IM INTERVIEW: CHRISTIAN ZORN, MORGAN STANLEY BANK AG

"Der Markt bleibt noch eine Weile volatil"

Der Chef des Investment Banking über den Trend zu hoch fokussierten M&A-Prozessen und die Überzeugungsarbeit bei Börsengängen

"Der Markt bleibt noch eine Weile volatil"

Christian Zorn, Leiter des Investment Banking Deutschland und Österreich von Morgan Stanley sowie Vorstand der Morgan Stanley Bank AG, sieht optimistisch nach vorn. Sowohl bei Platzierungen am Kapitalmarkt als auch in der Fusionsberatung hat die Bank reichlich zu tun, so dass Zorn auch an Verstärkung denkt.- Herr Zorn, wie ist die Stimmung im Investment Banking?Gut. Bis jetzt war es ein wirklich spannendes Jahr. Wir haben einige interessante M & A-Transaktionen nach einem eher ruhigen ersten Quartal gesehen, darunter etliche prominente Deals. Wir waren bisher unter anderem beratend tätig im Rahmen der Transaktionen von Tank & Rast, Heidelberg Cement, Wella/Coty, Deutsche Börse/360T, Continental/Electrobit.- Wie ist die Lage im Kapitalmarktgeschäft?Unsere Kunden waren sehr aktiv über das ganze Spektrum von Eigen-, Hybrid- und Fremdkapital. Es gab sowohl öffentliche Transaktionen als auch Private Placements. Dadurch war viel Bewegung im Markt.- Welche Art von Transaktionen standen im Vordergrund?Es gab etliche großvolumige Fremdkapital-Transaktionen mit einer Tendenz zu längeren Laufzeiten, um das Zinsniveau vor dem Hintergrund der anhaltenden Zinsspekulation auszunutzen. Wir sehen auch zunehmend Gesprächsbedarf im Zusammenhang mit Pensionsverbindlichkeiten und Auswirkungen auf das Kreditprofil einzelner Firmen.- Und im Eigenkapitalbereich?Hier waren unsere Kunden auch sehr aktiv. Wir waren sowohl in eher opportunistisch als auch strategisch motivierten Transaktionen involviert, wie zum Beispiel der Kapitalerhöhung der Vonovia. Zudem ist ziemlich viel im IPO- und Spin-off-Bereich passiert und ist noch im Kommen. So sind wir in prominenter Rolle bei den Börsengängen von Covestro und Scout 24 involviert, andere Transaktionen werden uns gerüchteweise zugeschrieben.- Was sind die Treiber für M & A?Wachstum generell ist ein großes Thema. Technologie ein weiteres. So konnten wir zum Beispiel Continental bei der grenzüberschreitenden Akquisition von Electrobit betreuen. Spin-offs beziehungsweise Unternehmensfokussierung ist und bleibt ein Thema. Zudem gibt und gab es Transaktionen, die ursprünglich als IPO konzipiert wurden und dann ihren Weg über M & A nahmen, wie etwa bei Douglas.- Beeinflussen die derzeit hohe Volatilität in den Märkten und das Makro-Umfeld die Unternehmensentscheidungen?Grundsätzlich ja, jedoch ist der Grad der Ausprägung von Industrie zu Industrie und situativ unterschiedlich. In einem Umfeld höherer Volatilität muss man eher auf Sicht fahren. Viele der Transaktionen, die wir gerade betreuen, sind aber so grundsätzlich transformierend oder strategisch relevant, dass sie früher oder später stattfinden und von Investoren unterstützt werden. Natürlich versucht man immer, das optimale Kapitalmarkt-Fenster zu finden.- Wenn in M & A die Transaktionen transformierend, also strategisch sehr wichtig sind, führt dies zu höheren Bewertungen?Für strategisch sinnvolle Transaktionen ist die Finanzierung überhaupt kein Engpass, auch für sehr große Finanzierungen nicht. Wir waren kürzlich zum Beispiel federführend bei der Brückenfinanzierung für die Übernahme von Italcementi durch Heidelberg Cement.- Und relative Bewertungen?Relative Bewertungen sind sektorspezifisch, die muss man sich genau anschauen. Jetzt gab es eine sehr deutliche Korrektur. Unsere Aktienstrategen sind immer noch der Meinung, dass gerade europäische Unternehmen extrem interessant sind.