GASTBEITRAG

Der Pandemie-Effekt auf die Büromärkte ist unklar

Börsen-Zeitung, 9.7.2020 Aktuell wird zunehmend versucht, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Büromärkte abzuschätzen. Viele sagen stark negative Entwicklungen der Mieten und Kaufpreise voraus. Teilweise werden für 2020 Mietpreisrückgänge...

Der Pandemie-Effekt auf die Büromärkte ist unklar

Aktuell wird zunehmend versucht, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Büromärkte abzuschätzen. Viele sagen stark negative Entwicklungen der Mieten und Kaufpreise voraus. Teilweise werden für 2020 Mietpreisrückgänge von bis zu 20 % und Kaufpreisreduktionen um bis zu ein Drittel vorhergesagt. Aus unserer Sicht wird dies aber weder durch die aktuell auf den Büromärkten zu beobachtenden Mietvertragsabschlüsse und -verhandlungen noch durch die bereits im zweiten Quartal wieder getätigten Transaktionen belegt. Verschiedene EinflüsseZu Recht wird zwischen konjunkturellen und strukturellen Einflüssen und Auswirkungen unterschieden. Und unbestritten ist, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unmittelbar und vor allem kurzfristig an den Märkten zu spüren ist. Allerdings zeigt die Analyse der historischen Marktsituation auch, dass die Entwicklung der einzelnen Marktparameter unterschiedlichen Einflussfaktoren unterliegt. Wie stark die Mieten bei schwacher BIP-Entwicklung reagieren, hängt nicht nur von der Konjunktur selbst, sondern wesentlich stärker vom Angebot und damit der Wettbewerbssituation ab, auf welche die durch die Konjunktur ausgelöste schwächere Nachfrage trifft. Bei einer Überangebotssituation reagieren die Mietpreise demzufolge häufig stärker, als es durch die rückläufige Nachfrage allein zu erklären wäre. Die richtige Interpretation von Ursache und Wirkung spielt deshalb eine entscheidende Rolle.Während beim diesjährigen Flächenumsatz aufgrund der zu erwartenden Rezession gravierende Rückgänge zu erwarten sind, stellt sich die Situation bei der Mietpreisentwicklung differenzierter dar. Im Vergleich zur Finanzkrise liegen die Leerstände aktuell durchschnittlich um über die Hälfte niedriger, und auch unter Einbezug der Bautätigkeit ist das Gesamtangebot anmietbarer Büroflächen nur gut halb so groß. Gleichzeitig bewegen sich die Leerstandsraten in den meisten Städten auf historisch niedrigem Niveau. Auch während der Dotcom-Krise An-fang der 2000er Jahre waren die Märkte von einem viel größeren Angebot und einer deutlich angespannteren Angebots- und Nachfrage-Relation gekennzeichnet. Mieter, die größere moderne Flächen in den bevorzugten Lagen suchen, sind häufig gezwungen, bis zu zwei Jahre vorher mit der Suche zu beginnen, und müssen oft auf Projektentwicklungen ausweichen. Daran wird sich auch in den nächsten Quartalen kaum etwas ändern. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass selbst bei einem sehr deutlichen Rückgang der Flächenumsätze (nicht nur 2020, sondern auch noch 2021) die Leerstandsraten lediglich auf ein im historischen und internationalen Vergleich moderates Niveau klettern werden. Berücksichtigt man weiterhin, dass selbst während der Finanzkrise die Spitzenmieten im Schnitt nur um rund 6 % und die Durchschnittsmieten um knapp 3 % nachgegeben haben, so gibt es aktuell weder empirische noch modellhafte Hinweise, die auf Mietpreisrückgänge von bis zu 20 % hindeuten. Vergleichbare EinschätzungWährend des Lockdowns getätigte Core-Transaktionen sowie aktuell bevorstehende Verkäufe, für die Preise auf Vor-Corona-Niveau bezahlt werden, unterstreichen, dass gerade große Investoren mit entsprechend langjähriger Marktexpertise und Research-Kapazitäten in ihren Analysen zu einer vergleichbaren Einschätzung kommen. Vor diesem Hintergrund sind auch avisierte Kaufpreisrückgänge in einer