Den Banken läuft die Zeit davon

Investoren fehlt Vertrauen in Digitalisierungsstrategien - Bewertungen verschieben sich zugunsten von Big Tech und Fintechs - Studie

Den Banken läuft die Zeit davon

Im Digitalisierungswettlauf verlieren Banken an Boden und Vertrauen. Laut einer Umfrage von Oliver Wyman glaubt nur jeder vierte Anleger, dass die Modernisierungsstrategien der Institute zum Erfolg führen werden. Als Ursache macht das Beratungshaus strategische, aber auch kulturelle Probleme aus.Von Bernd Neubacher, FrankfurtBanken läuft in Sachen Digitalisierung die Zeit davon. Vielen Investoren fehlt das Vertrauen in die entsprechenden Modernisierungsbemühungen, was die Bewertungen der Institute drückt. Dies geht aus dem Bericht “The State Of The Financial Services Industry 2020” hervor, den die Beratungsgesellschaft Oliver Wyman am heutigen Freitag publizieren will. Laut einer Investorenumfrage des Hauses vom November glaubt gerade einmal ein Viertel der Befragten daran, dass die Digitalisierungsstrategien der Institute von Erfolg gekrönt sein werden. 38 % äußern sich skeptisch, 37 % halten es noch für zu früh, um sich in dieser Frage festzulegen, und nicht einmal 1 % meint, dass die Pläne der Banken klar formuliert und glaubwürdig sind.Das Beratungshaus diagnostiziert einen Kollisionskurs zwischen langfristigen Plänen und kurzfristiger Performance. Finanzdienstleister versuchten zwar, das Unternehmen der Zukunft aufzubauen; mangelnde Fortschritte aber schürten die Skepsis der Anleger. Zwar investierten Finanzdienstleister im Jahr durchschnittlich 5 % ihres Umsatzes in den Wandel. Die Anleger könnten eigenem Bekunden zufolge jedoch nicht nachvollziehen, in was die Unternehmen genau investieren und warum.Eine Ursache dieses Meinungsbilds sieht Thomas Schnarr, Head of Financial Services Germany, Austria & Luxembourg bei Oliver Wyman, am vielerorts mangelnden Bekenntnis zu einem bestimmten Geschäftsmodell: “Diese Klarheit fehlt”, sagt er. Würde sich ein Haus etwa darauf verpflichten, eine Vorreiterrolle beim Wandel zu mehr Nachhaltigkeit einzunehmen, hätte es ein “deutlich anderes Narrativ” als mit dem momentanen Selbstbild, eine traditionelle Universalbank zu sein, die verschiedene Kundenbedürfnisse abdeckt. Und wenn die Gesellschaften den digitalen Wandel thematisieren, nimmt der Markt dies, wie es scheint, nicht so recht wahr. So rechnet Oliver Wyman nach Analyse der externen Kommunikation von 30 europäischen Banken vor, dass dabei zwar in 98 % der Fälle das Wort “digital” fällt, Analysten dagegen nur in 27 % ihrer Berichte diesen Begriff erwähnten. Lukrativer HeimatmarktUS-Banken beschert dabei ein großer und lukrativer Heimatmarkt die notwendigen Erträge, um sich für die Zukunft zu rüsten. Institute in Europa bringen dagegen zu wenig Gewicht auf die Waage, um in ähnlich großem Stil zu investieren. “Es gibt keine einfache Antwort darauf, wie das Geschäftsmodell einer Bank in Europa aussehen soll”, meint Schnarr und spannt den Bogen noch weiter: “Wenn das Bankgeschäft der Zukunft modularisiert ist – wie attraktiv ist es dann noch, in solch einer Welt eine Bank zu sein?”, fragt er nach dem Sinn herkömmlicher Kreditinstitute in einer zunehmend zersplitterten Branche, in die Big Tech und Fintechs zunehmend vordringen (siehe Grafik). Viele große Banken seien vor 100 bis 150 Jahren parallel zu vielen großen Industrieunternehmen gegründet worden, gibt Schnarr zu bedenken. Damals seien sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, um Einlagen entgegenzunehmen, Risiken einzugehen und Handel zu finanzieren. Die Frage sei, ob dies in der Gig Economy noch immer gelte. Die US-Banken lösten dieses Problem durch Größe, Europas Banken suchten noch eine Antwort.Derweil verschieben sich die Bewertungen weg von der Kreditwirtschaft hin zu Fintechs und Big Techs. Wie Oliver Wyman anführt, hat der Börsenwert der 20 größten Finanzdienstleister in den zurückliegenden zehn Jahren um insgesamt 800 Mrd. Dollar, jener der 20 größten Tech-Unternehmen indes um 3,8 Bill. Dollar zugelegt. Die Top-Fintechs haben ihren Marktwert versechsfacht, während der Finanzdienstleistungssektor um gerade einmal 30 % vorankam. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Fintechs liegt inzwischen doppelt so hoch wie jenes von Finanzdienstleistern, welches seit 2010 von 14 auf 11 gefallen ist.Als Hemmnisse für eine stringentere Digitalisierung in den Banken macht Schnarr neben strategischen Unschärfen kulturelle Probleme aus. So mangele es in Führungspositionen der Institute vielfach an Expertise. Tatsächlich ist bei Headhuntern zu hören, dass in Vier-Augen-Gesprächen auf Vorstandsebene ein entsprechender Mangel eingeräumt wird, verbunden mit dem Wunsch, verstärkt IT-Experten in den Führungsgremien zu installieren. Schnarr erkennt in den Banken zudem eine Scheu, Aktivitäten und Investitionen auf Kernvorhaben zu reduzieren und diese dann mit umso größerer Wucht voranzutreiben. Hauptentscheidungsträger könnten ihren wichtigsten Aufgaben oft nur einen Bruchteil ihrer Kapazitäten widmen. Nicht zuletzt stünden Führungskräfte, die Veränderungen vorantreiben wollten, vor der Aufgabe, Bereichs- und Abteilungsleiter zu überzeugen, denen die Notwendigkeit struktureller Entscheidungen nicht immer einleuchte. Dabei nähmen diese Akteure zudem hohe persönliche Risiken in Kauf. Schnarr: “Eine große technische Wette ist ein karrieredefinierender Move.”