Der Green Deal und die Finanzwirtschaft
Patricia SchneiderAssociate bei Simmons & SimmonsThomas ScharfenbergPartner bei Simmons & SimmonsESG steht für “Environmental, Social, Governance”. Die Erreichung der ESG-Ziele hat sich zu einem großen Thema auf internationaler Ebene entwickelt. Das Übereinkommen von Paris und die UN Agenda 2030 markieren den Weg für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung. Noch ist allerdings fraglich, ob dieser politisch getriebene Prozess im Finanzmarktbereich von Dauer sein wird. Dass die Entwicklung noch am Anfang steht, zeigt sich auch darin, dass neben der Abkürzung ESG Begrifflichkeiten wie Sustainable Investing oder Socially Responsible Investment verwendet werden und sich bisher keine einheitliche Terminologie etablieren konnte. Aktuell setzen die Verwalter von Fonds überwiegend im Wege der Selbstregulierung durch regelmäßiges Reporting die United Nations Principles of Responsible Investment (UNPRI) um, welche durch mittlerweile über 3 000 Organisationen unterzeichnet wurden. Insgesamt ist ein klarer Anstieg an Investitionen in nachhaltige Assets zu beobachten. Das zeigen auch die 2018er Berichte des Forum for Sustainable and Responsible Investment (USSIF) und der Global Sustainable Investment Alliance (GSIA). So stellte die GSIA fest, dass nachhaltige und verantwortungsbewusste Investitionen weiterhin in jeder der fünf in dem Bericht erörterten Hauptregionen wachsen: in Australien und Neuseeland, Kanada, Europa, Japan und den Vereinigten Staaten, mit einem besonders robusten Wachstum in Japan. Und auch die USSIF konstatierte einen Anstieg um 38 % von ursprünglich 8,7 Bill. Dollar des Vermögensvolumens für ESG-Investitionen im Jahr 2016 auf 12,0 Bill. Dollar in den Vereinigten Staaten im Jahr 2018. Der Bericht betont, dass ein Großteil dieses Wachstums von den Vermögensverwaltern vorangetrieben wird, die nun ESG-Kriterien für Vermögenswerte in Höhe von 11,6 Bill. Dollar berücksichtigen. Zwischen 2016 und 2018 wurden zudem von 165 institutionellen Investoren und 54 Investmentmanagern, die 1,8 Bill. Dollar an verwalteten Vermögenswerten (AUM) kontrollieren, Aktionärsbeschlüsse zu ESG-Themen allein oder gemeinsam gefasst. Auch der größte Vermögensverwalter BlackRock gab seinen Kunden Anfang des Jahres bekannt, dass Nachhaltigkeit der neue Standard für Investitionen sein sollte.Hinzu kommt, dass ESG-Investments im Bereich Assetmanagement trotz unterschiedlicher ESG-Kriterien und abweichender Anlagestrategien inzwischen als Möglichkeit zur Optimierung der Rendite und des Risikomanagements anerkannt sind. Denn auch Investoren erwarten zunehmend, dass ESG-Faktoren berücksichtigt werden. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Bankwesen ab: Vertrauen, das aufgrund der Finanzkrise verloren ging, soll als Kapitalgeber auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft wiedergewonnen werden. So wird Nachhaltigkeit vermehrt in das Kreditgeschäft eingebunden, beispielsweise durch die Emission von Green Bonds oder auch die Vermittlung von Krediten staatlicher Förderbanken.Auf europäischer Ebene zielt unter anderem der “Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums” darauf ab, Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen umzulenken. Dafür sind verschiedene Maßnahmen vorgesehen, die beispielsweise durch die Taxonomie-Verordnung, die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor oder die Benchmark-Verordnung umgesetzt wurden. Ein Mehr an Transparenz hinsichtlich ökologischer und sozialer Aspekte von Unternehmen wird auch durch die Umsetzung der CSR-Richtlinie mit Vorgaben zur CSR-Berichterstattung im HGB erreicht. Und auch das Basisinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte, die einem Anlagerisiko unterliegen, soll den Anleger über ökologische oder soziale Ziele, die angestrebt werden, informieren. Institutionelle Anleger werden ebenfalls dazu