundesanleihen genützt. Diese Korrektur in Bezug auf die Peripheriestaaten ist auch vor dem Hintergrund der Europawahlen zu verstehen. Die internationalen Investoren sehen einen wachsenden Euro-Skeptizismus und das europaskeptischste EU-Parlament, das wir je gehabt haben. Sie haben jetzt Gewinne mitgenommen. Sie sind noch nicht massiv durch finale Investoren abgelöst worden, also von Pensionsfonds und Versicherungen. Diese schrecken noch immer davor zurück, in die Peripheriestaaten zu investieren, weil sie kein Risiko eingehen wollen.- Ist der kürzliche Hype um die Peripheriestaaten gerechtfertigt? Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnte vor kurzem vor einem Rückschlag.Kurzfristig gesehen kann das niemand definitiv ausschließen. Mittelfristig haben wir enorme Fortschritte bei der Konstruktion der Eurozone gemacht. Sie hat jetzt einen viel stabileren und glaubwürdigeren Aufbau, der auf mehreren Säulen basiert: die Aussicht auf die Bankenunion, die essenziell für die Wiederherstellung des Vertrauens ist. Parallel dazu die Fortschritte hinsichtlich der Haushaltspolitik der Eurozone, die für eine Transparenz der öffentlichen Haushalte sorgt, wie wir sie nie so gehabt haben. Die Möglichkeiten eines Landes der Eurozone, diesen Rahmen nicht zu respektieren, sind extrem limitiert. Das hat man ja schon bei den Versuchen der französischen Regierung, sich mehr Spielraum zu verschaffen, gesehen.- Haben Sie als Franzose Verständnis für diese Versuche ihrer Regierung?Ganz klar nein. Aus gutem Grund. Denn ein Land, das seine Verpflichtungen nicht einhält, schwächt diesen ganzen Mechanismus. Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass ein Land gegen diese Verpflichtungen in Bezug auf seinen Haushalt verstoßen könnte. Meiner Meinung nach würde das die sofortige Sanktion durch die Märkte nach sich ziehen.- Wie beurteilen Sie die Rolle der EZB in der Krise?Essenziell ist die Beteiligung der EZB als “lender of last resort” mit der Möglichkeit des OMT-Programms, das der EZB die Möglichkeit gibt, unter bestimmten Bedingungen Anleihen zu kaufen. Diese Bedingungen sind wichtig. Wir haben insgesamt ein sehr glaubwürdiges Rahmenwerk. Das wiederum kann die Reduzierung des systemischen Risikoaufschlags erklären. Jetzt nähert sich der Markt einer Phase, in der sich die Investoren immer diskriminierender gegenüber den einzelnen Ländern der Peripherie verhalten. Die Spreads Irlands gegenüber Deutschland sind viel enger als die Italiens oder Spaniens. Die Spreads Spaniens haben eine großartige Entwicklung hinter sich.- Ist diese Diskriminierung gerechtfertigt?Die Investoren sind zu Recht diskriminierend, denn es gibt Unterschiede zwischen Irland, Portugal, Italien und Spanien. In Spanien beispielsweise hat die Arbeitsmarktreform ermöglicht, die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Exporte zu steigern. Italien dagegen hat bisher sehr wenig Reformen angestoßen. Es hat weniger ein Problem mit dem Defizit als mit dem untragbaren Niveau der Staatsverschuldung und dem fehlenden Wachstum. Das rechtfertigt den Risikoaufschlag. All das rechtfertigt die Bewegung bei den Spreads. Wir sehen noch immer ein Potenzial, dass sie sich weiter einengen. Nichts rechtfertigt die derzeitige Anspannung mit dem starken Auseinanderdriften. Für uns ist das eher eine Gelegenheit, sich bei der Staatsverschuldung der Peripheriestaaten zu repositionieren. Bisher haben die Investoren vor allem das Augenmerk auf die Einhaltung der mit dem Rettungsschirm einhergehenden Auflagen gelegt. In Zukunft werden sie unserer Meinung nach vor allem auf die Tragbarkeit der Verschuldung achten. Da sind wir noch nicht angelangt.