Dekarbonisierung nicht unterschätzen

Unter dem Stichwort geht es vor allem um die Vermeidung von Kohlenstoff-Emissionen - Anleger sollten das Thema auf ihre Tagesordnung setzen

Dekarbonisierung nicht unterschätzen

Bei der Weltklimakonferenz in Paris hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Dezember 2015 darauf verständigt, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Doch die Zeit drängt, denn die Erde erwärmt sich schneller und mit schlimmeren Folgen als bislang angenommen. Im Oktober 2018 hat der Weltklimarat (IPCC) deshalb in einem Sonderbericht, der im südkoreanischen Incheon veröffentlicht wurde, entschlossenes Handeln angemahnt, um die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Dieser jüngste IPCC-Bericht zeigt deutlich die Unterschiede zwischen einer 2-Grad-Welt und einer 1,5-Grad-Welt und führt drastisch vor Augen, dass bei der Bekämpfung des Klimawandels und seiner teils dramatischen Auswirkungen jedes Zehntelgrad zählt. Investoren in der PflichtUm das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, ist eine schnelle und umfassende Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise notwendig. Sie betrifft nahezu alle Sektoren und Regionen, die Mehrzahl der Unternehmen und Assets und muss durch kluge Regulierung flankiert und gefördert werden. Maßnahmen gegen den Klimawandel stehen daher zu Recht ganz oben auf der politischen Agenda der EU. So hat diese zugesagt, künftig mindestens 20 % ihres Haushalts unmittelbar klimarelevanten Zielen zu widmen. Bereits 2017 floss fast ein Drittel der Investitionen, die durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) mobilisiert wurden, in Projekte der Energie-, Umwelt- und Ressourceneffizienz.Fest steht jedoch auch, dass die Politik die gewaltige Aufgabe nicht allein schultern kann. Sie benötigt Unterstützung. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission im März 2018 einen Aktionsplan vorgelegt, der Finanzwirtschaft und Investoren in die Pflicht nimmt. Dieser Aktionsplan verfolgt ein klares Ziel: Kapital soll in klimaschonende Investments geleitet, Nachhaltigkeit stärker ins Risikomanagement eingebunden und die Transparenz grüner Investments erhöht werden. Zu diesem Zweck will die Kommission institutionelle Investoren und Assetmanager mittels konkreter Regelungen dazu bringen, Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance – ESG) stärker zu beachten und über ihre entsprechenden Aktivitäten zu berichten.In Sachen Klimaschutz steht die Politik unter enormem Handlungsdruck. In den kommenden Jahren wird sie diesen verstärkt an andere Akteure, auch in der Finanzwirtschaft, weitergeben. Allein schon mit Blick auf die zunehmende ESG-Regulatorik sollten institutionelle Anleger das Thema Klimawandel und Dekarbonisierung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es gibt einen weiteren wichtigen Grund. Unabhängig von politischen Anforderungen birgt die Dekarbonisierung der Wirtschaft neue Chancen und Risiken für die Kapitalanlage. Denn der von der EU angestrebte Übergang zu einer emissionsarmen, ressourcenschonenderen Kreislaufwirtschaft wird die Ökonomie signifikant verändern.Alte Geschäftsmodelle werden durch innovative Geschäftsideen, Produkte und Dienstleistungen abgelöst. Alternative Energien, leistungsfähige Speichermedien, effiziente Energieträger, innovative Mobilitätskonzepte, neue Formen der Landwirtschaft und des Tourismus sind nur einige der Felder, auf denen sich zusätzliche Investmentchancen für Investoren ergeben. Kohlenstoff- und emissionsintensive Wirtschaftszweige und deren Unternehmen hingegen werden das Nachsehen haben und können in den Portfolien der Anleger zu erheblichen Risiken führen. Das alles ist bekannt. Deutsche Großanleger allerdings scheinen die Brisanz des Themas gegenwärtig noch nicht ausreichend zu würdigen.Zwei Ergebnisse der aktuellen Nachhaltigkeitsstudie unseres Hauses stützen diesen Befund. So gab knapp die Hälfte der befragten institutionellen