Größenordnung von bis zu 35 % nur schwer nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, wenn man gleichzeitig noch das unverändert günstige Finanzierungsumfeld und die kaum vorhandenen Anlage-Alternativen berücksichtigt.Für die auch mittel- und langfristig negative Einschätzung zur Mietpreisentwicklung werden dagegen in der Regel zusätzlich strukturelle Veränderungen unterstellt, vor allem eine deutliche Ausweitung des Homeoffice. Wesentliche Gründe für eine solche Tendenz, die in der aktuellen Diskussion immer wieder angeführt werden, sind, dass die aus der Not heraus geborene Homeoffice-Phase während des Lockdowns besser als erwartet funktioniert hat und gerade jüngere Mitarbeiter einen umfangreichen Ausbau von Homeoffice und eine damit verbundene Flexibilität ohnehin bevorzugen würden. Die erfreuliche Konsequenz hieraus wäre, dass die Unternehmen spürbar weniger Bürofläche benötigen und damit Kosten reduzieren würden.Diese auf den ersten Blick verlockend erscheinende Win-win-Situation bedarf aber einer vertieften Analyse, um die Tragweite und Veränderungen, die mit einer strukturändernden Ausweitung von Homeoffice einhergehen (können), sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht bewerten zu können.Vermeintlich einfach nachvollziehbar erscheinen die Kosten-Einspareffekte. Wenn zukünftig die Beschäftigten einen Großteil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, braucht man weniger Arbeitsplätze und damit weniger Fläche. Umsetzbar sind derartige Ansätze aber nur bei gleichzeitiger Einführung von “Desk-Sharing”- oder “Hot-Desking”- Konzepten, d. h., jeder Mitarbeiter bekommt, wenn er im Büro erscheint, einen ständig wechselnden Arbeitsplatz zugewiesen.Ob die Mitarbeiter ein sich permanent veränderndes Arbeitsplatzumfeld im Büro wirklich begrüßen und es als flexibel, kreativ und selbstbestimmter empfinden, ist nicht eindeutig belegt. Während HR-Abteilungen von großen Unternehmen, die dieses Konzept bereits eingeführt haben, die großen Vorzüge und eine gestiegene Mitarbeiterzufriedenheit hervorheben, kommt in vielen persönlichen und informellen Gesprächen mit “betroffenen” Mitarbeitern häufig eine erhebliche Unzufriedenheit und vor allem ein Identifikations- und Bindungsverlust zum Unternehmen sowie zu Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck. Letztendlich bleibt es aber eine noch unbeantwortete Frage, ob sich Hot-Desking in größerem Umfang umsetzen lässt oder nicht.Zu berücksichtigende Einflussfaktoren bei der Analyse sind außerdem die Sicherstellung der Arbeitsqualität und -effektivität (u. a. Garantie von ausreichendem Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitenden, On-boarding neuer Kolleginnen und Kollegen und Abruf von Kreativpotenzialen). Dazu kommen viele noch offene organisatorische, rechtliche, versicherungstechnische und finanzielle Fragen, etwa zu Arbeitsstättenverordnung, Gleichbehandlung, Datenschutz und -sicherheit. Komplexer als oft dargestelltEine starke Ausweitung von Homeoffice ist also komplexer als oft dargestellt. Wahrscheinlicher ist ein Ausbau des mobilen Arbeitens. Das bedeutet aber nicht automatisch einen Rückgang der Büroflächennachfrage insgesamt. Außerdem sind gegenläufige Trends zu berücksichtigen, die aus den Erfahrungen der aktuellen Corona-Pandemie resultieren (besserer Schutz funktioniert nur mit mehr Platz).Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass ein nicht vollständig auszuschließender Rückgang des Büroflächenbedarfs im Saldo eher gering ausfallen dürfte und sich in Größenordnungen abspielen wird, die von normalen konjunkturellen Schwankungen der Nachfrage überlagert und damit vermutlich kaum quantitativ messbar wären. Wolfgang Schneider, Head of Research von BNP Paribas Real Estate Deutschland