Der Börsenhändler kommt auf das Holodeck
Dem Arbeitsplatz des Börsenhändlers könnte dank Augmented und Virtual Reality eine Revolution bevorstehen, was die Darstellung und Verarbeitung von Informationen angeht. Das US-Start-up 8ninths hat gemeinsam mit der Citigroup auf Basis der Hololens-Technologie von Microsoft eine “Holographic Workstation” entwickelt, die als Blaupause dafür dienen kann, wie zukünftig gearbeitet wird. Und zwar nicht nur im Banking, sondern auch in anderen Branchen, denn die Einsatzmöglichkeiten der sogenannten Mixed-Reality-Technologien sind sehr vielfältig.Von Franz Công Bùi, FrankfurtSchon häufig hat Science Fiction den Weg für Innovationen bereitet, die einige Jahre später Wirklichkeit wurden. Das gilt nun auch für Technologien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR), denen Experten enormes Potenzial bescheinigen und die das Holodeck aus dem “Star Trek”-Universum oder die bedienbaren 3-D-Hologramme aus dem Zukunftsthriller “Minority Report” zum Greifen nah erscheinen lassen. AR bezeichnet hierbei die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, VR die Darstellung und Wahrnehmung einer Wirklichkeit in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven Umgebung.In der VR ist die reale Umwelt nahezu vollständig ausgeblendet, der Nutzer taucht in eine virtuelle Welt ein. Bei der AR hingegen werden digitale Inhalte, etwa Hologramme in 3 D, auf eine reale Umgebung projiziert. Die Grenzen zwischen diesen Begrifflichkeiten sind jedoch fließend und es wird vielfach davon ausgegangen, dass die beiden Technologien mittelfristig zur sogenannten Mixed Reality zusammenwachsen.Noch bestehen diese Unterschiede, daher werden Anwendungsgebiete der VR-Technologie typischerweise im Unterhaltungsbereich, insbesondere beim Gaming und bei Filmen, verortet. Bei professionellen Anwendungen hingegen sehen viele Experten die augmentierte Realität gegenüber der virtuellen im Vorteil.Das US-Start-up 8ninths hat für die Citigroup gemeinsam mit deren Citi Innovation Lab im Rahmen einer Machbarkeitsstudie auf Basis der Hololens-Technologie von Microsoft eine augmentierte Arbeitsumgebung, die “Holographic Workstation”, für Börsenhändler entwickelt, die dessen realen Schreibtisch anreichert.Bei der Hololens handelt es sich um eine autarke Datenbrille, die auf dem Windows-10-Betriebssystem läuft und das Erschaffen und Bedienen von Hologrammen mit Gesten und per Sprachsteuerung ermöglicht. Die Datenbrille erfasst hierbei zunächst einen Raum und kann dann darin computergenerierte, dreidimensionale Objekte auf die reale Umgebung projizieren, so dass diese benutzt werden können. Ziel ist, dass alles, was der Nutzer durch die Hololens sieht, mit der ihn umgebenden physischen Welt so interagiert, als wäre es tatsächlich vorhanden.Bei der Workstation erhält der Börsenhändler, wenn er eine Hololens-Brille aufsetzt, zusätzlich zu den vorhandenen großen Desktop-Bildschirmen rechts und links sowie dem Windows-Tablet im Zentrum über dreidimensionale holografische Projektionen weitere Informationen (siehe Foto). Diese dynamisch generierten und interaktiven Echtzeitdaten sind sozusagen wie eine Wolkenschicht freischwebend im oberen Sichtfeld des Hololens-Nutzers platziert und in bestehende Workflows mit den digitalen Werkzeugen der Citi-Trader (herkömmliche Terminals, E-Mail, Chat und proprietäre Tradinginstrumente der Citibank) verknüpft.Einzelne Marktsegmente und Handelsvolumina werden anhand unterschiedlich großer und farbiger Kugeln dargestellt. Die Größe ist hierbei ein Indikator für das Ausmaß an Handelsaktivität in einem jeweiligen Segment und die räumliche Organisation und Platzierung von Informationen gibt Hinweise auf terminliche Dringlichkeiten.Stößt ein Bereich etwa wegen auffälliger Handelsaktivitäten auf besonderes Interesse, können zusätzliche Informationen in holografischer Darstellung “ausgeklappt” werden, um einen vertiefenden Blick auf die Marktdaten zu werfen, die dreistufig