INVESTMENTFONDSTAGE DER BÖRSEN-ZEITUNG

"Demografie lässt sich nicht austricksen"

Von Stephan Lorz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.10.2016 Werden deutsche Staatsanleihen zur Mangelware? Derzeit scheint es so - zumindest im Hinblick auf die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB). Offenkundig hat sie zunehmend Probleme,...

"Demografie lässt sich nicht austricksen"

Von Stephan Lorz, FrankfurtWerden deutsche Staatsanleihen zur Mangelware? Derzeit scheint es so – zumindest im Hinblick auf die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB). Offenkundig hat sie zunehmend Probleme, ihre selbst gesetzte Ankaufquote aufrechtzuerhalten, weil zum einen immer mehr Papiere in den negativen Bereich rutschen und zum anderen die Haushaltskonsolidierung und der Etatüberschuss dazu führen, dass es immer weniger Neuemissionen gibt.Dieses Problem dürfte aber schon bald aus der Welt sein, denn vor allem die Bundesländer werden nicht umhinkommen, wieder mehr Schulden zu machen und Anleihen zu emittieren. Und das nicht zu knapp, wie der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen ausgerechnet hat. Neben der sichtbaren – und ausgewiesenen – Staatsverschuldung müssten eigentlich noch künftige Zahlungsverpflichtungen eingerechnet werden, wie sie etwa Pensionszusagen darstellen. Sie werden sich bald in die Etats hineinschmuggeln. Gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesländer und Stadtstaaten ist das Volumen durchaus dramatisch (siehe Grafik). Raffelhüschen geht davon aus, dass die Schuldenbremse angesichts dessen schon bald missachtet wird und scharenweise neue Länderanleihen auf den Kapitalmarkt geworfen werden (müssen). Der Ökonom sprach in seinem Vortrag auf den Investmentfondstagen der Börsen-Zeitung von einem “fiskalischen Fiasko”.Nach seinen Berechnungen kommen auf die “sichtbare” deutsche Staatsverschuldung von gut 70 % des BIP neben den Lasten aus der Beamtenversorgung in Höhe von 30 bis 60 % des BIP noch Verpflichtungen von gut 60 % aus der gesetzlichen Rentenversicherung hinzu. Letztere müssen entweder über höhere Beiträge, ein niedrigeres Rentenniveau, einen späteren Renteneintritt oder einen höheren Steuerzuschuss finanziert werden. Die zusätzlichen Finanzlasten aus der Pflegeversicherung erreichen bis zu 60 %, und in der Krankenversicherung schlummern Mehrbelastungen zwischen 80 und 200 %. Das muss finanziert werden, irgendwie aufgeteilt zwischen Steuerzahlern, Beitragszahlern und Leistungsempfängern.Die Politik macht derzeit aber alles nur noch schlimmer: Das demografisch fast schon stabilisierte Rentensystem wird mit neuen Belastungen eingedeckt. Die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus soll dabei – so der Wunsch von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und den Gewerkschaften – allein von den Beitragszahlern aufgebracht werden. Der Beitragssatz könnte dann auf über 26 % steigen (heute 18,7 %). Zusammen mit der Kostendynamik in den anderen Sozialversicherungen (Steigerung des Krankenversicherungsbeitrags von 16 auf rund 28 %) kämen die Beitragszahler auf eine Bruttolohnbelastung von 65 % statt der heute knapp 40 %. Das werden sich die Beitragszahler nicht gefallen lassen. Neue Reformen müssen die Lasten fair verteilen – denn aussitzen lassen sie sich nicht. Raffelhüschen: “Die Demografie lässt sich nicht austricksen.” ——–Der Freiburger Ökonom Raffelhüschen kritisiert den Umgang der Politik mit der Demografie.——-