- Hat es Auswirkungen auf die Finanzierungen, wenn der Cash-Anteil wieder steigt?Grundsätzlich betrachtet: Deutsche Unternehmen haben nach wie vor sehr hohe Barreserven und sind konservativ ausfinanziert. Unsere Wahrnehmung von den Gesprächen ist, dass deutsche Unternehmen gut vorbereitet sind. Sie haben in den vergangenen Jahren viel Vorarbeit geleistet und können somit vielleicht auch etwas bedachter auf die Welt schauen. Und sich möglicherweise genau die attraktivsten Zielgesellschaften aussuchen.- Ja, aber sie tun es nicht. Die großen M & A-Käufe stammen alle aus dem Ausland, oder?Das sehe ich anders.- Der Kaufhof ist nach Kanada verkauft, K+S hätte nach Kanada verkauft werden können. Haben deutsche Manager keine Traute zu agieren, wie im Herbst vorigen Jahres?Ich würde nicht sagen, dass sich deutsche Unternehmen nichts trauen, aber sie neigen eben auch nicht zu M & A-Euphorie wie in anderen Ländern. Die besprochenen Spin-offs und IPOs sind deutsche Transaktionen, die sowohl deutsche als auch ausländische Investoren anziehen. Und wir werden in M & A auch noch eine ganze Menge an Transaktionen sehen, die auch zeigen, dass deutsche Unternehmen zuversichtlich sind. Der Immobilienbereich war und ist sehr aktiv. Deutsche Börse/360T, die wir begleitet haben, ist auch eine deutsche Transaktion. Das ist Technologie und Wachstum und zudem ein Segment, das sehr attraktiv ist. Ich bin da wirklich anderer Meinung: Wir werden die Deutschen wieder aktiver sehen, und sie sind es bereits: Heidelberg Cement/Italcementi ist eine große Transaktion, Tank & Rast ist ein weiteres Beispiel mit starkem deutschen Engagement.- Ja, das ist der große Gegenbeweis.Es gibt auch andere Transaktionen, wo sich das Thema Wachstum zeigt. Diese Unternehmen beziehungsweise Transaktionen erhalten die Finanzierung und Unterstützung im Markt, selbst wenn sie eine Übernahmeprämie zahlen müssen. Der Markt mag zwar volatil sein, und wir glauben auch, dass es noch eine Weile so bleibt. Das sagen wir auch unseren Kunden und spielen regelmäßig verschiedene Marktszenarien mit ihnen durch. Aber bei strategisch sinnvollen Transaktionen gibt es jede Menge Unterstützung durch Investoren, weil diese sehr viel Cash zur Investition bereitliegen haben. Mit Blick auf den europäischen IPO-Markt haben die Investoren mit Börsengängen grosso modo Geld verdient.- Europaweit.Europaweit, ja, aber auch in Deutschland. Natürlich gibt es da Ausreißer.- Da muss man zu Rocket schauen.Das in der Presse vielzitierte Beispiel Zalando hat sich gut entwickelt. Investoren haben mit dem IPO-Produkt Geld verdient und werden IPOs auch weiter unterstützen. In einem Umfeld höherer Volatilität muss man sicherlich mehr Überzeugungsarbeit leisten oder Kreativität in puncto Struktur entwickeln. Vorausschauend ist unsere IPO-Pipeline weiterhin attraktiv, unser Haus bleibt aktiv.- Wie steht es um Fixed Income?Wir konnten als Haus von der jüngsten Ratingverbesserung von Moody’s um zwei Punkte von “Baa2” auf “A3” einen Nutzen ziehen. Auch wenn wir kein klassisches Fremdkapital-Haus und somit nicht in allen Produkten gleichermaßen aktiv sind, haben wir ausgewiesene Stärken und konnten auch in diesem Jahr interessante Transaktionen für unsere Kunden durchführen.- Hat das Konsequenzen?Wir sind aktuell optimistisch, so dass wir uns ernsthaft überlegen, personell aufzustocken. Viele der Transaktionen sind momentan komplex und groß. Es gibt nur noch wenig reines oder “Standard”-M & A. Die Kunden realisieren zunehmend, dass es nur noch ganz wenige Banken gibt, die ein wirklich globales, engmaschiges Netzwerk haben und über Produktvielfalt verfügen. Es gibt außerdem nur wenige Banken, die auch bereit sind, für einen Deal ihre Bilanz einzusetzen, also Milliardenbeträge hinter einen Deal zu legen, damit der durchgeht. Und die dann auch noch genug erfahrene Leute in den Teams sitzen haben. Insofern habe ich den Eindruck, dass sich auch hier in Deutschland das “Bulge Bracket”, also die Konzentration auf wenige große Investmentbanken, zunehmend durchsetzt.