angeordnet sind. Die aktuelle Marktlage wird auf der oberen Ebene dargestellt. Einblick in einzelne Marktsegmente oder Assetklassen findet der Trader im mittleren Bereich. Und auf der untersten Stufe kann der Trader historische Daten oder Echtzeitkurse aufrufen. Die Verbindung herkömmlicher 2-D-Bildschirme mit virtuellen 3-D-Projektionen soll dem Händler ermöglichen, Informationen besser und schneller zu erfassen und zu bewerten.Der Nutzer kann hierbei das System sowohl klassisch mit Maus und Tastatur als auch durch Gesten und Sprachbefehle steuern. Und wenn ein Kunde oder ein Kollege ebenfalls eine Hololens aufsetzt, können Informationen und Darstellungen mit ihnen geteilt werden, so dass sich auch über große Entfernungen ein Marktvorgang gemeinsam analysieren lässt, bevor man sich für eine Transaktion entscheidet. Der voll funktionsfähige Workstation-Prototyp wird derzeit von der Citigroup getestet. Medienberichten zufolge wird überdies geprüft, ob und wie die Technologie auch in anderen Bereichen wie etwa Wealth Management eingesetzt werden kann.Noch wird die Hololens für den stolzen Preis von 3 000 Dollar nur an ausgewählte Entwickler ausgeliefert und nicht in der Breite verkauft, aber sobald sie auf dem Markt ist, will die Citi sie für einen breiten Test an ihre Händler verteilen. Jedoch war jüngst zu lesen, dass Microsoft mit der Fertigung der Hololens kaum nachkäme, weswegen Unternehmen, die die Datenbrille nutzen wollen, derzeit mindestens 18 Monate warten müssten. Disruptives PotenzialAdam Sheppard, CEO von 8ninths, zeigte sich auf Anfrage überzeugt, dass augmentierte Arbeitsplätze in allen möglichen Bereichen zum Einsatz kommen können. Potenziale sehen Experten zum Beispiel in der Medizin, wo VR-Brillen in der Chirurgie verwendet werden könnten. Datenbrillen werden auch in Fertigungsstraßen etwa bei der Automobilproduktion oder im Zusammenhang mit dem Internet of Things getestet. Typische Felder liegen zudem bei Designern, Architekten, Raumausstattern oder Möbelhäusern sowie im Touristikbereich, in den Bereichen Bildung, Forschung und Wissenschaft oder aber im Recruiting.Vor kurzem erklärte Japan Airlines, die Hololens etwa bei der Wartung von Triebwerken, bei der Schulung der Mitarbeiter oder der Darstellung eines virtuellen Cockpits einzusetzen. Und Volvo will Kunden mit Hilfe der Hololens virtuelle Probefahrten oder die Zusammenstellung der individuellen Ausstattung ihres Autos ermöglichen.Sowohl VR als auch AR gelten als Querschnittstechnologien und Innovationstreiber, denen erhebliches disruptives Potenzial bescheinigt wird. Entsprechend bringen sich fast alle großen Technologieunternehmen in Position. So soll Microsoft intensiv an der Zusammenführung von AR und VR arbeiten, denn eine AR-Brille könne auch all das leisten, was mit einer VR-Brille möglich ist, was umgekehrt so nicht gelte.Für Facebook-Gründer Mark Zuckerberg stellen VR-Brillen indes die nächste große Computing-Plattform dar. So zeigte er sich jüngst überzeugt, dass in zehn Jahren eine Milliarde Menschen diese Brillen nutzen werden. Bereits vor zwei Jahren hat Facebook für 2 Mrd. Dollar den VR-Brillen-Hersteller Oculus gekauft, der nun Ende März seine Datenbrille Oculus Rift auf den Markt gebracht hat – Kostenpunkt 699 Euro.Laut Zuckerberg werden diese Headsets mittelfristig nicht nur im Unterhaltungssektor, sondern darüber hinaus verwendet werden. Facebook hat hierfür kürzlich ein Social-VR-Team gebildet. Gemeinsam mit dem Spieleproduzenten Valve präsentierte unterdessen vor wenigen Wochen der Smartphone-Hersteller HTC die Brille Vive. Und Sony hat angekündigt, im Verlauf des Jahres ein VR-System an den Markt zu bringen, das jedoch nur in Verbindung mit der Spielekonsole Playstation funktioniert. Heiß umkämpfter MarktAlphabet (ehedem Google) bietet die wohl günstigste Variante für das Eintauchen in virtuelle Welten: Google Cardboard – Brillen für 10 Euro aus Pappe, die als Halterung für Smartphones dienen und mit Sensoren für