- Und Frankreich?Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Frankreich Mühe hat, tiefgreifende Reformen in Angriff zu nehmen, aus Angst, es sich mit einem Teil der Bevölkerung zu verderben. Egal ob rechts oder links, den verschiedenen Regierungen hat es in den vergangenen Jahren an dem entsprechenden Mut gefehlt. Das ist wirklich eine Konstante, dieser mangelnde Mut, die für den Stopp des Niedergangs der Wettbewerbsfähigkeit und die Beherrschung des Anstiegs der öffentlichen Ausgaben notwendigen Reformen in Angriff zu nehmen. Wenigstens gibt es seit drei Jahren einen Rückgang des strukturellen Defizits, und es gibt die Ankündigung von Reformen, deren Bedeutung nicht heruntergespielt werden sollte.- An welche denken Sie dabei?Das Abkommen, das den Unternehmen mehr Flexibilität bei Arbeitsplätzen zugesteht. Ein sehr wichtiger erster Schritt sind auch die Steuergutschriften zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, auch wenn sie schwierig umzusetzen sind. Der sogenannte “Verantwortungspakt” ist ebenfalls vielversprechend. Er geht in die richtige Richtung. Aber es ist klar, dass die Wirkung nicht sofort, sondern erst mittelfristig zu sehen sein wird. Das geht alles in die richtige Richtung, doch es ist noch nicht ambitioniert genug, um kurzfristig wirklich effizient zu sein. Wir bemerken wieder einmal, dass die französische Gesellschaft extrem schwer zu reformieren ist. Aber das ist nicht neu.- Bei der Abstimmung über den Stabilitätspakt haben sich bereits 41 Abgeordnete der sozialistischen Regierungspartei enthalten. Welche Chancen hat die Regierung nun, Reformen durchzusetzen?Ich glaube, dass es dennoch möglich ist, eine Mehrheit für strukturelle Reformen zu bekommen. Dafür benötigen Präsident Hollande und die Regierung nicht den linken Flügel der Sozialisten. Diese Mehrheit werden sie sicher nicht mit Hilfe der UMP – der konservativen Oppositionspartei -, sondern mit Hilfe der Zentrumsparteien bekommen, also durch die Koalition der Linken mit dem Zentrum. Die archaische Linke wird darüber fluchen, aber das wäre eine gute Sache, wenn die Sozialisten sich endlich wandeln und zu einer sozialdemokratischen Partei werden und im 21. Jahrhundert anlangen.- Welche Risiken gibt es für Frankreich, wenn es seine Verpflichtungen nicht einhalten sollte?Diese Möglichkeit schließe ich aus. Wenn man ständig der schlechteste Schüler ist, verliert man an Einfluss. Frankreich gehört zu den Gründungsländern der Europäischen Union. Ich glaube nicht, dass Frankreich riskieren will, seinen damit verbundenen Einfluss zu verlieren.- Wo sehen Sie angesichts des Niedrigzinsumfelds die besten Möglichkeiten für institutionelle Investoren, Renditen zu erzielen?Bei den Peripheriestaaten. Für die muss man sich interessieren. Das zweite Thema sind Investment-Grade-Anleihen. Die Spreads der Anleihen haben sich eingeengt, aber es gibt noch immer gute Gelegenheiten beispielsweise bei den Senior Debts und bei einigen Unternehmensanleihen, aber da muss man sehr, sehr selektiv sein. Hochzinsanleihen kann man erwähnen, da gibt es auch interessante Werte, nicht so sehr in Bezug auf Spreads, sondern mehr bei der Duration. Und warum nicht auch, wenn man sich etwas diversifizieren will, zu den Schwellenländern zurückkehren? Für ein gemischteres Profil von Anleihen und Aktien mögen wir gerne Wandelanleihen. Aber das ist natürlich eine Nischenstrategie.- Gibt es bei den High Yields bereits eine Blase?Von einer Blase zu sprechen ist sicher zu früh, auch wenn sie sehr hoch bewertet sind.