- Und gleichzeitig kommen die Boutiquen immer stärker?Das sehe ich nicht so.- Warum nicht zu Greenhill oder Evercore gehen, wenn ich die Finanzierung quasi auf der Straße bekomme?Kapital ist zwar kein Engpass. Aber Unternehmen müssen sich zum Beispiel bei vielen Transaktionen – insbesondere im derzeit volatilen Marktumfeld – genau überlegen, was Investoren dazu sagen werden. Viele der Boutiquen haben einfach aufgrund ihres Geschäftsmodells nicht die Möglichkeit, sich dieses Feedback ohne Weiteres aus dem Markt zu holen. Wenn ich mir darüber hinaus unsere aktuellen und geplanten Transaktionen anschaue, gibt es fast keine Transaktion mehr, die standardmäßig oder unabhängig vom Kapitalmarkt abläuft.- Was bedeutet das für das Investment Banking generell?Wir versuchen, sehr viel Innovation sowohl in das M & A- als auch in Kapitalmarktinstrumente und insbesondere auch das IPO-Produkt einzubringen. Das bedeutet zum Beispiel in puncto M & A, dass nicht wie früher derjenige den Zuschlag als Berater erhält, der, überspitzt gesagt, das dickste Informationsmemorandum schreibt. Sondern es kommt darauf an, in Situation XYZ zu wissen, das sind die fünf bis zehn Bieter, die sich die Transaktion am Ende des Tages ernsthaft anschauen. Hierzu gehört auch das Thema Prozessdesign. Hier ist ein Trend zu limitierten, hoch fokussierten Auktionen zu beobachten. Bereits in der frühen Vermarktungsphase versucht man, die Transaktion auf spezifische Käufergruppen maßzuschneidern und das konkrete Potenzial aufzuzeigen. Der Trend geht zu sehr stark verkürzten Zeitachsen, also kürzeren Prozessen.- Die Prozesse werden somit auch effizienter?Ja, effizienter und der Wettbewerb erhöht sich, weil man vorher genauer ausgesiebt hat. Ein weiterer Punkt: Die Prozesse werden auch sehr viel globaler. Es gibt heute fast keinen M & A-Prozess mehr, in dem nicht zum Beispiel ein Asiate eine Rolle spielt. Ähnliche Überlegungen gelten auch für das IPO-Produkt. Insgesamt kann man sagen, dass die Zeit vom Startknopfdrücken bis hin zum Pricing tendenziell kürzer wird. Vor allem aber wird die Zeitspanne kürzer, in der die Gesellschaft im Markt wirklich exponiert ist.- Wie das?Bereits in der Vorbereitungsphase versuchen wir, zumindest das Management-Team und auch das Geschäftsmodell sowie die Rationale einer möglichen Transaktion im Rahmen des rechtlich Möglichen selektiv mit Investoren in mehreren Runden vorzustellen. Natürlich kann man über Bewertungsthemen zu dem Zeitpunkt noch nicht sprechen. Es macht aber einen Unterschied, wenn Sie auf die Roadshow gehen und zum Beispiel der Investor in London sieht das Management-Team nicht zum ersten Mal. Der Investor kann sich dann auf das Zahlenwerk und kritische Rückfragen konzentrieren.- Was geschieht mit der Postbank? Wer will sich eine Retailbank mit vielen Mitarbeitern antun, wo zudem andere Filialen abbauen?Vielleicht nur so viel: Die Postbank hat ein breites Vertriebsnetz, übrigens nur teilweise im Eigenbesitz, und das ist wichtig beim Retail Banking, um nah am Kunden zu sein. Aber die Postbank hat auch früher – und das vergisst man – als die meisten großen Banken sehr stark die Digitalisierung des Geschäftes forciert.