Investoren an, keine oder nur geringe Kenntnisse über die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu haben. Noch bedenklicher fiel das Ergebnis zur Frage aus, wie es um die Verfügbarkeit von Informationen über die Klimawirkung des eigenen Portfolios bestellt sei. 72 % erklärten, hierzu keinerlei Kenntnisse zu haben. Den CO2-Fußabdruck messenDas Ergebnis ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil es im Assetmanagement schon heute verlässliche Verfahren gibt, mit deren Hilfe sich der sogenannte CO2-Abdruck eines Portfolios ermitteln lässt. Dieser bewertet die Intensität der Treibhausgasemissionen eines Portfolios anhand einer Kennziffer. Insgesamt trägt CO2 mit über 60 % am stärksten zum menschengemachten Klimawandel bei. Daneben finden aber auch andere klimaschädliche Gase wie etwa Methan, Stickoxid oder Fluorkohlenwasserstoffe Eingang in die Berechnung des CO2-Fußabdrucks. Berücksichtigt werden alle direkten Emissionen eines Unternehmens sowie die energiegebundenen indirekten Emissionen, die etwa durch den Kauf von Energie für den Eigenbedarf entstehen. Am Ende steht eine Zahl, die den Vergleich der CO2-Intensität zwischen verschiedenen Portfolien und Indizes ermöglicht.Die CO2-Analyse kann sowohl für Aktien- wie auch für Rentenportfolien erfolgen. Individuelle Unternehmen werden dabei genauso berücksichtigt wie einzelne Staaten. Die erforderlichen Daten stammen in der Regel von spezialisierten Analysefirmen wie zum Beispiel Trucost oder MSCI. Diese nutzen hauptsächlich öffentlich verfügbare Publikationen oder besondere Datenbanken. Mit Hilfe eigener Modelle werden nichtverfügbare Daten geschätzt und auf Plausibilität geprüft.Die CO2-Intensität von Staaten wird dagegen anhand von Daten der Europäischen Kommission und der Weltbank berechnet. Die Qualität und Aktualität dieser Daten ist natürlich von der Transparenz und Sorgfalt einer jeden Regierung abhängig. Dank des Pariser Klimaschutzvertrages sollten sich die Bedingungen hier in den kommenden Jahren wesentlich verbessern. Handlungsstrategien wählenDie Erkenntnisse der CO2-Analyse versetzen Investoren in die Lage, bei Bedarf Anpassungen im Portfolio vorzunehmen. Hierfür stehen grundsätzlich vier Handlungsstrategien zur Verfügung, die nicht isoliert betrachtet werden müssen, sondern auch in Kombination angewandt werden können. Erstens: Im Rahmen des Divestments lassen sich solche Unternehmen ausschließen, deren Geschäftstätigkeit einer kohlenstoffarmen Wirtschaft entgegensteht. In Frage kämen etwa Unternehmen aus den Bereichen Kohleförderung, Kohleverstromung, Fracking oder Erdölförderung und -verarbeitung. Firmen mit einem signifikanten Umsatz in diesen Geschäftsfeldern tragen weder zu einer Verlangsamung des Klimawandels bei, noch sind sie an die damit einhergehenden Veränderungen und Risiken angepasst.Zweitens: Portfolien können durch die Wahl weniger klimaschädlicher Emittenten, Sektoren und Fonds optimiert werden. Denkbar wäre etwa ein Best-in-Class-Ansatz für gezielte Investments in Unternehmen mit einem gegenüber ihren Wettbewerbern geringeren CO2-Fußabdruck. Drittens: Investoren haben die Möglichkeit, mit Fonds gezielt in solche Geschäftsfelder zu investieren, in denen Unternehmen aktiv eines oder mehrere nachhaltige Entwicklungsziele (SDG) der Vereinten Nationen unterstützen.Viertens: Im Rahmen des Active-Engagement-Ansatzes können Anleger über ihre Assetmanager gezielt klimapolitischen Druck auf Unternehmen ausüben. Auf diese Weise kann die Transparenz der Unternehmen in Sachen CO2 erhöht und die Verpflichtung auf entsprechende Standards eingefordert werden. Auch können Unternehmen zur Teilnahme an einer der zahlreichen Low-Carbon-Initiativen verpflichtet werden. Möglichkeiten für Investoren, den Klimawandel stärker in der Kapitalanlage zu berücksichtigen, gibt es also genug. Es liegt nun an ihnen, sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen.—-Alexander Schindler, Vorstandsmitglied von Union Investment