- Sollte man auch auf illiquide Assets wie Schuldscheine, Infrastruktur und Immobilien setzen?Für langfristige Investoren ist es wirklich interessant, die Illiquiditätsprämien mitzunehmen, indem man auf Infrastrukturinvestitionen, Privatplatzierungenen und Unternehmensanleihen setzt. Allianz Global Investors ist in all diesen Bereichen positioniert. Das diversifiziert die Risiken.- Was erwarten Sie von der EZB?Die EZB knüpft ihr zukünftiges Handeln an die Revision der Wachstumsaussichten und der Inflation durch ihren Wirtschaftsstab, wobei der Fokus stärker auf der sehr niedrigen Inflation liegt. Wenn man sich die jüngsten Revisionen der Inflation der EZB anschaut, liegen deren Erwartungen bei 1 % für 2014, 1,3 % für 2015 und 1,5 % für 2016. Es liegt auf der Hand, dass diese Prognosen nochmals korrigiert werden. Deshalb ist zu erwarten, dass die EZB handeln wird. Dabei gibt es unterschiedliche Optionen für die existierenden Probleme. Eines der größten ist die Übertragung der Geldpolitik der EZB auf die Wirtschaft. Es ist immer noch schwierig für kleine und mittlere Unternehmen, vor allem in den Peripheriestaaten, sich zu einem korrekten, das heißt angemessenen, Niveau zu refinanzieren. Es besteht keinerlei Korrelation zwischen der sehr guten Performance der Staatsanleihen der Peripheriestaaten und dem Refinanzierungsniveau der Unternehmen. Das ist ein echtes Problem.- Wie sollte dem Ihrer Meinung nach begegnet werden?Das beste Mittel, um die Geldpolitik auf die Wirtschaft zu übertragen, wäre zweifelsohne ein Programm wie das der Bank of England, also ein “funding for lending scheme”. Das würde den Banken ermöglichen, zu guten Konditionen Kredite für kleinere und mittlere Unternehmen zu refinanzieren, mit einem niedrigen festen Zinssatz. Das wäre eine gute Nachricht für die Peripheriestaaten, denn das würde die Investitionen fördern, die in diesen Ländern noch immer hinterherhinken.- Welche anderen Probleme sollten angegangen werden?Eine weitere große Sorge ist das Risiko einer Deflation. Bei Allianz Global Investors sind wir der festen Auffassung, dass eine Deflation um jeden Preis vermieden werden muss. Wir befinden uns in einem Niedriginflationsumfeld, das aus mehreren Gründen gerechtfertigt ist. Die Inflation ist ein verzögerter Indikator dafür, dass die Eurozone einer zweijährigen Rezession entkommen ist. Der zweite Punkt, der uns in Bezug auf Inflationsrisiken eine komfortable Position verschafft, sind die Output Gaps, die in der Eurozone im Begriff sind sich wieder zu schließen. Das geschieht allmählich, aber das hängt selbstverständlich mit dem Wachstum zusammen, das wieder anzieht – auch wenn wir im ersten Quartal bis auf Deutschland etwas enttäuscht waren. Aber das stellt den Wiederaufschwung, den wir für die Eurozone erwarten, nicht grundsätzlich in Frage. Die Deflation hat einen unerwünschten Effekt, denn allein die Antizipation einer Deflation kann zu einer Deflation führen. Deshalb muss die EZB alles dafür tun, die Antizipation einer Deflation zu verhindern.- Wie könnte sie das tun?Das effektivste Mittel wäre sicher eine zusätzliche quantitative Lockerung durch den Kauf von Anleihen. Uns erscheint das aber verfrüht. Unser Szenario geht davon aus, dass die EZB ihre Zinsen senkt, darunter den Einlagensatz, um eine Abwertung des Euro zu erreichen, und so den Import von Deflation zu bekämpfen. Vielleicht wird sie ein zusätzliches LTRO-Programm für langfristige Verbindlichkeiten auflegen und die Vollzuteilung der Refinanzierungsgeschäfte mit festem Zinssatz über Mitte 2015 hinaus verlängern.—-Das Interview führte Gesche Wüpper.