die Erfassung der Kopfbewegungen ausgestattet sind. Medienberichten zufolge soll der Konzern zudem an einem von PCs oder Smartphones unabhängigen sogenannten Head-Mounted Display (am Kopf angebrachter Bildschirm) als Nachfolger des gescheiterten Modells Google Glass arbeiten, das spätestens für 2025 erwartet wird.Darüber hinaus hat Alphabet 542 Mill. Dollar in das Mixed-Reality-Start-up Magic Leap gesteckt, in das auch Qualcomm sowie Unterhaltungskonzerne wie Warner Bros. und prominente Venture-Capital-Unternehmen wie Andreessen Horowitz oder Kleiner Perkins investiert sind. Das in Florida ansässige Unternehmen hat laut Medienberichten in drei Finanzierungsrunden 1,4 Mrd. Dollar eingeworben und Branchenbeobachtern zufolge soll es sich um das am meisten fortgeschrittene AR-Projekt handeln.Der Smartphone-Hersteller Samsung ist derweil eine Partnerschaft mit Facebook eingegangen. Und zwar gibt es von Apple noch keine konkreten Ankündigungen, aber Experten zufolge bringt sich der iPhone-Produzent im Hintergrund in Position, indem er Firmen wie Metaio aus München übernimmt und namhafte VR-Entwickler anheuert. Immerhin hatte CEO Tim Cook vor kurzem erklärt, VR sei kein Nischenmarkt.Die Technologieführerschaft in diesem Sektor ist schon jetzt heiß umkämpft, da ihm enormes Potenzial zugebilligt wird. Den Marktforschern von Strategy Analytics zufolge wird der VR-Markt in diesem Jahr ein Umsatzvolumen von 895 Mill. Dollar erreichen. Laut Prognosen von IDC werden im Jahr 2020 knapp 65 Millionen VR-Geräte verkauft.Ob dieser Optimismus berechtigt ist, wird sich indes noch zeigen müssen. Derzeit sind insbesondere VR-Anwendungen noch vornehmlich für den Markt der PC-Computerspiele relevant, der im Vergleich zu den Spielekonsolen eher eine Nische bildet. Dass die Datenbrillen hochpreisig sind, stellt eine weitere Hürde auf dem Weg zum Massenmarkt dar. See- und KinderkrankheitenÜberdies erscheinen die Geräte technisch noch nicht vollständig ausgereift, geschweige denn massentauglich. Die hierfür benötigten Datenmengen ohne spürbare Latenz und entsprechenden Qualitätsverlust zu übertragen, stellt noch eine Herausforderung dar. Und auch bei der Akkuleistung gibt es Testberichten zufolge Luft nach oben. Für einen Dauereinsatz sind die Brillen zwar nicht ausgelegt, gleichwohl gibt es bereits Meldungen, dass die Hololens etwa zu Überhitzung neigt.Zudem müssen Nutzer bei der Verwendung offenbar mitunter mit Übelkeit und Seekrankheit sowie Nackenschmerzen kämpfen. Wie die menschliche Physis und Psyche langfristig auf das visuelle Datenbombardement reagieren, bleibt ohnehin abzuwarten.Und dann deuten sich bereits Probleme beim Datenschutz an. So heißt es in den Geschäftsbedingungen der Facebook-Tochter Oculus unter anderem, dass das Unternehmen sämtliche Daten, die durch die Nutzung der Oculus Rift entstehen, sammeln darf. Darunter fallen nicht nur Geräteinformationen, sondern unter anderem Geolokationsdaten oder die durch die Verwendung entstehenden Bewegungsmuster. Damit generiert die VR-Technologie eine neue Klasse an Daten, die sich vermarkten lassen. Google und Facebook haben hinlänglich gezeigt, dass Nutzer für komfortable Services bereit sind, eine Fülle an persönlichen Daten preiszugeben. Und es kann davon ausgegangen werden, dass der Eskapismus, den die virtuelle Welt ermöglicht, ein verlockendes Angebot für die Konsumenten darstellt.Einige Experten vergleichen die derzeitige Phase mit der Einführung des iPhones, das den Durchbruch des Smartphones und der Tablet-Computer eingeläutet hat, bei seinem Start aber technisch auch nicht so ausgereift wie die heutigen Mobilgeräte war. Es war aber der Vorbote einer völlig neuen Geräteklasse, die im Laufe der Zeit enorme disruptive Wirkung entwickelt hat. Um eine ähnlich breite Akzeptanz zu finden, müssen sich AR- und VR-Technologien jedoch auch in weiteren Business-Anwendungen wie der Holographic Workstation bewähren, sonst steht der Börsenhändler am Ende allein auf dem Holodeck.