Der Niedrigzins nimmt die Banken in die Zange

Nach dem Druck auf den Zinsüberschuss kommen nun Belastungen durch Pensionsrückstellungen hinzu - Zu geringe Ausfinanzierung

Der Niedrigzins nimmt die Banken in die Zange

Die niedrigen Zinsen ziehen bei den Banken weitere Kreise. Während die Effekte im Zinsgeschäft immer deutlicher werden, müssen die Institute, die nach dem deutschen Bilanzrecht HGB ihre Ausweise erstellen, für das vergangene und das laufende Jahre ihre Pensionsrückstellungen drastisch hochfahren. Die im Gesetzgebungsverfahren befindliche Streckung des Berechnungszeitraums ist reine Kosmetik.Von Silke Stoltenberg, FrankfurtNun greift der Niedrigzins die Banken noch von einer zweiten Seite an: Schon längst hat er das wichtigste Standbein, den Zinsüberschuss, durchlöchert. In den Abschlüssen für das zurückliegende Jahr zeigt der Niedrigzins, dass er noch mehr Verdruss in petto hat: bei den Rücklagen. Die nach deutschem Bilanzrecht HGB ihre Rechnungslegung erstellenden Institute müssen ihre Pensionsrückstellungen drastisch aufstocken. Die niedrigen Zinsen zwingen sie zu einer höheren Vorsorge, um die künftigen Verpflichtungen ihren Mitarbeitern und Vorständen gegenüber erfüllen zu können. Mindestens noch im laufenden Turnus kommen aus dieser Ecke große Lasten auf die Geldhäuser zu.Die ersten Vorreiter bei den Jahresabschlüssen werfen ein Schlaglicht darauf. So berichtete die Sparda-Bank Hessen von um 4 auf 30 Mill. Euro erhöhten Pensionsrückstellungen. Auch die Hamburger Volksbank nannte eine Mehrbelastung von mehr als 3 Mill. Euro. Bei der Frankfurter Volksbank verschlechterte sich der Saldo aus sonstigen Erträgen und Aufwand auf – 14 Mill. Euro, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Auch bei der Wiesbadener Volksbank schnellte der sonstige Aufwand um 4 auf bald 5 Mill. Euro nach oben, hauptsächlich wegen des Pensionsthemas. Nicht nur die Genossenschaftsbanken, auch die Sparkassen und die nach HGB bilanzierenden Privatbanken werden für 2015 ähnliche Lasten verdauen müssen.Damit stecken die Kreditinstitute in demselben Dilemma wie der deutsche Mittelstand: Die in Aussicht gestellten Betriebsrenten per Direktzusage – der am häufigsten angewandte Durchführungsweg bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) – werden zu einer Belastung, die in früheren Zeiten nicht absehbar war. Diese Zukunftsversprechen müssen in den HGB-Bilanzen mit dem Rechnungszins abgezinst werden, bislang mit einem rollierenden Siebenjahreszeitraum und einer pauschalen Restlaufzeit von 15 Jahren. So will es das seit 2010 geltende Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz. Drastischer KnickBeim Rechnungszins kamen Ende 2015 mit einem drastischen Knick von 64 Basispunkten im Jahresvergleich auf 3,89 % die Niedrigzinsjahre seit 2012 endgültig an. Die Faustregel lautet, dass ein um einen Prozentpunkt niedriger Rechnungszins die Pensionsrückstellungen um 10 bis 20 % erhöht. Bei den Konzernen, die nach der internationalen Rechnungslegung IFRS bilanzieren, war dieser Effekt schon lange sichtbar, müssen diese doch den aktuellen Marktzins (von Unternehmensanleihen mit einem “AA”-Rating ) bei der Berechnung ihrer Pensionslasten benutzen. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass IFRS-Konzerne – also im Finanzsektor beispielsweise Deutsche Bank, Commerzbank, HVB oder DZ Bank – diese Rückstellungen gegen das Eigenkapital verrechnen und nicht wie ihre HGB-Pendants durch die Gewinn-und-Verlust-Rechnung ziehen müssen.Zudem haben sich die IFRS-Geldhäuser schon längst von der Direktzusage verabschiedet und bieten andere, ausgelagerte Formen der Betriebsrente an, etwa durch einen Pensionsfonds oder ein Contractual Trust Arrangement (CTA). Damit bleibt die Bilanz von Belastungen verschont, abgesehen von Nachschusspflichten und Ausgleichszahlungen zwischen Verpflichtungen und Vermögen. Bei der Deutschen Bank etwa beträgt der Ausfinanzierungsgrad 98 % und bei der Commerzbank 86 %, beide liegen deutlich über dem Schnitt der Dax 30-Konzerne