angehalten, ihre Eigentümerrechte ESG-relevant auszuüben (Stichwort: Stewardship Principles). So verpflichtet die überarbeitete Aktionärsrechterichtlinie institutionelle Anleger und Vermögensverwalter dazu, öffentlich zu machen, wie in ihren Portfoliogesellschaften die Berücksichtigung von ESG-Belangen überwacht wird. Auch die Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodex – zu dem börsennotierte Unternehmen jährlich eine Entsprechenserklärung abzugeben haben – formuliert die Erwartungshaltung, dass institutionelle Anleger ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll auf der Grundlage von transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Grundsätzen ausüben. Es zeichnet sich also ein deutlicher Trend zu steigenden ESG-Investitionen und ESG-bezogener Rechtsetzung ab. Er ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung, die durch ein ausgeprägteres Bewusstsein für ökologische, soziale und nachhaltigkeitsbezogene Aspekte charakterisiert ist. Dennoch bleibt fraglich, ob sich dieser Trend verstetigt oder eine begrenzte Erscheinung bleibt. Die Anpassung der finanzwirtschaftlichen Bedingungen zugunsten einer ESG-orientierten Kapitallenkung ist noch jung und nicht unumstritten. Zum einen stört die verstärkte Regulierung die unsichtbare Hand des Marktes. Sie kann private Innovation ausbremsen oder anderen Instrumenten, die der Bekämpfung des Klimawandels dienen, die Grundlage entziehen. Aber auch eine Selbstregulierung wie bei der Corporate Governance ist nicht unproblematisch. Sie würde zwar auch im ESG-Bereich schnellere Reaktionen auf das aktuelle Marktgeschehen ermöglichen, allerdings besteht die Gefahr der einseitigen Durchsetzung starker Interessengruppen. Ein weiterer Aspekt sind die Unsicherheiten durch eine uneinheitliche Terminologie rund um ESG, die ein starkes Standardisierungsbedürfnis erzeugt haben. Das Fehlen einheitlicher Begrifflichkeiten erschwert zudem die Datenerhebung und den Vergleich. Diese Uneinheitlichkeit setzt sich bei der Bewertung und der etwaigen Erfüllung von ESG-Kriterien fort. Hier besteht global keine Klarheit, immerhin hat die Taxonomie-Verordnung auf europäischer Ebene für Abhilfe gesorgt. Im Übrigen steht die Nachbesserung der sozialen Aspekte des Aktionsplans ante portas. Durch die Corona-Pandemie sind die Bereiche Soziales und Governance in den Vordergrund gerückt. Das könnte zu einer intensiveren Regulierung mit neuen Unsicherheiten führen.Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich dadurch, dass der Aktionsplan mit Blick auf das Finanzwesen für eine nachhaltigere Welt die “langfristige Ausrichtung” von “Investitionen in umweltpolitische und soziale Ziele” als Voraussetzung benennt. Kurzfristigkeit würde im Umkehrschluss dann für Schädlichkeit stehen. Infolgedessen könnte es zu einer Einengung kurzzeitiger Handelsbewegungen und zu einer Abkehr von der Preisbestimmung durch Angebot und Nachfrage kommen. Im Hinblick auf Investmentfonds bedeutet die Offenlegung der Überwachung einer Berücksichtigung von ESG-Belangen schnell die Aufgabe von kurzfristigen Investments im Rahmen der Anlagestrategien. Hier drängt sich die Frage auf, ob die Publizitätspflicht lediglich dem Anleger eine informierte Entscheidung erlauben soll oder ob sich eine politische Steuerung durch Einschränkung unternehmerischer Freiheit vollzieht. Ob oder inwieweit ein solcher Ansatz zu einer ineffizienten zentralen Wirtschaftslenkung und folglich Fehlallokationen führt, wird sich zeigen. Es bleibt demnach abzuwarten, ob die Finanzierung des Green Deal mit Hilfe der Finanzwirtschaft tatsächlich zu einer dauerhaften Veränderung führt oder im Verlauf der Zeit eine Rückkehr zum konventionellen Finanzmarkt erfolgt. Auch wenn eine Umkehr nicht ausgeschlossen erscheint, spricht die aktuelle Entwicklung doch für einen permanenten Umbruch in der Finanzwirtschaft und damit für eine Partnerschaft auf Lebenszeit.