- Wie beurteilen Sie hier die Perspektive von Private Equity?Jeder Private-Equity-Fonds ist auf der Suche nach der proprietären Idee, die noch keiner hatte. Wir wünschten, wir könnten mehr davon liefern. Manchmal gelingt es uns. Aber das Schöne und gleichzeitig das Schlechte ist, dass der Markt relativ transparent ist, was die Portfoliogesellschaften betrifft. Man weiß ziemlich genau, wann wurde das Asset gekauft. Man weiß, dass die Private-Equity-Fonds diese Assets irgendwann wieder verkaufen. Deshalb wird es sicherlich immer wieder auch Secondaries geben.- Welche Rolle spielen Aktivisten?Mit dem Thema Aktivismus befassen wir uns intensiv. Sowohl kulturell als auch von der Struktur des Marktes und auch was das Gesellschaftsrecht betrifft, ist Deutschland – noch – eine andere Spielwiese als Amerika. Das allgemeine Interesse an Deutschland ist extrem groß. Der Anteil von Ausländern in den Vorständen der Dax-Unternehmen nimmt stetig zu, und auch das Aktionariat im Dax und MDax wird immer internationaler. Wenn man alles zusammennimmt, das aktuelle Übernahmerecht, die hohen Transparenzanforderungen, die hohe Liquidität plus wirklich tolle deutsche Unternehmen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass wir einen aktiveren Kapitalmarkt sehen werden. Wir sehen heute auf Unternehmensseite, dass Vorstände viel aktiver, viel disziplinierter und viel drastischer über ihre Unternehmen und Strukturen nachdenken. Insofern frage ich mich, ob wir Aktivisten brauchen, um hier etwas zu verändern. Es tut sich schon so eine ganze Menge.- Inwieweit greift die Regulierung in Ihr Geschäft hier ein?Im täglichen Geschäft kann es zum Beispiel das Lending betreffen. Wir reichen Kredite sowohl transaktionsspezifisch als auch als längerfristige Kredite heraus. Letztere zur Untermauerung unserer wichtigsten Kundenbeziehungen. Wir haben allerdings schon vor Jahren angefangen, nicht nur Kredit- und Risikokosten einzupreisen, sondern auch Liquiditätskosten. Eine stärkere Disziplin in der Bepreisung der Kredite wird zunehmend erforderlich werden.- Ist das bereits Marktstandard?Wir sehen es im Markt jetzt noch nicht flächendeckend, es wird aber zunehmend passieren müssen. Unseres Erachtens müsste somit die Arbitrage zwischen dem Bankkredit und dem Kapitalmarktgeschäft kleiner werden. Wir sind fest davon überzeugt, dass mehr Unternehmen den Weg über den Kapitalmarkt gehen werden. Und wir haben etliche betreut, auch Mittelständler, die sich Gedanken darüber machen, Fremdfinanzierung auch ohne Rating aufzunehmen.- Müssen Sie infolge der Regulierungszwänge mehr Geschäft absagen als früher?Wir machen in Summe mehr Geschäft als vorher, das ist Fakt. Wir gehen disziplinierter heran, und einiges von dem, was vielleicht früher, unter reinen Ertragsgesichtspunkten, Sinn ergeben hätte, ergibt nun keinen Sinn mehr.- Sie sagen das Geschäft dann ab?Richtig, ja.- Und das ist durchaus öfters der Fall als früher?Das ist wirklich sehr situationsspezifisch. Kunden respektieren eine ehrliche Aussprache und gegebenenfalls Absage. Wir führen mit den Kunden darüber den Dialog. Genau diese Transparenz ist gut. Die Kunden haben sich daran gewöhnt und finden das gut.- Aber Sie machen dann doch Cross-Selling?Heute anders als früher. Natürlich gibt es immer das Totschlagargument: Das ist so eine wichtige Beziehung, das müssen wir machen. Aber diese Quersubventionierung hat keine Chance mehr.- Sie sagten, Sie denken über Personal nach? Was heißt das?Wir werden uns im Investment Banking verstärken. In der Vergangenheit haben wir weder stark aufgebaut noch stark abbauen müssen, sondern sind relativ konstant geblieben. Natürlich gab es ein paar Abgänge. Aber wir haben jetzt das Gefühl, dass der Markt noch mehr hergeben wird. Und wir sind momentan bereits gut ausgelastet.—-Das Interview führten Karin Böhmert und Walther Becker.