von 61 %. Hinzu kommt, dass die nach IFRS bilanzierenden Adressen für das Geschäftsjahr 2015 bei den Pensionsrückstellungen wieder von einem leicht von 2,0 auf 2,4 % gestiegenen Marktzins profitieren, die Rückstellungen also abnehmen. Dagegen steckt der nach HGB bilanzierende Mittelstand wie eben auch die Banken erst jetzt so richtig im Tal der Tränen. Schlimmer noch: Durch den Durchschnittswert werden sie selbst bei steigenden Zinsen lange im niedrigen Rechnungszins feststecken. LeistungsversprechenIm Gegensatz zu anderen Rückstellungen, etwa für kipplige Kredite, ist die Pensionsvorsorge mehr als ein fiktiver Barwert. Denn hier geht es um ein Leistungsversprechen. Und dieses belastet umso mehr, je länger die niedrigen Zinsen in Zukunft die Banken in ihrem Kerngeschäft aushöhlen. Daran ändert auch das laufende Gesetzesvorhaben nichts, wonach der Zeitraum zur Berechnung des Rechnungszinses von sieben auf zehn Jahre gestreckt werden soll. Dies soll für die Bilanz 2016 gelten und auf Wunsch sogar noch rückwirkend für 2015. Damit wird zwar die Geschwindigkeit beim Anstieg der Pensionsrückstellungen gebremst, aber das Leiden wird für viele weitere Jahre unnötig in die Länge gezogen. Auch am Gesamtumfang der Belastungen ändert sich unterm Strich durch das Gesetzesvorhaben nichts. Abgesehen davon, dass sich der ausschüttungsfähige Gewinn nicht erhöht. Schließlich soll der Unterschiedsbetrag zwischen einer Rückstellung berechnet für sieben Jahre und für zehn Jahre mit einer Ausschüttungssperre versehen werden. “Mit der Gesetzesänderung wird aber zumindest für 2016 der erwartete drastische Rückgang im Rechnungszins um 50 Basispunkte auf 3,39 %, der durch den Siebenjahreszeitraum absehbar war, durch die Umstellung auf zehn Jahre deutlich geglättet”, so Heiko Gradehandt, bAV-Experte für den Mittelstand und die Volksbanken bei Willis Towers Watson (siehe Grafik).”Die erhöhten Pensionsrückstellungen treffen die Banken aber auch nicht unerwartet, denn die Aufsicht hat schon frühzeitig auf eine handelsrechtliche Bewertung auf Marktzinsniveau hingewiesen”, erläutert Gradehandt. Schon vor der Finanzkrise mit den in der Folge abstürzenden Zinsen war den Instituten die Problematik von Vorsorgeversprechen auf ihren Bilanzen bewusst. Daher haben die meisten Banken vor etwa zehn Jahren, kurz nach dem Altersvermögensgesetz 2001, ihre Versorgungswerke geschlossen und bieten den neu eintretenden Mitarbeitern andere Lösungen über Fonds oder Versicherungen an. In Einzelfällen wurden sogar die Ansprüche den alten Mitarbeitern gegenüber finanziell ausgeglichen und die gesamten Pensionsansprüche ausgelagert. Und manche verzichten sogar ganz auf das Angebot einer Zusatzvorsorge für normale Mitarbeiter, die ohnehin über die Altersversorgung der Finanzwirtschaft (BVV) abgesichert sind. Dennoch schlägt die Vorsorge für die “Altfälle” negativ ins Kontor. Denn für geschätzte 75 bis 80 % der Bankmitarbeiter gilt noch die Direktzusage. Sowohl bei Willis Tower Watson als auch bei KPMG klopfen nicht von ungefähr seit geraumer Zeit immer mehr Banken an und suchen Rat, wie sich die gestiegenen Pensionslasten abmildern lassen. Mehrere AuswegeDabei gibt es keinen Königsweg, erläutert Christine Hansen, bei der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft zuständig für die betriebliche Altersvorsorge. “Die Scheu, sich dem Thema Pensionsrückstellungen zu stellen, bricht weg, nicht selten nehmen sich sogar die Finanzvorstände selbst dieses immer dringlicheren Themas an”, berichtet Hansen. Auswege bestehen etwa darin, die Anwartschaften einzufrieren oder die Gehalts- beziehungsweise die Betriebszugehörigkeitsdynamisierung abzuschaffen. Oder auf beitragsorientierte Systeme umzustellen, damit wird auf Leistungsversprechen vollends verzichtet. “Egal, welche Umstellung bei der Altersvorsorge in Erwägung gezogen wird, der Arbeitgeber muss handels-, arbeits-und steuerrechtliche Implikationen mit im Blick haben und die womöglich abnehmende Attraktivität für Mitarbeiter”, hebt Hansen hervor.