IM BLICKFELD

Der Fall Wirecard und das Journalistenprivileg

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 3.7.2019 Hat die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin richtig gehandelt, als sie am 18. Februar die Eröffnung neuer Netto-Leerverkaufspositionen oder die Aufstockung bestehender im Februar für zwei...

Der Fall Wirecard und das Journalistenprivileg

Von Dietegen Müller, FrankfurtHat die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin richtig gehandelt, als sie am 18. Februar die Eröffnung neuer Netto-Leerverkaufspositionen oder die Aufstockung bestehender im Februar für zwei Monate verboten hat? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Ein zentraler Punkt ist die Frage, welche Rolle die Medien gespielt haben, die negative Berichte über Wirecard veröffentlicht und die Bilanzierungsqualität des Unternehmens in Frage gestellt haben.Laut Wirecard handelt es sich um Beiträge, die irreführend und verleumderisch waren. Kolportiert wird, sie seien womöglich in Absprache mit Shortsellern veröffentlicht worden. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wurde unabhängig davon behauptet, es habe im Jahr 2016 Kontakte zwischen dem selbst ernannten Researchhaus Zatarra und angelsächsischen Journalisten gegeben. Nach Vorwürfen von Zatarra war der Wirecard-Kurs damals eingebrochen.Die Staatsanwaltschaft München hatte daraufhin gegen Zatarra und deren Hintermann Fraser Perring ermittelt und im Dezember 2018 einen Strafbefehl gegen Perring beantragt, doch ist dieser bisher nicht erlassen worden. Das Verfahren zieht sich hin, bisher wurde kein Strafbefehl erlassen. Das zuständige Gericht äußerte sich dazu nicht. Laut der Staatsanwaltschaft München waren im Zatarra-Verfahren 39 Beschuldigte erfasst worden, doch wurde das Verfahren gegen 37 davon “mangels hinreichenden Nachweises einer Kenntnis vom bevorstehenden Zatarra-Report eingestellt”. Gegen einen mutmaßlichen Mitverantwortlichen sei das Verfahren nach Zahlung einer Auflage eingestellt worden.Nach neuen Vorwürfen etwa in der “Financial Times” gegen Wirecard ist der Wirecard-Kurs im Januar erneut eingebrochen. In diesem Zusammenhang ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen möglicher Marktmanipulation. Da sich sowohl die Finanzaufsicht BaFin als auch die europäische Marktaufsicht ESMA beim am 18. Februar erlassenen Leerverkaufsverbot auf Informationen berufen haben, die der Öffentlichkeit nicht vorlagen, aber die offensichtlich Handlungsdruck erzeugt haben, interessiert, was der Gehalt dieser Informationen denn genau war. BaFin und ESMA haben sich dazu bislang nicht geäußert. Materielle FragenPeter Mülbert, Wirtschaftsrechtsprofessor an der Universität Mainz, der das Thema Shortselling aus rechtlicher Perspektive untersucht, sagte dazu auf einer Veranstaltung in Mainz, die Allgemeinverfügung der BaFin sei “formell rechtmäßig”. Die materielle Rechtmäßigkeit werfe aber – jedenfalls auf Basis der öffentlich bekannten und in der Allgemeinverfügung niedergelegten Begründung – durchaus Fragen auf. “Der Hinweis darauf, dass der Aufsicht Informationen vorlagen, die sie nicht öffentlich sagen konnte, überzeugt mich nicht ganz”, so Mülbert.Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft hat zuerst Wirecard eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen Marktmanipulation erstattet, die BaFin hat dann am 10. April – also nach Veröffentlichung der Allgemeinverfügung – die Ermittlungsergebnisse ihrer Untersuchung an die Staatsanwaltschaft übermittelt und Strafanzeige wegen Marktmanipulation in Form einer Short-Attacke gestellt. Beide Verfahren hat die Staatsanwaltschaft zusammengeführt. Die Ermittlungen dauern an, so die Staatsanwaltschaft. Auch gebe es Anzeigen “geschädigter Aktionäre”.Mülbert wies darauf hin, dass ein Eingriff der Aufsicht auch die Effizienz der Märkte nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen dürfe. Zudem gebe es Untersuchungen, wonach das Verbot von Leerverkäufen im Zusammenhang mit der Finanzkrise die Volatilität in den betroffenen Titeln eher erhöht statt verringert habe. Auch wenn das Leerverkaufsverbot im Fall Wirecard differenzierter war, da nur die Aufstockung von Netto-Leerverkaufspositionen und von neuen Netto-Leerverkaufspositionen untersagt worden war, sei der Aktienkurs von Wirecard weiterhin sehr volatil geblieben. “Ob die Rechtsfolge dieser Allgemeinverfügung wirklich die gewünschte Wirkung erzielt hat, ist zu bezweifeln”, so Mülbert. Allerdings vermochte er nicht genau zu beziffern, in welchem Ausmaß Leerverkäufer Märkte effizienter machen. “Jedenfalls ist man sich aber in der ökonomischen Forschung einig, dass Leerverkäufe die Preisbildungseffizienz steigern.” Artikel 21 und die MedienEin weiteres Spannungsfeld besteht im Fall Wirecard aufgrund der unterschiedlichen Informationen, die das Unternehmen und einzelne Medien wiedergegeben haben. So wurden in mehreren Artikeln in der FT angebliche Bilanzierungsmängel dargestellt, die Wirecard dementierte. Nach Artikel 12 Absatz 1c der Europäischen Marktmissbrauchsverordnung (MAR) handelt es sich um Marktmanipulation, wenn Informationen über die Medien einschließlich des Internets oder auf anderem Wege verbreitet werden, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots oder des Kurses eines Finanzinstruments geben oder der Nachfrage danach. Auch darunter fallen Informationen, die ein anormales oder künstliches Kursniveau eines oder mehrerer Finanzinstrumente herbeiführen oder bei denen dies wahrscheinlich ist, einschließlich der Verbreitung von Gerüchten, wenn die Person, die diese Informationen verbreitet hat, wusste oder hätte wissen müssen, dass sie falsch oder irreführend waren.Mülbert wies aber darauf hin, dass es nach Artikel 21 (MAR) ein “Journalistenprivileg” gebe. Demnach sind bei der Offenlegung oder Verbreitung von Informationen für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien bei der Beurteilung dieser Offenlegung und Verbreitung von Informationen die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen. Nicht unter das Journalistenprivileg fallen jedoch die Offenlegung und Verbreitung von Informationen, die wie unter Artikel 12 beschrieben geeignet sein könnten, falsche oder irreführende Signale zu geben oder die bewusst falsch oder irreführend sind. Wirecard hat erklärt, abgesehen von der Anzeige wegen Marktmanipulation auch “gegen für uns identifizierbare Personen wegen der Verbreitung falscher Informationen” vorzugehen. Sollte sich daraus ein Verfahren entwickeln, könnte in Deutschland erstmals das Journalistenprivileg gerichtlich seziert werden.