GASTBEITRAG

Den Märkten steht eine Tokenisierungswelle bevor

Börsen-Zeitung, 26.3.2019 Dem vorhersehbaren Platzen der Kryptowährungs-Kursblase und dem Untergang der meisten der über 1 000 aus Initial Coin Offerings (ICOs) hervorgegangenen sogenannten Utility Token zum Trotz - Unkenrufe sind unangebracht. Die...

Den Märkten steht eine Tokenisierungswelle bevor

Dem vorhersehbaren Platzen der Kryptowährungs-Kursblase und dem Untergang der meisten der über 1 000 aus Initial Coin Offerings (ICOs) hervorgegangenen sogenannten Utility Token zum Trotz – Unkenrufe sind unangebracht. Die aus aller Welt angereisten Technologieexperten sind sich jüngst auf der Crypto Finance Conference in St. Moritz einig gewesen, dass die Blockchain eine völlig neue Basistechnologie im Internet darstellt, die es unter anderem möglich macht, Werte zu “tokenisieren” und diese Token digital sicher aufzubewahren.Auf diese Weise geschaffene “Token” haben gegenüber physischen Assets und Wertpapieren unzählige Vorteile: Ihre Verwahrung durch bloße Speicherung auf digitalen Medien verursacht keine Kosten. Ihre Übertragung geht ohne jede Verzögerung sofort vonstatten und verursacht ebenfalls kaum Kosten. Ihre Übertragung ist nicht an geografische Hemmnisse gebunden – Token sind “freies Geld” und auch für die große Zahl von Menschen in der Dritten Welt zugänglich, die noch “unbanked” sind oder in deren Heimat Besitz-, Kapitalverkehrs- oder Devisenverkehrsrestriktionen gelten. Bei der Übertragung von Token fallen anders als bei manchen zugrundeliegenden Assets weder Mehrwert- noch Verkehrssteuern noch Notarkosten an. Sie sind beliebig bis in kleinste Fraktale stückelbar. Sie werden 24/7 rund um die Uhr gehandelt. Sie sind vor staatlichem und fiskalischem Zugriff geschützt, was für Menschen in der Dritten Welt einen großen Vorteil darstellt, auch wenn es sich nicht um unversteuertes oder gar kriminell erworbenes Vermögen handelt. Asset-ReinkarnationToken stellen somit eine effizientere, liquidere und kleiner stückelbare Reinkarnation von Vermögenswerten aller Art dar. Alle Arten von Wertpapieren, seien es Aktien, Anleihen, Wandelanleihen, Mezzanine-Papiere oder auch alle Arten von Assets wie Währungen, Edelmetalle, Rohstoffe, Immobilien, Maschinen, Patente oder Intellectual Property usw. lassen sich “tokenisieren”. So könnte man ein Zinshaus tokenisieren und Nutzer fraktale Anteile im Wert von 1 Euro jeweils sofort und ohne Kosten 24/7 handeln und digital frei an andere Nutzer übertragen lassen – ein solcher Token wäre eine Art realwertgedecktes, weitgehend krisensicheres und inflationsgeschütztes Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel, ähnlich dem bis 1933 in den USA für den US-Dollar geltenden Goldstandard zur Vermeidung monetärer Verwässerung durch die Notenpresse. Ein weites Spektrum Nach der Verbriefungswelle in den neunziger Jahren, der Zertifikatewelle der 2000er Jahre und der nachfolgenden ETF-Welle, die BlackRock zum größten Vermögensverwalter der Welt katapultiert hat, steht den Finanzmärkten deshalb nun eine Tokenisierungswelle von Wertpapieren und Assets aller Couleur bevor. So wird in den nächsten Jahren ein weites Spektrum von “Stable Coins” in den Unterkategorien “Security Tokens” und “Asset Backed Tokens” entstehen. Dabei können herkömmliche Wertpapiere und Assets parallel zu auf sie begebenen Token, also etwa Dax-Token parallel zu Dax-ETFs, Dax-Zertifikaten und den einzelnen Dax-Aktien existieren.Als einer der führenden Venture-Capital-Anbieter in Deutschland fänden wir es wünschenswert, wenn sich die Gestalter dieser FinTech-Disruption auch in Deutschland ansiedeln würden. Aus regulatorischer Sicht würde das die Chance verbürgen, hier eine Führungsrolle in Europa einzunehmen und Anlegerschutz mit angemessenen Regulierungsstandards zu gewährleisten. Auch aus fiskalischer Sicht erscheint es wünschenswert, wenn diese Assets und ihre Assetmanager sich in Deutschland statt in Malta, Gibraltar, Liechtenstein, Estland usw. ansiedeln, die uns indessen zurzeit deutlich voraus sind. Und letztlich würde eine Ansiedlung der Anbieter in Deutschland dazu beitragen, den für private Vermögensbildung und Altersvorsorge wünschenswerten neuen, effizienten Anlageformen zu breiter Akzeptanz in der Bevölkerung zu verhelfen. Das nötige Technologie-Know-how ist hierzulande reichlich vorhanden. Es fehlt ein regulatorischer Rahmen und damit die für Investitionen nötige Rechtssicherheit.—-Christoph Gerlinger, Gründer und CEO der German Startups Group